1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Rob klappte die Kapuze seines Pullovers runter, setzte sich in eine Ecke des Lokals, holte seinen Mac aus der Tasche und wartete auf das, was da kommen sollte. Als Lommel kam, sah er aus wie ein Existenzialist: schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Stoffhose, echte schwarze Lederschuhe, sogar poliert. Und ein neuer Haarschnitt. So elegant er war, zu elegant gewiss für den Rosenthaler Platz mit seinen zerbrochenen Glasflaschen, den Pennern, Touristen und Fastfood Lokalen, so wenig hielt er sich mit langen Vorreden auf.
„Rob, diese Diskussion über Online-Spiele hat mich zum Nachdenken gebracht. Du hast da wirklich Ahnung. Echt stark!“ Rob hatte sich überlegt, dass Lommel vielleicht besonders an Shotacons interessiert war und hatte ein paar Links zusammengesucht. Eigentlich konnte er ihm auch gleich seine Sammlung erogener Spiele zeigen. Lommel machte auf Rob einen irgendwie verklemmten Eindruck. Bisher hatten alle Männer diese Spiele gemocht. Aber er hatte sich getäuscht.
„Ich glaube, Rob, ich habe da die Idee für was Neues.“ Rob hatte keine Ahnung, was das sein könnte, nachdem seine eigenen Vermutungen offenbar doch falsch waren. Gab es Männer mit einer anderen Fantasie? Lommel trank langsam einen Schluck Latte, steigerte so die Spannung und sagte schließlich: „Wie schwierig wäre es, Online-Spiele für die Forschung zu nutzen – also für wirkliche, ernsthafte Arbeit?“ „Was soll das sein?“, fragte Rob überrascht. „Na ja. Also die Teilnehmer suchen sich ein Spiel und schreiben sich als Nutzer ein. Dann wählen sie eine existierende Spielefigur aus dem Angebot oder basteln sich einen Avatar. Dann geht’s los, stimmt’s? Sie spielen, kämpfen, kaufen, verkaufen, flirten und haben von mir aus auch Sex, O. K.?“ „O. K.“, sagte Rob und hatte keine Ahnung, wo es hinging. „Gut. Gleichzeitig nutzen sie denselben Computer für andere Aufgaben. Gleiche IP-Adresse, ein Profil für Spiele und eines ‚für das wirkliche Leben‘.“ „Na und? Das ist ja normal.“ „Gut, umso besser. Als Psychologe interessiert mich dabei: Was passiert zwischen dem Spieler und seinen Figuren – im Vergleich des ‚realen‘ zu seinem ‚online‘ Leben, verstehst du? Übernehmen die Figuren andere Rollen? Agieren die Figuren dramatisch anders als deren Lenker – wenn sie im wirklichen Leben unterwegs sind? Oder bleiben die Spieler im Grunde die gleichen Menschen – on-, wie offline, du verstehst?“ Rob nickte. Er hatte immer noch keine Ahnung, was das jetzt werden sollte. Nicht sein Fach. Aber auch noch nicht blöd. Lommel schaute kurz in das Lokal und machte weiter.
„Also, du interessierst dich doch für Kino, richtig? Dann weißt du doch auch, dass die meisten Schauspieler sich immer irgendwie ähnlich bleiben, egal, wen sie gerade spielen. Sie kommen dann doch nicht aus ihrer Haut raus – ihre eigene Persönlichkeit ist einfach zu stark. Sie sind Typen, nicht? Jetzt denk‘ mal an Laien – keinen Schauspieler. Können die einfach eine neue Sprache lernen? Ganz neue Verhaltensweisen? Es gibt ja diese starke Theorie, dass da Eskapismus im Spiel ist, und die Leute einfach ihr Alter Ego ausleben. Ich halte das für maßlos überschätzt.“
Rob hatte sich dazu noch nie Gedanken gemacht. Die Realität war vor allem für Leute, die sich nicht mit Spielen auskannten. Nicht umgekehrt. Er blickte Lommel ratlos an, der sich langsam in Fahrt redete. „Andererseits passieren die spannendsten Dinge auf dieser Welt immer da, wo sich zwei Sphären begegnen, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Da, wo sie sich begegnen, geht die Post ab: auf der Oberfläche von Zellen, bei der Berührung von Luft und See, sogar zwischen Frauen und Männern.“ Also doch, dachte Rob für sich. Aber er lag wieder falsch.
„Jetzt denk mal an den Übergang vom Schlaf zum Wachsein. Den Schlaf können wir nicht kontrollieren, beim Wachsein versuchen wir es. Wenn die eine Phase in die andere übergeht das ist der spannendste Moment. Da entsteht Neues.“ Langsam wurde es Rob zu viel. „Also du hattest ein Idee beim Aufwachen, O. K. Aber für das bin ich doch hier nicht, nein?“ „Nein. Ja. O. K., das ging vielleicht zu weit, sorry. Zurück zu den Spielern. Worum es mir eigentlich geht: Können wir beide Hälften aufzeichnen? Können wir Korrelationen zwischen beiden finden? Gibt es eine Übergangsphase, wo sich die Dinge signifikant verändern?“ „Michael, ich bin Programmierer. Ich schlaf, aber ich studier das nicht. Nicht so wie du“, sagte Rob. „Logisch. Ich bin immer noch bei den Spielen! Da kennst du dich viel besser aus – im Internet und bei Online-Spielen. Das ist doch genau das Gleiche: Leute träumen am Computer von einer anderen Identität, machen bizarre Sachen, und dann kehren sie zum normalen Leben zurück. Offline – nicht mehr in den Spielen. Aber sie sind immer noch eine Person. Wenn wir ihr Verhalten on- und offline aufzeichnen und analysieren könnten – also von ein und derselben Person! –, das wäre ein großer Schritt nach vorn.“ „Und wie soll das funktionieren?“, fragte Rob. „Ganz einfach. Erst mal sammeln wir all die Spuren, die eine Person im realen Alltag im Netz hinterlässt. Was sie so sagt, schreibt, wo sie hingeht und so weiter. So wie Google oder Facebook. Und dann checken wir, was genau die gleiche Person – also die gleiche IP-Adresse, nehme ich an – so in Online-Spielen anstellt. Kann sein, dass das nur ein Hacker rauskriegt. Kann sein, dass das alles offen liegt – davon habe ich keine Ahnung. Wichtig ist einfach, dass es die Daten aus beiden Welten von einer Person sind. Und dann wird’s spannend. Dann könnten wir nämlich alle Spuren durch unsere Analyseapparate laufen lassen – die psychologischen, meine ich natürlich. Werden die gleichen Kriterien on wie offline erfüllt? Ändert sich das Profil – so wie es die Eskapisten vorhersagen – oder bleibt es eher statisch, so wie bei manchen Schauspielern, die man einfach blind wiedererkennt? Ach ja, dann könnten wir auch noch in die veröffentlichten Profile einsteigen – also das ganze Zeug auf Facebook, XING,und LinkedIn und wie sie alle heißen. Verhalten sich die Leute privat genauso, wie sie sich in diesen Börsen verkaufen? Das ist die spannende Frage. Wenn wir das hinkriegen, könnten wir eine Menge Theorien überprüfen. Ohne dass jemand ins Labor muss, verkabelt wird oder Blut fließt wie bei den Biologen.“
„Verstehe. Und das soll ich machen?“, fragte Rob nicht ohne Ironie in der Stimme. „Erst mal müssen wir wissen, ob das schon jemand gemacht hat“, sagte Lommel. „Was soll denn dabei jetzt kommen heraus, vorausgesetzt, wir kriegen es hin?“, fragte Rob. „Also – ich lass mal die ganzen Namen von Theorien weg. Im Grunde geht es mir um den sogenannten ‚freien Willen‘. Warum tun wir das, was wir tun? Wonach entscheiden wir? Entscheiden wir genauso in beiden Welten? Folgen die Menschen dabei den gleichen Koordinaten auf ihren mentalen Landkarten, in ihrem Verhalten? Verschiebt sich was am Verhältnis zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und Neugierde, Kognition und Emotion, der Bereitschaft zu Gut und Böse? Das alles sind wichtige Fragen für die Konsumforschung, aber auch für Pädagogik und Recht.“ „Ziemlich komplizierte Kram“, sagte Rob. „O. K. Was fällt dir dazu noch ein?“ „Keine Ahnung. Muss ich nachsehen. Internet Security ist ein virulentes Thema – da kommen wir nicht drum herum. Aus kommerziellem Blickwinkel sind Spiele vielleicht noch wichtiger als Porn. Das bedeutet, wahrscheinlich hat sich jemand schon um deine Fragen gekümmert. Die populären Spiele laufen auf Facebook. Ich will dich nicht enttäuschen, Michael, aber auf dem Gebiet gibt es praktisch keine neuen Ideen mehr. No. Und, Verzeihung, Michael, du hast null Ahnung von der Materie, nil. Du weißt nicht, was abgeht und wieso. Wie damit Geld gemacht wird. Denn darum geht es ja eigentlich. Money. Und um nichts anderes. Schau dir nur mal das Geschäft mit Targeted Advertising an. Das ist riesig. Geld und …“ „Kannst du trotzdem mal nachsehen?“ „Klar. Ich kenne ein paar Leute, die kann ich auch fragen. Und checken, was das International Secure Systems Lab in Wien so zu sagen hat. In ein bis zwei Tagen weiß ich mehr.“
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