Der Delfinmensch sprach erstaunt: „Es ist schon beeindruckend für mich, dass ich so deutlich Bilder von inneren Hühnern wahrnehmen konnte, die es in meiner von Wasser geprägten Welt doch gar nicht gibt.“
Andrea, als Psychologin und Fachfrau, kannte natürlich das Phänomen aus ihrer Praxis und dozierte selbstbewusst: „Sie können mit dieser Methode jederzeit einen Elefanten in einen Fleck verwandeln, ihn verschwinden lassen und umgekehrt. Wenn Sie den Fleck da lange genug anstarren, dann haben Sie plötzlich einen Elefanten… Haben Sie schon bemerkt, mit welcher Leichtigkeit das in der Zwischenzeit funktioniert? Wenn Sie sich etwas lange genug in den Kopf setzen, brauchen Sie keine Vorversuche mehr! Das liegt dran, dass unser Gehirn in Bildern, Geräuschen, Geruch, Geschmack und Gefühl denkt, andere Informationen kennt es ja nicht. Es ist nur über die Sinnessysteme mit der Außenwelt verbunden.“ Dann wandte sie sich direkt an die Teilnehmer und fragte: „Sind Sie bereit zu einem kleinen Experiment, das das verdeutlicht?“
Die sBarcamp-Teilnehmer stimmten zu und bereiteten sich auf eine interessante Erfahrung vor.
Andrea fuhr fort: „Denken Sie nun bitte an ein Huhn… haben das alle?“ Sie wartete, bis alle genickt hatten und stellte danach die Fragen: „Wie genau sieht denn das Huhn aus, an das Sie gerade denken?“
Frau Schaf berichtete: „Das Huhn ist weiß und hat einen leuchtend roten Kamm – so nennt man doch das Hautgebilde auf dem Kopf – oder?“
Dr. Engström beschrieb sein Huhn ganz anders… Sein Huhn war braun gefleckt, sah ihn verführerisch an und begann nach einem Augenaufschlag zu gackern.
Albert sprach von einem schwarzen Huhn, das gerade Brotkrumen aufpickte, die es eigenartigerweise unter dem Tisch in einem thailändischen Restaurant entdeckt hatte – so ein Quatsch!
Der Delfinmensch beschrieb ein braun-weiß gemustertes Huhn, das neben einem Hahn in einem Biologiebuch abgebildet war, denn in seiner Welt kamen Hühner eher selten vor.
Egbert von Greifenklau, der das Experiment ebenfalls mitgemacht hatte, sah ein grau-weiß geflecktes Huhn, das gerade aufflatterte und dabei einen grünen Klecks in der Luft verlor, den er als Facility-Manager natürlich mit seinem Team wieder wegputzen musste – wie ärgerlich. Seine Vorstellung ging noch weiter. Er sah wie ein Lastwagen voller Hühner in der Bibliothek ausgeladen wurde und er wurde sichtlich nervös. Unwillkürlich kratzte er sich im Nackengefieder.
Alle hatten unterschiedliche Hühner vor ihrem geistigen Auge – je nachdem, welche Erfahrungen sie mit Hühnern bereits gemacht hatten.
Soweit, so gut … nun stellte Andrea eine weitere interessante Frage: „Was genau haben Sie getan, um mir die Hühner beschreiben zu können? Fällt Ihnen dabei etwas auf?“
Nach kurzem Nachdenken waren sich alle Beteiligten einig darüber, dass sie die Hühner vor ihrem geistigen Auge gesehen hatten bzw. immer noch sehen, wenn sie darüber nachdenken und sprechen. Sie konnten sie genau betrachten und detailliert beschreiben, um die Fragen zu beantworten.
„Sehen Sie, meine Damen und Herren, das nennt man visuell erinnern. Damit nicht genug – das Experiment geht weiter… Denken Sie nun wieder an das Huhn, das Sie mir gerade beschrieben haben und ändern Sie die Farbe – lassen Sie allen Hühnern blaue Federn wachsen… lassen Sie das Huhn auf Mausgröße einschrumpfen und nun erschaffen Sie quadratische Hühner-Augen, die Sie interessiert anblicken… Betrachten Sie Ihr Werk eine Weile und gönnen Sie Ihrem Huhn nun wieder seinen Ursprungszustand“, leitete Andrea die Gruppe an.
Fast alle waren erstaunt, dass ihnen die Kreation der inneren Hühner so gut gelungen war. Sie hätten jetzt die mausgroßen blauen Hühner mit quadratischen Augen auch zeichnen oder malen können, natürlich jeder im Rahmen seiner künstlerischen Begabung bzw. seiner antrainierten künstlerischen Fertigkeiten.
„Das, was Sie gerade erlebt haben, nennt man visuell konstruieren. Vorhin haben Sie visuell erinnert. Beide Vorgänge gehören zum Überbegriff Visualisieren“, dozierte Andrea abschließend.
„Das stimmt“, bestätigte Frau Schaf, „wenn ich so in die Runde schaue, sehe ich Kopfnicken. Darum schlage ich vor, lassen Sie uns an weiteren guten Fantasiereisen teilhaben, um unser Vorstellungsvermögen zu erweitern, indem wir uns neuen Themen widmen.“
„Da muss ich Ihnen vollkommen widersprechen!“, polterte Albert. „Es tut mir Leid, aber ich kann und will mir keine blauen Hühner vorstellen, das geht mir komplett gegen meine Verstandesnatur. Ich möchte bei der Realität bleiben und in der Wirklichkeit an Veränderungen arbeiten. Dazu brauche ich weder blaue Hühner noch quadratische Klapperschlangen! In diesem Moment fiel ein kleiner grüner Klecks auf die Stelle seines dritten Auges. Alle waren fasziniert davon, dass er plötzlich einem Inder mit Bindi ähnelte. Es mag sein, dass Albert die interessierten Blicke anders interpretierte, denn nun fühlte er sich motiviert, von seinen Erfahrungen aus Nicaragua zu berichten. Er begann: „Die Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht noch an den Contra-Krieg, in dem die USA mit illegalen Mitteln ihre Vormachtstellung in Lateinamerika sichern wollte. Wem hätte es genutzt, wenn wir uns schöne Bilder mit einer florierenden sozialistischen Landwirtschaft mit wohlgenährten Hühnern auf Kaffeeplantagen gemacht hätten? Da war es schon notwendig, den Kaffee in den Fokus zu nehmen und ein Vertriebsnetz in der Welt aufzubauen, um die Nicaraguaner in ihrer Bestrebung nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung vor allen Dingen materiell zu unterstützen! Was ist da wichtiger als die Reklame. Genauso wie Erdinger Weißbier und Zott Sahnejoghurt jedem Wesen in Deutschland bekannt sind, war plötzlich weltweit Nicaragua-Kaffee als Markenzeichen ein Begriff, zudem auf der Packung auch noch stand: „Die US-Regierung versucht das Modell Nicaragua in die Knie zu zwingen!“ Sowie: „Das Land drohe, ein Opfer des Ost-West-Konflikts zu werden.“ Meine Damen und Herren, das bewegte die Welt – nicht so ein Kack mit blauen Hühnern – und Nicaragua war in aller Munde und auch der Kaffee!“
Wohlwollend näherte Egbert von Greifenklau sich Albert mit einem Hüpfer und raunte:“ Entschuldigung Herr Muster, Sie haben da etwas auf der Stirn.“ Muster verstand im ersten Moment gar nicht den Hinweis, aber in der Kaffeepause rannte er doch zur Toilette und sah in den Spiegel. Er nahm ein Papiertuch zur Hand, um den kleinen grünen Klecks abzuwischen. Das gelang ihm nur oberflächlich, denn darunter hatte sich eine Hautveränderung, ein kleiner brauner Fleck gebildet. Als er in die Runde zurückkam, wirkte er irgendwie phlegmatischer.
Egbert von Greifenklau war noch lange mit sich selbst und der Frage beschäftigt: „Träume ich oder wache ich?“
In diesem Moment entdeckte er das Huhn, das auf einem der Ohrensessel saß und begann, die Geschichte Mühelos und federleicht vorzulesen.
… die Zuhörer fielen in Trance …
… nach deren Ende erwachten sie erfrischt und munter …
… und orientierten sich wieder ganz im Hier und Jetzt …
Träumen: Mühelos und federleicht
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