Ich erkannte auch diesmal wieder sehr schnell, dass meine Klasse in Grüppchen zusammenstand und die Gespräche verstummten wenn ich erschien.
Mein Gott, was hatte ich für ein Verbrechen begangen, das begehrteste Mädchen in unser Klasse zu meiner Freundin zu nehmen. Was wirklich zwischen uns geschehen war konnte ja niemand wissen.
Uli, der kleinste und naivste in der Klasse trat auf mich zu:
„Stimmt es was die ganze Klasse erzählt?“
„Was erzählt denn die ganze Klasse“, fragte ich treudoof?
„Na dass du mit Babsi geschlafen hast!“
Für einen Augenblick war ich völlig perplex und schaute Uli entgeistert an.
„Wie kommst du denn auf so einen Schmarren?“
„Hat mir Klaus erzählt!“
Aha, mal wieder dieser Intrigant!
„Dann bestell ihm mal schöne Grüße und wenn ich mit Babsi geschlafen habe wäre er der Letzte dem ich davon erzähle.“
Er wollte schon dienstbeflissen davonlaufen aber ich hielt ihm Arm zurück:
„Noch etwas Uli. Erzähle ihm, dass ich nach Schulschluss seine dämliche Fresse polieren werde!“
Ich wusste, dass Uli ihm dies wörtlich wiedergeben würde und grinste vor mich hin. Ich sah Klaus schon mit der Tasche unter dem Arm im Laufschritt nach Hause rennen.
Ich wollte mich gerade in Richtung Babsi entfernen, als ich Hartmut bemerkte, der schnurstracks auf mich zukam. Noch ehe er mich erreichte, konnte ich ihm entwischen und pirschte mich von hinten an Babsi heran. Ich hielt ihre Augen zu und presste meinen Körper an den Ihrigen.
„Das kann nur Dieter sein, so zärtlich hält keiner in der Klasse die Augen zu“, sprach sie, obwohl Alexandra, Steffi und Uwe neben ihr standen.
Ich gab ihre Augen frei und erhielt im nächsten Augenblick vor versammelter Gemeinschaft einen Kuss von ihr, was Alex und Steffi mit Applaus und Uwe mit Leichenbittermiene quittierten.
„Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen“, fragte ich Babsi und trat mit ihr einen Schritt zur Seite.
„Hast du schon gehört was sich unsere Mitschüler erzählen“, fragte ich sie und blickte in ihre noch immer strahlenden Märchenaugen?
„Na klar, dass wir ein Paar sind!“
„Das wäre ja harmlos...!“
„...und das wir miteinander geschlafen haben!“
Ich sah sie sprachlos an.
„Aber das ist doch furchtbar!“
„Findest du? Ich fand es wunderschön und möchte es heute Nacht noch einmal mit dir machen!“
„Du bist wahnsinnig Babsi!“
„Nein, nur unglaublich verliebt!“
Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, egal wer auch immer zusah.
„Ich habe es doch auch genossen und empfand es als mein bisher schönstes und größtes Erlebnis, aber das ist kein Grund, dass es die ganze Klasse weiß.“
„Sie weiß es ja nicht, sie glauben es nur und glauben können sie so viel sie nur wollen. Vielleicht lassen mich nun endlich die anderen Jungs in der Klasse und hier auf der Schule in Frieden.“
„Was, auch aus anderen Klassen wollten die Jungens etwas von dir?“
„Na klar besonders die Älteren.“
„Davon hast du aber nie etwas erzählt?“
„Du schienst ja kein Interesse an mir zu haben, warum also sollte ich dir dann davon erzählen?“
„Damit ich dich beschützen kann.“
„Das hättest du getan?“
„Na immer. Ich habe dich auf der Klassenfahrt ja auch vor dem fiesen Klaus beschützt!“
„Aber nur wenn du mal gerade Zeit hattest und nicht mit Uschi oder Monika beschäftigt warst.“
„Kannst du mir das verzeihen?“
„Wenn du mich heute Abend wieder besuchst...ach heute ist doch ohnehin unser Treffen bei mir. Du bleibst doch hinterher bei mir?“
„Ach unser Treffen richtig. Mal sehen wer kommt? Ich habe da so meine Zweifel bei Monika und Hartmut. Na ja und die anderen Jungs, wenn sie wissen du bist vergeben?“
„Von mir aus muss niemand, außer dir kommen. Übrigens muss ich dir etwas gestehen.“
„So? Was denn diesmal?“
„Ich habe Monika gestern mit einem Trick daran gehindert dich vom Boxen abzuholen!“
Anschließend erzählte sie mir ihre kleine Intrige. Ich konnte ihr aber nicht mehr böse sein, fasste sie zärtlich an der Schulter, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging, sie noch immer an der Schulter haltend in Richtung Schulgebäude, wo die Klingel längst das Ende der großen Pause eingeläutet hatte.
Ich ging bewusst langsam um nicht zu früh im Klassenraum zu sein, weil ich nach wie vor Angst vor Hartmuts unbequemen Fragen hatte.
Auf Herrn Paul war wie immer Verlass, wenn es um Pünktlichkeit und Gewohnheiten ging.
So auch heute! Er betrat fast gemeinsam mit Babsi und mir den Klassenraum und schloss die Tür hinter sich.
„Dann wollen wir mal“, sprach er, ergriff den überdimensional langen Zeigestab und begab sich auf den Weg, den Gang auf und ab zu rennen.
Schon in der zweiten Runde hätte er fast den Kranz getroffen, ihn aber nur ganz knapp verfehlt.
Das gab mir Hoffnung.
Ich nickte Babsi aufmunternd zu und sie hob auch sofort den Finger.
„Ja Barbara, was ist?“
„Ich habe da ein Problem bei der dritten Quadratwurzel.“
Herr Paul kam, wie von uns erwartet, mit hocherhobenem Zeigestock auf sie zu.
„Das ist aber doch ganz einfach.“
Er erklärte ihr nahezu alles äußerst genau und fuchtelte nach wie vor, wie gewöhnlich, mit dem Zeigestock in der Luft herum. Nur er traf einfach nicht den Kranz.
Ich glaubte schon an ein Scheitern als er erneut mit einer einladenden Handbewegung die Einfachheit der Mathematik beweisen wollte und dabei voll mit dem Stab gegen den Kranz donnerte, der augenblicklich herunterrasselte und auf seinen breiten Schultern zum Liegen kam. Er sah aus wie ein siegreicher Boxer dem der Lorbeerkranz umgehängt wurde. Spontan applaudierte ich und einige schlossen sich lachend und grölend an.
Babsi konnte gerade noch den Kopf wegnehmen um nicht auch getroffen zu werden dann setzte wie erwartet riesiges Gejohle und Gelächter ein.
Herr Paul stand wie vom Donner gerührt mitten im Gang und wusste noch immer nicht was passiert war. Er blickte nach oben und sah, kein Adventskranz mehr an der Decke, stattdessen einer über seinen Schultern.
Nachdem sich das Gelächter etwas gelegt hatte und Herr Paul noch immer an derselben Stelle stand, erhoben sich Rüdiger und Wolfgang und befreiten Herrn Paul von seiner grünen Last.
„Wie bekommen wir das Ding wieder dort oben hin“, fragte Rüdiger und Herr Paul, so langsam wieder der Alte, sprach:
„Melde dich mal beim Hausmeister der besitzt eine Klappleiter und damit soll er einmal vorbeikommen.“
Rüdiger tat wie ihm geheißen und nach zehn Minuten kam tatsächlich der Hausmeister mit der Leiter.
„Ich kann mir das gar nicht erklären wie der herunterfallen konnte“, entschuldigte er sich gleich bei Herrn Paul.
„Schon gut Schulze, hängen sie das Ding wieder auf, aber diesmal richtig.“
„Ja, selbstverständlich Herr Paul!“
Ich konnte nicht umhin, meinen Senf dazuzugeben, indem ich sagte:
„Eigentlich haben Sie Riesenglück gehabt, Herr Paul!“
„Weil er mir nur auf die Schultern gefallen ist“, fragte er?
„Nein! Weil die Kerzen nicht gebrannt haben!“
Ein allgemeines Lachen ertönte im Raum.
Bis der Kranz wieder richtig hing, alle Wogen geglättet und Spuren beseitigt waren, ging auch der Unterricht ohne weitere Störungen zu Ende.
Die restlichen Stunden verliefen ohne Besonderheiten. Das Thema Adventskranz machte mal wieder seine Runde und niemand, vor allem nicht von den älteren Semestern, konnte und wollte so richtig daran glauben, dass er ohne Manipulation einfach so herabfiel! Da die Zahl der Wissenden mit nur Babsi, Hartmut und mir aber sehr gering blieb, erhob zumindestens in unserer Klasse keiner den Verdacht auf irgendwelche Manipulationen.
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