in den Einleitungen der Grimmschen, der Wolfschen,
der Müllenhoffschen, der Tettau-Temmeschen, der E.
Meyerschen und andern Sammlungen gesagt ist, wiederholen.
Auch A. Schöppner entwickelt in der Einleitung
zu seinem Sagenbuch der bayrischen Lande
viel Wahres und Beherzigenswertes über diesen
Punkt.
Möge die neu erwachte Pflege der deutschen Sagenblumen
in strengwissenschaftlicher wie in schönwissenschaftlicher
Beziehung, in ihrer Echtheit und
ungeschmückten, ungeschminkten Einfachheit mehr
und mehr Freunde finden und Boden gewinnen! Sie
verdient es, und sie lohnt es durch geistigen Genuß.
Welchen Bilderreichtum bietet sie nicht dem Dichter,
dem zeichnenden wie dem plastischen Künstler dar,
welch eine reiche Stoffülle! Ja, die deutsche Sage
bleibt ein fort und fort frischquellender Goldborn für
Poesie und Kunst, und – was noch höher zu achten,
sie bleibt trotz allem Hohnlächeln der Neugescheiten,
allem Gegenbemühen, allem Abschleifen und Verflachen
und trotz der verkehrten Aufklärungssüchtelei
der seminaristischen Afterschulbildung wie der konsistorialen
und polizeilichen Vevormundung eine
frischlebendige, unverwüstliche, sittliche und sittigende
Volkskraft.
Meiningen, am 24. November 1852.
L u d w i g B e c h s t e i n .
1. Vom deutschen Rheinstrom
Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt
die Edda, das uralte Götterlied, so auch der Rhein,
des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom
Gottesberge (St. Gotthard), aus Eispalästen, aus dem
Schoße der Alpen nieder, als Strom des Segens.
Schon die Alten sagten von ihm: Die Donau ist aller
Wasser Frau, doch kann wohl der Rhein mit Ehren ihr
Mann sein – und die Urbewohner der Stromufer erachteten
seine Flut für also wunderbar, daß sie neugeborene
Kinder ihr zur Prüfung echter oder unechter
Geburt übergaben. Rechtmäßige Abkömmlinge trug
die Stromflut sanft zum Ufer, unrechtmäßige aber zog
sie mit ungestümen Wellen und reißenden Wirbeln
als ein zorniger Rächer und Richter der Unreinigkeit
unter sich und ersäufte sie. Andere Anwohner brachten
dem heiligen Strome ihr Liebstes, Pferde, zum
Opfer dar. Durch Hohenrätiens Alpentalschluchten
stürzt sich der Rhein mit jugendlichem Ungestüm, frei
und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke,
das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende
Fesseln brach. Da zwang ein Kastellan auf der Bärenburg
die Bauern, mit den Schweinen aus einem Trog
zu essen, ein anderer zu Fardün trieb ihnen weidende
Herden in die Saat, andere übten noch andere Frevel.
Da traten Hohenrätiens Männer zusammen, Alte mit
grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgraun unter
den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese
ohnfern Tovanosa will man noch Nägel in den Felsenritzen
erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten,
ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in
Bruns vor der St. Annenkapelle unter dem freien
Himmel, unter der großen Linde, nach der Väter Sitte,
und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den
neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß
der Bund solle bestehen, solange Grund und Grat
steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder.
– Kaiser Maximilian nannte scherzweise den
Rheinstrom die lange Pfaffengasse, wegen der zahlreichen
und hochberühmten Bistümer und Hochstifte an
seinen Ufern, und nannte Chur das oberste Stift, Konstanz
das größte, Basel das lustigste, Straßburg das
edelste, Speier das andächtigste, Worms das ärmste,
Mainz das würdigste und Köln das reichste.
2. Des Schweizervolkes Ursprung
In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert
und bebaut war, saß ein starkes und zahlreiches
Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden,
und kam über dieses Volk große Hungersnot und
leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil
der Menschen bei ihnen zu viel, daß von Monat zu
Monat eine Schar auswandern sollte, und sollte die
das Los bestimmen. Wen es treffe, der müsse fort bei
Strafe Leibes und Lebens, ob hoch oder niedrig, und
mit Weib und Kindern. Als dies immer noch nicht
fruchtete und dem Mangel steuerte, so ward fernerweit
beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgeloset
werden und hinwegziehen solle. So geschah es,
und zogen an die sechstausend Schweden fort und
zwölfhundert Friesen mit ihnen, und ernannten sich
Führer. Deren Namen waren Suiter, Swey und Josius,
noch andere Restius, Rumo und Ladislaus. Sie fuhren
auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs
manchen Kampf zu bestehen; endlich kamen sie in ein
Land, das hieß das Brochen- oder Brockengebirg (wie
es auch im Harzwald einen Brockenberg hat), allda
bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten
sich an und verteilten sich in das Land, wirkten
und schafften. Ein Teil zog ins Brünig (Bruneck), ein
anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der
Stadt Hasle (gehört jetzt dem Dänen) stammten, die
erbauten Hasli und wohnten darin unter ihrem Führer
Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen
und wohnte allda, Swey und Suiter gaben der Schweiz
und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland
gewannen sie, waren ein treu und gehorsam
Volk, trugen zwilchne Kleider, nährten sich von
Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals
noch nicht viel im Lande. Sie waren starke Leute, wie
die Riesen, voll Kraft, und Wälder auszureuten war
ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenbogen.
Davon gehen noch alte Lieder, die sagen aus, wie
ihrer ein Teil unter dem Führer Ladislaus und Suiter
gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer
beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk,
und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen,
Adler und Bären, ein rotes Kreuz, und auf der
Krone des Aaren ein weißes, und haben dann diese
Zeichen nach der neuen Heimat getragen. Immer noch
erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie
die Vorfahren im Lande gezogen und wie die Berge
eher bewohnt gewesen als die Täler. Erst ein späteres
jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie
das auch in andern Bergländern geschehen ist.
3. Sankt Gallus
Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das
rätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius
mit Namen, soll über Meer gekommen sein und diesem
Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben.
Nach ihm heißt noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden
und der Herrschaft Vaduz (Fürstentum Liechtenstein)
der Ludiensteig. Nach ihm kamen die Apostel
Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine
Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn
eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban
an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und
brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler
in Hütten, heilten Kranke und predigten das
Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo,
wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem
war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus
heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten
Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in
welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten
Anbaue ist die hernachmals so berühmte und
herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer
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