Sämtliche Arbeitsutensilien und Gerätschaften, die man zum Kochen und Backen brauchte, auch solche, die wir vermutlich niemals brauchen würden, hingen von der Decke herab – an Fleischerhaken. Die ganze Decke war übersät damit. Man musste aufpassen, um sich nicht an den herunterhängenden Schöpfkellen den Kopf zu stoßen. Aber praktisch zu greifen waren sie, selbst für mich. Die Deckenhöhe erreichte keine zwei Meter.
Auf der Südseite waren viele der Natursteine durch große moderne Kunststofffenster und eine Glastür ersetzt worden. Diese Maßnahme hatte ein ehemals dunkles Loch unter der Erde in einen freundlichen, mit Tageslicht durchfluteten Raum verwandelt. Im Moment schien sogar die Sonne herein und man vergaß vollkommen, dass man sich eigentlich im Keller befand. Die von der Decke herabhängenden Werkzeuge aus Edelstahl reflektierten das Sonnenlicht und erzeugten ein geheimnisvolles Licht- und Schattenspiel.
Diese ganze Küche wirkte wie ein Kunstwerk.
Durch die Glastür gelangte man nach draußen und stand nach einem Schritt direkt in der Betonwanne des Gebäudes, die das Haus, das hatten wir ja inzwischen gelernt, vor Wasser und Feuchtigkeit schützen soll. Aber diese hier war perfekt! An einer Stelle führten sogar Stufen zum Garten und zu den Beeten hinauf. Man konnte also schnell ein paar Kräuter für die Suppe holen.
Wir waren überwältigt.
Peter hatte ganz glasige Augen. Nur zur Erinnerung, er war Hobbykoch, Essen war seine ganze Leidenschaft. Hier zu kochen wäre für ihn sicher die Erfüllung eines Traumes. Natürlich müsste er sich warm anziehen, zumindest bis er den range oder den Kamin angeheizt hatte. Radiatoren für die nachgerüstete Ölheizung gab es nur in den oberen Stockwerken. Feste warme Schuhe müsste er hier unten in der Küche wohl immer tragen.
Nachdem wir noch die plüschigen Schlafzimmer im ersten Stock begutachtet hatten, bekamen wir Zeit zur freien Verfügung.
Die Dame des Hauses führte Jonas zurück ins Besucherzimmer zu den Keksen, Peter ging nochmal in die Küche und ich machte es mir auf der Marmorplatte in einer der Fensternischen gemütlich. Dort lag eine kuschelige warme Decke, viele bunte, dicke, weiche Kissen und zwei abgenutzte Taschenbücher. Ja, hier war der ultimative Platz zum Lesen. Die Fensterbänke waren allesamt breiter und tiefer als unsere Zweisitzer-Couch.
Ich sah aus dem Fenster. Was für ein Haus! Aber so geheimnisvoll, magisch und begehrenswert schön die alte renovierte rectory auch war, man würde hier stets im letzten Jahrhundert leben. Wollten wir das?
Abgesehen davon würde die Wood Lodge mit Meeranstoß , wenn auch für deutsche Verhältnisse preiswert, unser Budget sprengen.
Erfüllt von diesen vielen Eindrücken mussten wir den Rückweg nach Deutschland antreten.
Anmerkung:
Nachdem uns bewusstgeworden war, welche Ausmaße die angebotenen Grundstücke und Häuser hatten, fragte Peter seinen Freund Horst und dessen Frau Hildegard, ob sie mit uns nach Irland ziehen würden. Horst suchte ohnehin Natur und Abgeschiedenheit, um seine Geschichtsbücher schreiben zu können und beide waren Irland-Fans.
Die Antwort war:
»Ja, sehr gerne sogar. Wir erwarten nur, dass Wasser herauskommt, wenn wir den Hahn aufdrehen. «
Das konnten wir natürlich nicht garantieren.
Wir waren auf uns gestellt.
Die nächste Gelegenheit für einen Besuch in Irland bot sich im darauffolgenden Frühjahr, im April 1997.
Nach der stürmischen Fährüberfahrt im Dezember 95 und dem Chaos am Flughafen von Shannon 96 (ausführlich geschildert in " Irland - Mein Tagebuch " ), wollten wir dieses Mal keinerlei Risiko eingehen und wählten die klassische Art der Anreise, einen ganz gewöhnlichen Linienflug nach Dublin.
Dieser Aufenthalt erwies sich von Beginn an als ein Erlebnis der Superlative. Schon der Landeanflug auf die Hauptstadt war ungewöhnlich ruhig. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, das Wasser lag glatt wie ein Spiegel unter uns, keine sprühende Gischt der aufgewühlten Irischen See vernebelte die Sicht. In scharfen Umrissen zeichneten sich die kleinen vorgelagerten Inseln ab. Die reizvolle Küste von Dublin sah von oben aus wie ein tropisches Ferienziel.
Noch überraschender waren die Temperaturen. Als wir das Flugzeug verließen, waren wir wie immer auf einen kalten, scharfen Wind gefasst, aber noch nicht mal ein Lüftchen wehte. Im Gegenteil, die Sonne brannte auf der Haut. Ich drehte mich zu Peter um:
»Bist du sicher, dass das hier Irland ist? Oder sind wir versehentlich auf Gran Canaria gelandet?«
Ich bekam keine Antwort. Peter war genauso perplex wie ich. Wir rissen uns die dicken Fleecejacken vom Leib, es hatte mindestens fünfundzwanzig Grad Celsius! Stöhnend bestätigte das schwitzende Bodenpersonal des Flughafens unsere Einschätzung. Sie sagten, das ginge nun schon seit Tagen so, es sei kaum auszuhalten.
Zum ersten Mal wurde die Autofahrt vom Flughafen zum Ferienort kein Kampf gegen Sturm und Nässe auf rutschigen Straßen, sondern ein Ausflug in die Sommerfrische bei heruntergekurbelten Fenstern. Wir genossen das angenehme Schaukeln in dem großen, komfortabel gefederten Citroen und erreichten nach drei Stunden völlig entspannt die Westküste.
In Galway parkten wir den Wagen hinter dem Einkaufszentrum, spazierten an den docks entlang, über die Brücke des Corrib und durch die Innenstadt. In dem gleißenden Sonnenlicht wirkte Galway wie ein Touristenort an der Côte d'Azur. Doch ob Sturm, Regen oder Hitze, diese Stadt hatte es uns angetan.
Einige Kilometer außerhalb Galways, an der Küstenstraße bei Spiddle, hatten wir ein Ferienhaus angemietet. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und bot einen fantastischen Blick über die gesamte Galway Bay. Der Garten fand seine Grenze erst in den Gezeiten. Björn würde sagen, ein Grundstück mit Meeranstoß.
Jonas zog sich eine Badehose an und fragte unbeeindruckt nach dem Sandstrand.
Die Uferzone war hier zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich, sie war quasi falsch herum. Der feine Sand lag als breiter Streifen oben am Haus, gleich anschließend an den Rasen. Von dort aus führte ein komfortabler Weg hinab zum Strand, rechts und links gesäumt mit Steinen, oben kleine Kiesel, weiter unten größere.
Jonas beschwerte sich nicht und machte sich mit zwei kleinen Eimern auf den Weg, um das alles, Sand, Steinchen und Wasser, irgendwie zusammenzubringen.
Je weiter man vom Garten hinabstieg, desto mächtiger wurden die Steine. Vor der Küste schließlich brachen sich die Wellen an riesigen glattgespülten Felsbrocken. Das war günstig, denn so wurde die Gewalt der Flut abgemildert und es erreichten nur noch sanfte Wellen den Strand. Wir wurden nicht nassgespritzt und das Kind konnte gefahrlos spielen.
Wir wateten barfuß im Meer, legten uns, nur mit einem dünnen T-Shirt und kurzer Hose bekleidet, auf die großen warmen Steine und konnten es kaum fassen. Ein mediterraner Sommer in Irland – im April!
Am nächsten Morgen brannte die Sonne bereits um zehn Uhr morgens von einem makellos blauen Himmel herunter. Alle Nachrichten drehten sich ums Wetter. Die Hitzewelle hatte die gesamte Insel erfasst. Es wurde von vielen älteren Menschen berichtet, die mit Kreislaufzusammenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert worden waren. Seit über einer Woche schon hatte es keinen Tropfen geregnet. Wenn es so weiterginge, würden die Schafe auf den verdorrenden Feldern kaum mehr saftiges Grün finden.
Was für ein Wahnsinn! Was bei uns, nach anfänglicher Verwirrung, Freude auslöste, ließ die irische Bevölkerung in Panik geraten und den Zustand ihres Landes mit dem der Wüste Sahara vergleichen. Dabei war doch einfach nur mal schönes Wetter!
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