„Damit könnte ich dich tief in den Arsch ficken, mein Lieber, du liegst ja schon so günstig da! Wo ist dein Geld?”
„Helft mir! Ihr seid zu dritt, er alleine!” Der Fettwanst versuchte seine Kumpanen zur Unterstützung zu bewegen, diese saßen immer noch, wie zu Tonfiguren erstarrt, am Tisch. Jeder von ihnen, so konnte ich beobachten, hielt sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest. Sie sahen wie drei Murmeltiere aus, sogar die Gesichter mit den weit geöffneten Augen passten dazu.
Ich durchsuchte die Taschen des Schwitzsackes, fand aber keine Geldbörse. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn umzudrehen. Als der sich dagegen wehrte, schlug ich ihm mit dem Holzbein über die Hand und spürte sofort einen Finger brechen. Er schrie wie ein in Panik geratenes Ferkel auf.
„Luczizcki!”, donnerte es wieder von der Bar aus.
Dessen, und von dem Gequietsche des Freiers unberührt, setzte ich mein Vorhaben fort und drehte das Nilpferd auf seinen Bauch. In seiner Gesäßtasche fand ich dann auch endlich, wonach ich suchte. Ich zog ein dickes Bündel verschwitzter Geldscheine, das sowohl aus kenianischen Schilling wie auch aus amerikanischen Dollar bestand, heraus. Ich wollte ihm noch eins mit dem Stuhlbein über seinen fetten Hintern braten, ließ es aber dann doch sein, packte stattdessen das verblüfte Mädchen bei der Hand, half ihr auf die Beine und wir spazierten Hand in Hand aus dem “Mama Coco´s“.
„Luczizcki, Sie haben Lokalverbot, diesmal meine ich es ernst!”, hallte es noch hinter uns.
„Auntie T wird mich umbringen!”, war das Erste, was das Mädchen von sich gab, nachdem wir um die nächste Ecke bogen und aus dem Blickwinkel des “Mama Coco´s” verschwunden waren.
„Wie heißt du denn überhaupt und vor allem, wie alt bist du?”
„Roxette, und ich bin achtzehn.”
„Hübsches Ding, mich brauchst du nicht anlügen. Ich bin der Luczizcki, und ich bin keiner von denen!”, belehrte ich sie und deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der wir gerade kamen.
„Ihr Mzungus, ihr seid doch alle gleich”, sagte sie trotzig und zog sofort ihren Kopf ein, so als würde sie die nächste Ohrfeige erwarten.
„Ich bin der Luczizcki und kein Mzunugu, ich bin also nicht wie die!”
Mzungu war der Begriff, den die Menschen hier für alle Weißen verwendeten. Ich konnte mich nicht damit anfreunden, dass dieser Begriff kaum negativ untermalt war. Wenn ich daran dachte, wie viel Negativität und böses Blut der Ausdruck Neger in sich trägt, frage ich mich doch, wieso es umgekehrt nicht ebenso läuft. Schließlich beschreiben beide ein und dieselbe Sache - die Hautfarbe. Überhaupt musste ich mit Bedauern und nicht selten mit Entsetzen feststellen, wie bereitwillig die Einheimischen ihre Rolle des vermeintlich Schwächeren annahmen, während die Europäer auf den Straßen herumspazierten, als hätten sie den Hodensack erfunden. Die Geschichte hat uns doch allen schon eindrucksvoll bewiesen, dass solange ein Unterjochter nicht selber aufbegehrte und das Joch abwirft, der Unterjochende niemals freiwillig einen Schritt in diese Richtung setzen würde. Was ich jedoch sah, war breites Grinsen, gesenkte Häupter und eine unterwürfige Haltung, sobald der Weiße mit seinem dicken Geldbeutel herangetänzelt kam. Traurig - ja, geradewegs entsetzlich.
„Und, was wollen Sie jetzt tun, Luczizcki? Auntie T wird mich umbringen, oder noch schlimmer, aus dem Haus jagen und mich auf die Straße setzen. Ich heiße Tana Nkata. Ich komme aus Busia, das ist an der Grenze zu Uganda. Ich bin vor zwei Jahren von daheim ausgebrochen und hierhergekommen. Meine Eltern würden mich niemals wieder aufnehmen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob sie noch leben. Ohne Auntie T wäre ich auch schon lange nicht mehr am Leben. Jetzt wird sie mich aus dem Haus werfen… Ich bin verloren!” Sie entriss mir ihre Hand und fing herzzerreißend zu weinen an. „Alles wegen Ihnen, Luczizcki, wieso können Sie nicht einfach Ihr Bier trinken und sich aus den Angelegenheiten anderer heraushalten?”
„Aber, aber, kleines Ding, du musst jetzt nicht weinen! Ich werde mit Auntie T schon reden und ihr alles erklären. Du hast ja das Geld bekommen, deine Auntie wird nichts vom Geschäft einbüßen müssen.”
„Dieser Fettsack wird ihr alles erzählen! Sie wird mich umbringen!” Die junge Hure Tana heulte noch lauter.
„Ich werde mit ihr reden!”
„Wie wollen Sie mit ihr reden, Luczizcki? Wie wollen Sie das anstellen? Niemand weiß, wer hinter diesen Namen überhaupt steckt. Wir bekommen ihre Aufträge per Textnachricht und unseren Anteil von ihren Haudegen überreicht, die auch zum Geldeintreiben kommen. Wenn eine von uns Mist baut, schauen diese vorbei und verprügeln uns oder schmeißen uns aus dem Haus. Wenn das passiert, sind wir gebrandmarkt! Wir dürfen dann nie mehr arbeiten, nicht hier in Malindi, nicht in Watamu, nicht einmal in Lamu oder Mombasa! Auntie T kontrolliert alles! Wer es sich mit ihr verscherzt, ist so gut wie tot, auch wenn ihre Schergen sie noch am Leben lassen sollten.”
„Das ist doch alles nur ein Hirngespinst, Tana, das weißt du doch. Das sind Geschichten um euch zu erschrecken. Nichts weiter als das.”
„Luczizcki, woher wollen Sie das wissen? Dieser Fettsack wird sicherlich auch Ihnen wehtun wollen, ich bin sowieso schon so gut wie tot.”
„Bist du wirklich schon achtzehn, Tana?”
„Achtzehn?” Sie lachte laut auf. „Ich wäre da schon längst verheiratet und würde irgendwo in Europa oder Kanada oder sogar Australien wohnen. Ich bin sechzehn, Luczizcki, und wegen dir werde ich sicher auch kaum viel älter.”
In diese unglückliche Unterhaltung vertieft, bemerkte ich gar nicht, wohin sie mich führte. Plötzlich standen wir vor einem Gebäude in einer Straße, wo Bauarbeiter versuchten eine asphaltierte Straße über den Schotterweg zu legen. Es wurden Kanäle gegraben, Fundamente gelegt. Gleichzeitig fuhren Motorräder, Tuk-Tuk´s und Autos zwischen all diesen Gruben und Löcher hindurch. Ich traute mich zu wetten, dass die Arbeiter unmöglich innerhalb der nächsten zwei Jahre mit ihrer Straße fertig werden würden.
Das Gebäude hatte drei Stockwerke und sah so aus, als hätte man auch dieses Projekt frühzeitig aufgegeben. Die Wände waren, bis auf die Fassade, unverputzt, die Stromkabel hingen überall lose heraus, es gab keine Fenster, nur Moskitonetze und der Eingangstüre fehlte ein Schloss.
„Das ist das Haus, aus dem du Angst hast, rausgeschmissen zu werden?”, fragte ich ungläubig, während ich meinen Blick über die vergilbte grüne Fassade auf- und abschweifen ließ.
„Sie verstehen gar nichts, Luczizcki, gar nichts!”
Ich wanderte mit meinem Blick über die angrenzenden Gebäude und bemerkte schnell, dass Tanas Haus in einem vergleichsweise guten Zustand war. Vielleicht hatte sie ja recht und ich verstand wirklich nichts.
Sie schob die Tür auf und ein Geruch nach Katzenpisse und Moder strömte in die sowieso schon heiße und verstaubte Luft hinaus. Auf den Treppen, die sich dahinter befanden, saß ein Mädchen welches etwas älter als Tana sein musste. Sie hatte ein Netz über ihre Haare gespannt, ihre Titten hingen wie zwei zur Seite deutende Schläuche in ihrem Tanktop und sie machte sich gerade die Nägel.
„Spinnst du Tana? Du darfst keine Kunden hierher mitbringen!” Sie sprang erschrocken auf. „Verzeihung, ich meinte natürlich Roxette!”, fügte sie hinzu, nachdem sie mich noch einmal ansah und eingehender musterte.
„Das ist kein Kunde, der Luczizcki hat mich vor dem Fettsack gerettet, der anfing, mich im `Mama Coco´s´ zu verprügeln.” Danach sprach sie in Kisuaheli weiter, wahrscheinlich schilderte sie ihrer Freundin, die sich später als Zola alias Joyce vorstellte, den Hergang.
„Auntie T wird dich verbannen, wenn nicht gar umbringen”, befand die, sobald Tana am Ende ihres Berichts angekommen war und ihr das Bündel Geld zeigte, welches ich ihr überreicht hatte. „Am besten nimmst du das Geld und machst dich sofort aus dem Staub.”
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