Es war bereite nach sechzehn Uhr, als wir das Schloss erreichten.
Ardtarmon Castle war ungefähr im Jahre 1648 erbaut worden und im frühen achtzehnten Jahrhundert bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Erst die Familie Schiller hatte es im zwanzigsten Jahrhundert wiederaufgebaut. Dieses Bauwerk ähnelte wirklich einem alten Schloss, nur dieses hier hatte, im Gegensatz zu den steingrauen Schlössern, die wir bisher in Irland gesehen hatten, einen kräftig gelben Anstrich und das Dach war mit glatten dunklen Schieferplatten gedeckt. Bis zum Strand mochten es nur noch ungefähr fünfzig Meter sein. Dieses Haus zählte also zu jenen, die ganz nahe am Wetter gebaut waren. Als wir ausstiegen, merkten wir, wie nahe. Die spürbar stark bewegte Luft trieb uns die Tränen aus den Augen und rüttelte an unseren festgezurrten Kapuzen.
Wir wurden von dem jüngsten der drei Kinder empfangen. Bianca war gerade achtzehn geworden, ging noch zur Schule und war ausnehmend hübsch. Überraschenderweise bat sie uns, die Schuhe auszuziehen. Wie wir schnell feststellten, handelte sich hierbei weder um eine Sitte, noch darum, die Böden nicht zu beschmutzen.
Strumpfsockig durchquerten wir die Halle und waren erstaunt: Die schönen, dunkelgrauen, naturbelassenen Granitfliesen waren warm. Das gesamte Schloss war mit Fußbodenheizung ausgestattet. Das war damals noch außergewöhnlich fortschrittlich!
Anmerkung:
Die Iren standen dieser Art von Beheizung eher skeptisch gegenüber. Sie waren gewöhnt, dass alles Neue schnell kaputtging und durch ein Provisorium ersetzt werden musste. Den Fußboden aufschlagen zu müssen, um die defekte Heizschlange zu finden, erschien ihnen ziemlich lächerlich. Heute noch nehmen die meisten ihre feuchten Häuser als gottgegeben hin und werfen zufrieden Torf in den Kamin.
Die Familie Schiller hatte, handwerklich äußerst versiert, die Heizschlangen für die Fußbodenheizung sorgfältigst selbst verlegt und sich ein wunderschönes, gemütliches Zuhause geschaffen. Die Räume waren hoch, geräumig und behaglich eingerichtet. Dunkelbraun gebeizte Buchenholzbalken verzierten die Decken und durch die hohen Fenster konnte man bequem nach draußen sehen. Vom stürmischen Wetter aber war hier drin hinter den dicken Mauern wenig zu spüren, nur das Pfeifen des Windes war zu hören.
Holger Schiller traf kurz nach uns ein und übergab seiner Tochter einen Lachs.
»Aber Dad, im Räucherofen hängen noch die von gestern.«
»Dann machen wir Graved Lachs.«
Herr Schiller berichtete, Angeln sei eine seiner Leidenschaften, viele Vormittage würde er damit verbringen und manchmal, so wie heute, dauerte es auch etwas länger. Er "ging" meist auf Lachse, die aß die ganze Familie am liebsten, deswegen hatten sie sich auch einen Räucherofen gebaut. Aber, fügte er lächelnd hinzu, selbst fangen könnte man Lachse kaum, das wäre purer Zufall, er hole sie sich immer auf dem Heimweg beim Fischer. Auf jeden Fall käme er stets ziemlich durchgefroren nach Hause.
Er schob einen Sessel vor den großen lodernden Kamin, stellte einen Hocker davor, setzte sich, legte die Füße hoch, entzündete genüsslich eine Zigarre und erklärte:
»Ein wenig Wärme braucht der Mensch.«
Danach schloss er die Augen und sagte erst mal nichts mehr. Für einige Minuten schien er völlig in sich zu ruhen. Man hörte nur das Knacken des Holzes im Kamin.
Natürlich sprachen wir dann über "Graved Lachs", wörtlich: eingegrabener Lachs, eine Methode des Haltbarmachens. Der Vergleich unserer Rezepte ergab eine nahezu hundertprozentige Übereinstimmung: Achtzig Gramm Salz, sechzig Gramm Zucker, Kräuter nach Gusto, mit einer Platte beschweren, bis zu sieben Tage im Kühlschrank lagern, abwaschen, fertig. In Scheiben geschnitten mit einer Soße nach Wahl, eine Delikatesse.
Bei Tee und Keksen plauderten wir noch lange mit Holger Schiller. Die Zeit verflog im Nu. Nach Stunden erst verabschiedeten wir uns, vereinbarten, in Kontakt zu bleiben und waren beeindruckt – von dem Mann und seinem castle.
03. Hausbesichtigungen, vorwiegend feucht
Am folgenden Tag rief Björn an. Es gäbe am Lough Glencar, einem kleinen See in unmittelbarer Nähe, zwei kleine Häuschen einer irischen Familie, die zum Verkauf standen. Es sei zwar nicht direkt in Küstennähe, so wie wir es uns gewünscht hatten, aber einzigartig. Wir würden alle profitieren, erklärte Björn, er kümmere sich um seine Kunden, indem er neue Interessenten akquiriere und wir bekämen etwas Ausgefallenes zu sehen. Natürlich sagten wir zu. Je mehr wir besichtigen dürften, desto klarer würden sich unsere Wünsche herauskristallisieren – im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten.
Wir trafen uns mit Björn bei der Tankstelle nahe des Yeats Memorial an der Hauptstraße N15 und fuhren ihm hinterher. Das war gar nicht so einfach, denn Björn fuhr, als nähme er an einer Rally teil. Wie wir im Laufe der Zeit zur Kenntnis nehmen mussten, war das sein ganz normaler Fahrstil.
Es war keine lange Fahrt, für die Steigerung des Adrenalinspiegels aber ausreichend, so klein, eng und kurvig waren die Sträßchen. Peter stieg aufs Gas, um den Anschluss nicht zu verlieren. Nach zwanzig Minuten bremste Björn scharf und bog links in einen Schotterweg ein. Nun ging es steil bergauf. Wir vermuteten, uns auf der südöstlichen Seite des imposant aufragenden, 526 Meter hohen Tafelberges Ben Bulbin zu befinden. Aufgrund seiner eigenwilligen Form und seiner Schönheit war er zum Wahrzeichen Sligo ' s geworden und ein begehrtes Objekt für Postkartenfotos. Allerdings kannte ich ausnahmslos Aufnahmen der Westansicht, auf denen er sich majestätisch vom flachen Land in den blauen Himmel erhebt und die Sonne schillernde Farben auf seine glatten Felswände zaubert.
An dem Ort, an dem wir uns gerade aufhielten, wurde mir eher angst und bange. Der Berg wand sich an dieser Stelle nach Norden und gleich darauf wieder nach Süden. Wir fuhren, immer noch aufwärts, geradewegs in die Spalte dazwischen. Plötzlich führte der Weg ein paar Meter geradeaus und endete direkt vor einem steilen Felsmassiv, vor dem Björn sein Auto geparkt hatte. Heute war er übrigens mit einem kleinen roten Flitzer unterwegs, nicht mit dem Jeep.
Die nahen, hohen Felswände und die düstere Enge wirkten einschüchternd und bedrohlich, das diffuse Licht vermittelte das Gefühl, in dieser Klamm gefangen zu sein. Wir ließen die befremdlich anmutende Natur auf uns wirken und staunten über die landschaftliche Vielfalt der Insel.
Björn berichtete, dass der Lough Glencar einen ansehnlichen Fischbestand habe und dass man hier ohne Genehmigung angeln dürfe. Er lag auch grundsätzlich richtig mit seiner Annahme, dass dieser Umstand für Peter als Hobbyangler attraktiv war. Die Fische würden sich weiterhin gut vermehren, es machte nicht den Eindruck, als wenn sich oft ein Mensch hierher verirrte. Der kleine idyllische See jedoch, das muss fairerweise erwähnt werden, sah von oben ganz reizend aus.
Der Wohngelegenheit zugewandt bot sich uns ein skurriler Anblick: Zwei Häuschen hingen in der Steilwand. Es sah so aus, als wären sie im freien Fall zufällig hier steckengeblieben.
Zwei Iren, Brüder, wie wir erfuhren, hatten das Stück Fels an diesem ungewöhnlichen Ort geerbt und den Mut gehabt, hier zu bauen. Die beiden Männer kamen aus einem der Häuser, begrüßten uns freundlich und luden uns zunächst zu einem Rundgang um die Häuser ein. Das war eine gute Idee, die Gelegenheit dazu würde nicht günstiger werden, es regnete gerade nicht und der tiefhängende Nebel war aufgerissen und gab die Sicht auf den See frei.
Ein leises Rauschen war zu hören. Wir fragten nach. Der Glencar Waterfall befand sich in unmittelbarer Nähe. Das erklärte den permanenten Nebel, hieß aber auch, dass wir uns gar nicht auf dem Ben Bulbin , sondern auf dem Truskmore befanden, der zur gleichen Gebirgskette, den Dartry Mountains , gehört und mit seinen 647 Metern den Ben Bulbin noch überragt.
Читать дальше