„Nicht weinen, Darling“, sagte Terence und wischte ihr zärtlich eine Träne von der Wange. „Trink.“
Sue nahm einen Schluck. „Ein guter Jahrgang“, sagte sie.
„So wie du.“
Ach Terence, dachte sie, irgendwie findest du trotz allem immer wieder genau die richtigen Worte. Der Champagner schickte ein wohlig-warmes Prickeln durch ihren Körper und legte über ihre Augen einen Weichzeichner. Mit einem glückseligen Lächeln lehnte sie sich zurück und ließ ihren Blick durch das Restaurant schweifen. Alles war so schön hier, so zurückhaltend exquisit: Die kostbaren Lüster, die erlesenen Hölzer der Wandtäfelung, die makellos gestärkten elfenbeinfarbenen Tischdecken, die Roben und der Schmuck der weiblichen Gäste (was das Aussehen derselben betraf, half der Weichzeichner zum Teil enorm), das leise Klirren des altmodischen Silberbestecks, selbst der dezent französische Akzent des Kellners, der mit einem kleinen Gruß aus der Küche an ihrem Tisch aufgetaucht war. Er servierte ein stylisches Etwas auf einem kleinen Teller, das sich als Feige im Rohschinkenmantel entpuppte.
„Feigen, so, so“, murmelte Terence.
„Was, so, so?“, fragte Sue.
Terence senkte seine Lider und setzte etwas auf, das er wohl für einen Schlafzimmerblick hielt. Tatsächlich wirkte er eher wie ein Schmierenkomödiant, der versuchte Valentino zu sein.
„Sie machen gelüstig und haltlos.“
Sue kicherte. „Gelüstig? Wo hast du denn dieses Wort her?“
„Hildegard von Bingen.“
„Du beschäftigst dich mit einer deutschen Nonne, die im Mittelalter gelebt hat?“
„Wenn sie Dinge weiß, die mit gelüstig zu tun haben, auf jeden Fall.“
„Übertreiben die hier nicht ein wenig, wenn bereits der Gruß aus der Küche gelüstig ist? Ich hoffe, wir erleben noch den Rest des Menüs, ohne dass wir explodieren.“
„Entspanne dich. Die arbeiten nach dem Motto Gas geben, Bremsen, Gas geben, und so weiter.“ Terence lächelte vielsagend.
Sue lächelte etwas gezwungen zurück. Die Stop-and-Go-Technik gehörte zum täglichen Brot ihres Mannes. Er empfahl sie allen Männern, die zu früh kamen. Leider nützte sie nichts, wenn man gar nicht mehr kam.
Den anschließenden Salat mit Avocado und Riesencrevetten sowie das Karotten-Koriander-Süppchen überstanden sie jedenfalls, ohne übereinander herzufallen.
Beim Stubenküken mit Gemüse blitzte in Sue plötzlich die Besorgnis auf, ob es Amy und Philipp gut ginge. Aber Amy war fünfzehn, und eine Nacht alleine mit ihrem kleinen Bruder würde sie doch hinbekommen. Oder?
„Zuhause ist bestimmt alles in Ordnung“, sagte Terence unvermittelt und tätschelte beruhigend ihre Hand.
„Woher weißt du ...“, fragte sie staunend.
„Ich kenne diesen Blick“, antwortete er gleichmütig. „Den setzt du immer auf, wenn du zur Glucke mutierst. Außerdem hast du nach oben rechts gesehen, was bedeutet, dass du etwas visuell konstruierst. Wahrscheinlich hast du dir ein Schreckensszenario mit einem blutenden Philipp vorgestellt und einer Amy, die nichts davon mitbekommt, weil sie seit 40 Minuten unter der Dusche steht.“
Das kam dem, was sie sich tatsächlich vorgestellt hatte, ziemlich nahe. Es hatten nur noch entlaufene Triebtäter mit einer Vorliebe für Schusswaffen gefehlt. Verlegen verstümmelte sie das Stubenküken mit dem schweren Silberbesteck. Gleichzeitig ärgerte es sie gewaltig, dass sie so leicht zu durchschauen war. In ihrem nächsten Leben würde sie keinen Mann in ihre Nähe lassen, der das Wort Psychologie auch nur buchstabieren konnte.
„Ich kann nicht mehr“, seufzte Sue, als schließlich der Dessertteller vor ihr stand. Eine Komposition mit Mango und Eispraline an Schokoschaum. Der Griff zum Löffel erfolgte jedoch überraschend schnell. „Das sieht einfach zu schön aus, um es unbeachtet liegen zu lassen.“
Dann würden sie in der Bar einfach etwas schneller tanzen, Samba zum Beispiel. Durch die sexy Bewegungen würde sich jegliches Völlegefühl in null Komma nichts abbauen. Nachdem sie den ersten Bissen der saftigen Frucht, die aufreizend aufgeblättert vor ihr lag, gekostet hatte, meinte sie: „Irgendjemand hat mal erzählt, dass die Inder nur ab und zu Mangos essen.“
„Wieso das?“ Terences Lippen glänzten feucht vom Saft der Mango.
„Sie macht angeblich heißes Blut.“
Terence fühlte seinen Puls.
„Ich glaube nicht, dass du Hitze am Puls ablesen kannst“, erlaubte Sue sich zu erwähnen.
„Oh doch, Darling. Je heißer, desto schneller.“ Er nickte. „Mir scheint, die Betriebstemperatur ist erreicht.“
Sue musste kichern und tastete sich unter dem Tisch mit ihrem rechten Fuß seinen Oberschenkel hinauf. Da regte sich etwas. Eindeutig. Terence sah sie an. Aus diesen bernsteinfarbenen Augen mit den dunklen Flecken, die sie noch immer schachmatt setzen konnten.
„Gehen wir nach oben?“, sagte er und legte den Löffel beiseite.
„Wollten wir nicht noch tanzen?“ Kurz flammte Enttäuschung in ihr auf. Sie hatte sich so darauf gefreut – andererseits war die Alternative genau das, weswegen sie hierher gekommen waren.
„Ich fürchte, ich kann nicht mehr warten.“
Sie nickte. Es war so weit. Sie war bereit.
Als Terence ihr Minuten später leidenschaftlich die Kleider vom Leib riss, reagierte Sue wie circa 99,9 % aller Frauen: Bevor sie sich dem tornadoartigen Rauschen ihres Blutes und den Wellen der Lust, die mit Stärke 10 in ihrem Körper tobten, hemmungslos hingab, war sie mehr als erleichtert, dass sie den ganzen Vormittag bei Pandora’s Box, dem angesagtesten Schönheitssalon Londons, verbracht hatte. Fast wäre nichts daraus geworden, weil Terence ihr noch einen ganzen Packen Patientenakten zur Abrechnung mit den Worten „Es wäre gut, wenn die noch vor den Ferien raus gingen“ auf den Schreibtisch gelegt hatte. Reflexartig hatte sie prompt zum Hörer gegriffen, um ihren Termin zu stornieren, war dann aber zur Vernunft gekommen (was Terence sicher ganz anders gesehen hätte). Das konnte doch jetzt wirklich nicht wahr sein! Wenn sie die Termine und Verabredungen zusammenrechnete, die sie die letzten Jahre absagen musste, weil das „Unternehmen Urquhart“, wie Terence es immer nannte, sie brauchte, käme ein stattliches Sümmchen zusammen. Stattlich?, dachte Sue. Es war vielmehr beschämend, dass sie sich immer überfahren ließ und auf Dinge, die ihr wichtig waren, verzichtete. Doch dieses Mal nicht – sie würde die Akten einfach liegen lassen. Jedoch nicht, ohne zuvor online den Kontostand zu überprüfen, schließlich war sie ein braves Mädchen und die zuverlässigste Mitarbeiterin ihres Mannes. Das Konto stand in einem beruhigenden Plus. Wozu also die Eile? Ihr Hochzeitstag war wichtig, und Akten waren geduldig.
Und wie es sich gelohnt hatte, einmal nicht wie erwartet zu funktionieren: Ihre Haut war weich wie die eines Babys (Meersalz-Peeling, 30 Minuten), ihr Teint strahlte von innen (Spezial-Lifting-Massage bei Moira, 1 Stunde), und ihre Frisur hatte genau die lässige Ausstrahlung, die zwischen Dame von Welt und Betthäschen lag (2 Stunden Strähnchen bei Chaz und danach Manuels perfekte Föhntechnik).
Nicht dass Terence das im Moment auch nur eine Sekunde interessiert hätte. Nachdem er ihren Busen mit feurigen Küssen bedeckt hatte, drückte er sein Gesicht fordernd gegen ihres. Ihre Münder verschmolzen zu einem Zungenkuss, der so wild und süß war wie ihr erster, im April 1990 in einem zugigen WG-Zimmer in Berlin. Sues Knie wurden weich vor Hingabe und sie ließ sich bereitwillig von Terence zum Bett tragen, dessen Kissen im Kerzenlicht wie Perlmutt schimmerten. Sie fühlte sich wie eine Königin, als sie seine starken Arme um sich spürte. Nichts konnte ihr geschehen, solange er bei ihr war. Sanft bettete Terence sie auf das wunderbar kühle Laken und legte sich auf sie. Als sein Gewicht sie tief in die Matratze drückte, durchzuckte sie ein spontaner Orgasmus.
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