Diagnose Leistenbruch
Leider hat die Urologin aber noch eine zweite, schlechte Nachricht für mich dabei. Bei der CT wurde durch Zufall ein doch starker Leistenbruch links festgestellt. Als ich diese Stelle betaste, erschrecke ich. Ja, der Leistenbruch ist deutlich zu sehen und zu fühlen. Ein Arzt aus der Chirurgie-Abteilung wird mir geschickt. Er macht mir Mut und erklärt mir, dass das Krankenhaus Routine bei Leistenbruch-Operationen hätte und diese nach der in Deutschland gültigen „Versorgungsleitlinie Leistenbruch“ durchführt. Dies bedeutet, dass es nur drei kleiner Schnitte bedarf und dass dann mittels einer Sonde ein Netz in den Körper eingebracht wird, das in Zukunft ein Ausbrechen des Darms aus seiner Normallage verhindern soll. Der Chirurg empfiehlt mir, die OP sehr bald machen zu lassen.
Diese Diagnose fühlt sich für mich an wie ein Magenschwinger, den ich soeben verpasst bekommen habe. Denn ich war noch vollkommen mit der Finger-OP und mit Nierenkolik und Nierenstein beschäftigt, sowie mit den dazugehörigen seelischen Themen. Jetzt hat sich ein weiteres Problem angekündigt, mit dem ich nicht im Traum gerechnet hatte, das ich aber sehr ernst nehmen muss. Was ist überhaupt ein Leistenbruch? Und wieso habe ich einen solchen bekommen? Wofür steht er, warum und wodurch wurde er verursacht und was will er mir „sagen“? Viele Fragen schießen mir durch den Kopf und ich beginne noch vom Krankenhaus aus mit einer umfangreichen Telefonaktivität, um möglichst viele Informationen über das Thema „Leistenbruch-OP“ einzuholen.
Dabei überwiegen eindeutig die negativen Erfahrungen von Bekannten, die sich bereits früher einer Leistenbruch-OP unterziehen mussten. Ein Kollege, der sich vor einigen Jahren ein solches Netz einsetzen ließ, musste bald darauf zu einer nun viel schwierigeren OP erneut ins Krankenhaus. Das Netz hatte sich abgelöst, war in den Darm gewandert und hatte dort den Darm geschädigt und in Folge schlimme Darmprobleme verursacht.
Eine Bekannte, der man ebenfalls ein solches Netz eingesetzt und dieses dabei an den Rändern „festgetackert“ hatte, hatte deswegen eine entzündliche und sehr schmerzhafte Körperreaktion nach der anderen in ihrem Bauchraum bekommen. Seit Wochen war sie deswegen krankgeschrieben. Offensichtlich hatten die Ärzte beim Festtackern des Netzes Meridiane, also Energiebahnen, erwischt. Diese spielen jedoch in der Schulmedizin keinerlei Rolle, man nimmt dieses Wissen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) nach wie vor gar nicht ernst, weil die Existenz von Meridianen eben mit technischen Geräten nicht oder nur sehr schwer nachweisbar ist, somit wissenschaftlich und schulmedizinisch noch immer als Humbug gilt und daher abgelehnt wird.
Den Ausschlag für meine Entscheidung gibt eine andere Bekannte. Sie hatte ihren Leistenbruch zwei Jahre zuvor in einem Landkrankenhaus nach alter, konservativer Methode operieren lassen. Sie lobte damals den dortigen Chefarzt der chirurgischen Abteilung in den höchsten Tönen. Am 20. Dezember, somit kurz vor Weihnachten, lasse ich mich von diesem Arzt operieren und mir einen „Wolf-und-die-sieben-Geißlein-Schnitt“ verpassen. Denn auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin verzichtet der Chirurg auf die übliche OP-Netz-Methode. Nach alter Manier schneidet er mich auf und näht die beiden Leistenmuskeln wieder zusammen. Er kann es vertreten, mich ohne Netz und in Abweichung von der üblichen „Versorgungsleitlinie Leistenbruch“ zu operieren. Dabei sind aber anschließend fünf bis sechs Nähte nötig, um die etwa acht Zentimeter breite Schnittwunde wieder zu verschließen – für jede Hautschicht eine. Nach einem Tag Krankenhaus darf ich schon nach Hause.
Leistenbruch: Ich kann mir den Bruch leisten
Sechs Wochen wird die Narbenbildung dauern, zwei Wochen lang hüte ich das Bett und werde von meiner Frau liebevoll gepflegt. Dabei habe ich genügend Zeit, über das ganze Geschehen nachzudenken. Hat denn auch der Leistenbruch etwas mit dem „Besuch“ der Ameisen und ihrer Botschaft vom „Abfallen“ alter seelischer Themen zu tun?
Ich lasse mich überraschen, was während der Raunächte, also in der Zeit von Weihnachten bis Dreikönig, so alles hochkommen wird in mir. Diese Zeit unmittelbar nach der Wintersonnwende erscheint mir geradezu prädestiniert dafür, Gedanken und Gefühle in mir hochsteigen zu lassen, die dem Verstand womöglich als unlogisch, unsinnig oder als irrational erscheinen mögen. Das jedoch empfinde ich als große Chance, vielleicht auch gerade deshalb, weil ich zunächst sehr hilflos daliegen muss. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Mein ganzes bisheriges Leben läuft wie in einem Film vor meinem inneren Auge ab, vieles kommt mir in den Sinn...
Ich lasse all diesen Gedanken freien Lauf und notiere sie in meinem Tagebuch. Zu den Begriffen „Leistenbruch“ und „Operations-Schnitt“ kommen mir jetzt eine ganze Menge von Assoziationen:
Bruch – Aufbrechen von etwas, Aufbruch (zu etwas Neuem);
Leistenbruch – Leistungsbruch, Bruch mit der Leistung und mit dem Leisten-Müssen;
Bruch mit der bisherigen Lebenseinstellung und mit dem gewohnten Weltbild;
Bruch des bisherigen Lebenskonzeptes, das fast ausschließlich von Beruf und Leistung geprägt war;
Bruch mit dem Alten – mit der Vergangenheit und mit gewohnten Lebensbestimmungen;
Abbrechen und „Abfallen“ von etwas Altem;
Einbruch (des Darms in die Leiste) und Einbruch in mein gewohntes Leben;
Umbruch, Durchbruch (zu etwas Neuem);
Aufschneiden, Einschnitt, Lebens-Einschnitt;
Initiations-Schnitt, Übergangs-Schnitt (zu etwas Neuem), „Cut“ mit dem Bisherigen.
Ein Gedanke setzt sich mir jetzt immer stärker in den Kopf: Da ich mit bald 65 Jahren schon beinahe an das Ende meiner beruflichen Tätigkeit gelangt bin, kann ich mir den „Bruch“ in der Leiste, vielmehr aber den Bruch mit dem bisherigen Leistungs-Lebenskonzept endlich „leisten“. Dieser Gedanke ist für mich nicht nur ein billiges Wortspiel, sondern ich gehe damit immer mehr in Resonanz.
Wovon war denn bisher mein Leben so bestimmt? Und warum hatte die Arbeitsleistung so einen übermäßigen Stellenwert für mich? Ist es jetzt Zeit, dass etwas von dem Alten, Bisherigen von mir „abfällt“? Was könnte das konkret sein? Eine neue gedankliche Welt tut sich mir nun auf. Und schon wieder kommt mir das Ameisen-Thema vom „Abfall“ und vom „Abfallen“ in den Sinn. Ihre Begegnung war eine Vision. Jetzt wird ihre Botschaft durch das, was mir widerfährt, immer mehr eingelöst, also von der Wirklichkeit eingeholt. Ich muss nur verstehen lernen, was auf der Seelenebene alles von mir abfallen soll oder abfallen will. Und da kommen mir Erinnerungen aus der Kindheit mit meinem Vater hoch...
(2) Ein geistiger Kampf wirkt sich körperlich aus
Mein Vater war erst 16 Jahre alt, als mein Großvater 1943 nach langer Krankheit starb. Schon als 15-Jähriger hatte mein Vater den landwirtschaftlichen Betrieb sowie den Viehhandel alleine stemmen müssen. Er war der einzige Ernährer in seiner Familie, die damals aus seiner Mutter, ihm selbst und noch zwei Schwestern bestand. Dazu kamen die Kriegswirren und die immer größere Not auch der Landbevölkerung. Existenzangst war das, was mein Vater am meisten kannte. Darum war es sein Ziel, nach dem Krieg zur Existenzsicherung einen großen Bauernhof aufzubauen und nach und nach eine immer größere landwirtschaftliche Fläche zu erwerben.
Hingabe an den Vater
Von Kindheit an bewunderte ich meinen Vater, ich eiferte ihm nach, wollte werden wie er. Er war damals mein Held. Aber ich teilte auch seine Ängste – vor Diebstahl, vor der starken Konkurrenz im Viehhandel und vor einem erneuten Hofbrand, der die ganze Existenz vernichtet hätte wie schon einmal 1956. Da ich der Erstgeborene bin, war ich als Hoferbe vorgesehen und ich identifizierte mich total mit dieser Rolle. Ich konnte mir damals gar nichts anderes vorstellen.
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