Das geneigte Publikum im Weentbehler Bürgerpark, wie die Anlage seit der Regierungszeit des Reichsverwesers Puntigam umbenannt worden war, vormals waren die ‚Kaiserlichen Gärten‘ für die breite Masse nicht zugänglich gewesen, gebärdete sich nach und nach wie die Zuschauer bei einem Boxkampf. Mit jeder Spielfigur, die vom Brett geschlagen wurde, wurde auch das Johlen der Leute lauter und lauter. Die Herren in ihrem Sonntagsstaat hatten längst die Langbinder gelockert und rote Köpfe bekommen. Ein findiger fliegender Händler reagierte blitzschnell und besorgte allerlei Erfrischungen aus einer nah gelegenen Taverne, was für die Herren bedeutete, dass sie anfingen, sich mit dem üblichen Volksgetränk, dem Weentbehler Starkbier abzufüllen. Die Ehefrauen hieben ihrem jeweiligen Gespons des Öfteren die Ellbogen in die Seiten, doch ließen diese sich in den meisten Fällen nicht davon abhalten, dem Gerstensaft gehörig zuzusprechen. Die ledigen Damen, die ihre jugendlichen Verehrer noch nicht dazu gebracht hatten, sich das Joch der Ehe um den Hals zu hängen, waren einerseits angezogen von den drolligen, kleinen Kerlen mit ihren roten Mützchen, unter welchen die gelben, dicken Zöpfe heraussahen; dann wieder schreckten sie vor den Fratzen zurück, die die Hurveniks zogen, wenn wieder eine Figur des jeweiligen Gegners mit Brachialgewalt abgeräumt wurde. Das alles ging nun nicht ohne Pöbeleien und Provokationen vor sich, doch äußerten sich die Schauspieler immerhin in der ihnen entsprechenden Weise.
„Nehmt das, Ihr Schuft!“, konnte man zum Beispiel hören; oder, „Ich bereite Euch die Hölle auf Erden, garstiger Wanzling! Sackgesichtiges Gewürm, ich werde Euren König vierteln lassen! Für die Jungfräulichkeit Eurer Dame kann ich keineswegs garantieren! Ich werde Euren Turm schleifen, so dass nichts als Geröll übrigbleibt! Euer Bischof wird furchtbare Qualen erleiden, er wird wünschen sich vormals schon mit seinem Rosenkranz selbst erdrosselt zu haben!“
Aufgepeitscht durch die johlende Menge wurde das Gebaren der Schauspieler immer schlimmer.
„Euch werd‘ ich geben, elendigster Galgenschwengel“, ein schwarzer Springer flog durch die Luft und schwamm alsbald auf der Oberfläche des Teiches, wo er schließlich von zwei Knaben herausgefischt wurde.
„Finsternis und Teufels! Sattelt mein Pferd! Ausgearteter Bastard!“ Der noch übriggebliebene Springer schlug einen weißen Läufer vom Brett.
„Seid Ihr nicht bald Matt, Gevatter? Weh dem, den zu spät die Reue trifft!“
„Matt, ha! Eher zerkratzt mein Bischof nun das wölfische Gesicht Eurer Dame mit seinen Nägeln!“
„Ihr Hurensohn von einem rakermäßigen Kratzer, zieht endlich! Zieht, sage ich, mausköpfiger Sklave!"
Kammergarn hatte in diesem Augenblick beschlossen, dass es Zeit für ein Nickerchen würde, er teilte Kringskranx, dem Anführer der Hurveniks, noch mit, die beiden Schachspieler sollten es besser nicht allzu weit treiben. Die hölzernen Spielfiguren waren immerhin Abbilder derjenigen Spielsteine, die der Großplimps der aphalusischen Wüstenei im zwölften Jahrhundert besessen haben soll, gefertigt von einem auf dem Kontinent anerkannten Meister der Holzschnitzerei. Daraufhin hatte er sich gähnend verabschiedet. Als er den Park in Richtung des Excelssior verließ, konnte er noch weitere, wüste gegenseitige Beschimpfungen der beiden Schauspieler deutlich vernehmen.
Dann war er ins Hotel gegangen, um bald darauf Bekanntschaft mit einem äußerst harten Gegenstand zu machen, der ihm mit voller Gewalt von hinten auf den Kopf geschlagen wurde. Als er sich, kurz bevor er das Bewusstsein verlor, seinem Angreifer zuwandte, gelang es ihm noch, den nicht gerade großen Kerl am Schlafittchen zu fassen, dann war ihm ein zusätzlicher Schmerz durch die rechte Hand gefahren, bevor es endgültig dunkel geworden war. Daran erinnerte sich Kammergarn jetzt wieder mit schmerzendem Schädel, auch stellte er mit Schrecken fest, dass er anscheinend eine große Menge Blut verloren haben musste, die Melone und das einstmals beige Hemd, dass er am Leibe trug, wiesen große, rötlichbraune Flecken auf.
Ihm fiel auf, dass er tatsächlich auf einem weichen, breiten Bett lag, die Daunendecke war zurückgeschlagen und über sich konnte er jetzt doch wahrhaftig einen rotseidenen Baldachin erkennen. Er fragte sich gerade, ob er wohl in einem Bordell gelandet sein könnte, als sich die Tür öffnete und eine recht kleine Gestalt ins Zimmer kam, die sich sogleich räusperte.
„Ähem, na Kammergarn, ich hoffe, ich hab‘ dir nicht allzu wehgetan!“ Es klang sogleich in Kammergarns Ohren so, als täuschte der Mann die Lässigkeit, die er hier zur Schau trug, lediglich vor. Er schien darum bemüht zu sein, seine Stimme tiefer erscheinen zu lassen; Kammergarn hatte ein derartiges Verhalten bei zu klein geratenen Männern schon des Öfteren beobachten können.
Der Kerl war ganz in Schwarz gekleidet, ein Zweireiher wie er bei den höheren Ständen in der Hauptstadt en vogue zu sein schien. Mit einem gewöhnlichen Gauner hatte es Kammergarn dem Anschein nach nicht zu tun. Der Mann trug allerdings eine Mütze auf dem Kopf, die zu seiner sonstigen Aufmachung so ganz und gar nicht passte. Eine rote, gestrickte, winterliche Wollmütze mit einer sogenannten Bommel hatte er sich tief bis hinunter übers Kinn gezogen, allerdings waren ungeschickt Löcher für Mund und Augen hineingeschnitten, weshalb er ständig an dem Ding herumzupfen musste, um vernünftig sehen zu können. Noch dazu ragten aus dem unteren Schlitz die Enden eines imposanten, gewichsten Schnurrbartes heraus, der bis zur Nasenwurzel hinaufgezwirbelt war.
„Ähem,“, begann der Kerl jetzt von Neuem, als Kammergarn keine Anstalten machte, auf seine Rede die Reaktion zu zeigen, die er wohl erwartet hatte. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wir haben nicht vor dich umzubringen, wenn, ja wenn diese Wichte mit denen du unterwegs bist, sich an all unsere Anweisungen halten!“
„Oh, dann leg mich besser gleich um, die Kerlchen haben ihren ganz eigenen Kopf, man kann sie sehr schlecht zu irgendetwas bewegen, worauf sie keine Lust haben! Außerdem sind sie finanziell auch nicht so gut gestellt, wie ihr vielleicht vermutet!“ Kammergarn ging davon aus, dass die Entführung seiner Person, noch dazu am helllichten Tage, unbedingt von mehreren Personen ausgeführt worden sein musste. Zumindest hatte dieser Pimpf, der sich da breitbeinig mit dieser jämmerlichen Pudelmütze auf dem Kopf präsentierte, dies niemals ganz alleine fertigbringen können.
„Das, äh …, werden wir schon noch sehen, Kerl!“, stieß der Kleine jetzt aus, seine Stimme war um eine Quinte höher geschnellt, er klang in keinster Weise überzeugend. „Wenn nicht dann ...“, nun klang er ernstlich etwas hysterisch, „… dann können wir auch, ...äh, anders!“ Bei diesen Worten drehte er sich um, lief mit kurzen, eiligen Schritten hinaus und schloss hektisch die Tür hinter sich. Gleich darauf konnte Kammergarn das Knirschen eines Schlüssels in einem schlecht geölten Schloss hören. Er ließ sich zurück in die Kissen fallen, wobei er allerdings die rechte Hand immer noch in einer unbequemen Stellung halten musste, da diese ja mit Handschellen an der Wandhalterung befestigt war. Zumindest hat irgendjemand von dieser Gaunerbande einen Plan, augenscheinlich hatte der Bügel, der fest mit dem Mauerwerk verbunden schien, keinen anderen Zweck, als einen Menschen hier anzuketten.
Der Impresario konnte wie von weit entfernt nun Stimmen wahrnehmen, eine davon schien einer Frau zu gehören. Er spitzte die Ohren und glaubte zu verstehen, dass etwas gesagt wurde, wie: „Aber, Putzi, was hast du denn nur mit dieser Mütze angestellt?!“
***
Als Nicht zurück in sein Büro kam, fand er dort Kringskranx, den Hurvenik und seinen Adjutanten Krautschuk vor. Die beiden hatte sich über seinen Schreibtisch hergemacht und die Tischplatte einmal gründlichst abgeschrubbt, so dass sich der Detektiv in der ansonsten vollkommen stumpfen, hölzernen Oberfläche beinahe spiegeln konnte. Nicht hatte keine Ahnung, wie sich die beiden Kerlchen Zugang zu seinen Räumlichkeiten verschafft hatten, sah jedoch über den Umstand dieses erneuten widerrechtlichen Eindringens geflissentlich hinweg.
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