zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten
Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und
ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den
Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte
den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst
recht den Grißler, und er schrie den Tell an, der noch
einen Pfeil im Koller hatte: Du hast noch einen Pfeil,
Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind
getroffen? – Tell antwortete: Das ist so Schützen-
brauch, Herr. – Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete
der Landvogt. Sag es frei, ich sichere dich
deines Lebens. – Wenn Ihr denn es wissen müßt,
sprach Tell, und meines Lebens mich versichert, so
höret denn, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil
Euer wahrlich nicht fehlen sollen. – Ha, du Schalk
und Erzbösewicht! schrie der Landvogt, das Leben
hab' ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will
dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch
Mond dich bescheinen soll! – Hieß alsobald seinen
Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff
bringen, darin er über den Urner- und den Vierwaldstätter
See fahren wollte, und von Weggis nach
Küßnacht reiten. Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind
und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser
ins Schiff schlug, da sagten die Schiffsleute dem
Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der
allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf
ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte
flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein
nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände
sich hinabsenkt, da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte,
auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem
Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit
Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die
Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und
seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfa-
den, die ihm wohlbekannt waren. Als die im Schiff
bei Laupen kamen, legte sich der Sturm, Grißler ließ
aber dennoch bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete
sich nun vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte
auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah,
wohin der Landvogt zog, und da fand sich zwischen
dem Arth und Küßnacht eine hohle Gasse, dort harrte
Tell des Vogts, und wie der durch die hohle Gasse dahergeritten
kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten
Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine
wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat
wich der Tell ungesehen von hinnen, kam im Dunkel
der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus
zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walther Fürsten
in Uri und sagte allen an, was und wie es sich zugetragen,
und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen
und das fremde Joch abzuschütteln. Nun war es
nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr, denn als der
Bund im Gryttli tagte, war schon Wintermond, und da
ward zuerst Roßberg mit List eingenommen von den
Unterwaldnern, und darauf Sarnen ohne Schwertschlag,
und mußten alle Leute der Vögte Urfehde geloben
und schwören, nimmermehr wieder in das
Schweizerland zu kommen, und wurden über die
Grenze vergeleitet; das noch nicht fertig ausgebaute
Schloß Zwing-Uri wurde wie die genannten Schlösser
der Erde gleich gemacht, und Werner Stauffacher
brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut
stand.
Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen
die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn, nahm
gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen.
Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt
und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen
Neffen, Johann, Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden
meuchlings erschlagen. Darum behielten
die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den
heutigen Tag. Das ist die Sage von der Schweizer
Bündnis und der Tat des Tell, welch letztere nur wie
eine einzelne Alpenrose in den Kranz der Geschichte
sich einflocht. Es ist bekannt, daß die Sage vom
glückhaften Pfeilschuß auch in Dänemark sich findet,
und nicht unmöglich ist, daß die frühern Einwanderer
aus dem Norden sie schon mitgebracht und sie sich
dann verjüngt hat. Ja, die drei ersten Gründer des
Bundes der Schwyzer, Unterwaldner und derer von
Uri – denen sich dann Zürich, Luzern, Zug, Glarus,
Freiburg und Solothurn anschlossen, denen endlich
Schaffhausen und Appenzell folgten – galten und gelten
dem Landvolke als drei Telle, die in einer Felskluft
verzaubert schlafen, wie Kaiser Friedrich im
Kyffhäuser und Kaiser Karl im Untersberge. Sollte
das Schweizer Vaterland in Not kommen, so werden
die drei Telle aus ihrer Gruft hervorgehen und es aufs
neue befreien. Den Weg zu ihrer Höhle weiß keiner,
nur zufällig kam einst ein Hirte, der einer verlaufenen
Ziege suchend nachging, an eine Höhle, da fand er die
drei Männer, und der eine Tell richtete sich vom
Schlummer auf und fragte: Welch Zeit ist's auf der
Welt? – Hochmittag! antwortete der Hirte. – So ist's
noch nicht an der Zeit! sprach der Tell und legte sich
wieder zum Schlummer hin. Keiner hat nachher die
Höhle wiedergefunden.
7. Luzerner Hörner und Mordnacht
Da die Schweizer aufstanden und zu Felde zogen
gegen ihre Unterdrücker, gebrauchten sie allerlei
Kriegsinstrumente. So hatten die von Uri einen Mann,
den hießen sie den Stier von Uri, der blies ein mächtig
Urhorn, das mit Silber beschlagen war; und wenn
man einen Keil ins Mundstück schlug, konnte man
auch daraus trefflich trinken. Die Luzerner brauchten
eherne Hörner, wie die alten Römer gebraucht, die
hießen sie Harschhörner, und die hatte ihnen König
Karl verliehen, als sie mit ihm in der Roncevaller
Schlacht gestritten, wo Held Roland fiel.
Zur Zeit, als die Schweiz sich erhob, gab es in Luzern
eine Partei, die war noch gut österreichisch gesinnt,
die erkannten sich an den roten Ärmeln, die sie
an ihren Wämsern trugen. Die versammelten sich
unter dem großen Schwibbogen an der Ecke der
Schneiderzunftstube und verabredeten, daß sie um
Mitternacht alle Eidgenössischen überfallen und morden
wollten. Ein Bettelbube vernahm's, ward aber
entdeckt und mit dem Tode bedreut, wenn er nicht
schweige; mußte deshalb einen Eid schwören, niemand
den Anschlag anzusagen. Der Knab' ging auf
die Metzgerzunftstube, da zechten noch viele Gesellen,
und der Knabe legte sich auf die Ofenbank und
seufzte:
O Ofen, o Ofen, was muß ich dir klagen,
Wel ich's beim Ced sonst niemand darf sagen.
Die Landsknecht wollen, wenn's Zwölfe wird schlagen,
Alles morden und alles erschlagen.
Da horchten die Zecher hoch auf, und lief alsbald
einer aufs Rathaus, ein anderer zum Glöckner, daß er
nicht Zwölfe anschlage, ein dritter und vierter und
fünfter zu den Zünften, und kamen den Rotmänteln
zuvor. Hernachmals ist das Bild des Knaben auf der
Metzgerzunftstube hinter dem Ofen gemalt lange Zeit
zu sehen gewesen.
8. Die Herren von Hohensax
Zwischen dem Altmann-Berge, dem Nachbar des
Hohen Säntis, und dem Rheintale liegt die alte
Stammburg der Freiherren von Hohensax. Deren einer
hieß Hans Philipp, war ein ritterlicher Kriegsheld und
zog ins Niederland, für dessen Freiheit er mitfocht,
war ein Protestant und gerade in Frankreich, als die
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