»Beeindruckend, nicht wahr?« Perron schmunzelte. Der Franzose war sich seiner Macht gewiss. Obwohl Scindia prahlen konnte, dass er den ganzen Maharastra mit einer schwarzen, bewaffneten Wolke aus hunderttausend Fußsoldaten und fast ebenso vielen Reitern überziehen konnte, waren diese wenigen, europäisch geführten Einheiten doch die Speerspitze der Armee des Fürsten. Lange Soldatenreihen standen stramm, als Perron langsam mit seinem neuen britischen Offizier über den »maidan« schlenderte. »Sie führen Ihre Sepoys gut! Pohlmann ist zufrieden!«
Dodd dachte einen Augenblick nach, ob er antworten sollte. Zwanzig Jahre hatte ihm »John Company« diese Rolle verweigert, obwohl er alle Anlagen besaß, Soldaten vernünftig zu führen. Doch »John Company« beförderte seine Männer nicht nach ihren intellektuellen und militärischen Fähigkeiten, sondern nur nach dem Dienstalter. Diese Unsitte führte dazu, dass er mit seinen fast vierzig Jahren immer noch einfacher Leutnant gewesen war, während Kinder in den königlichen Regimentern bereits mit dreißig Jahren zum General gemacht wurden. Dodd beschloss, das Thema zu wechseln und seine neue Stellung im Stillen zu genießen. »Die Briten werden in den nächsten Tagen angreifen, Oberst!«
»Und sie hoffen darauf, dass ich mich hier festlege und mit ihnen kämpfe.« Perron schmunzelte. »Es ist besser, wenn sie uns hinterherlaufen müssen. Der Monsun wird kommen. Sie werden uns verfolgen, doch die Flüsse werden zu unüberwindlichen Hindernissen anschwellen. Mit dem Regen kommen das Fieber und viele andere Krankheiten. Wenn die Briten sich müde gelaufen haben und vom Fieber geschwächt sind, werden wir stark sein. Sämtliche >campoos< von Scindia werden sich zusammenschließen. Der Rajah von Berar hat versprochen, seine Armee zu entsenden. Sobald wir alle vereint haben, zerschmettern wir den Feind.«
»Sie werden Ahmednuggur aufgeben müssen.« Dodd verstand sein Handwerk. Nun, da man ihm endlich seine Chance gab, wagte er auszusprechen, was er dachte. »Die Festung ist strategisch unwichtig.« »Sie haben Recht, Major. Ich würde Ahmednuggur kampflos den Briten überlassen, doch Scindia ist von diesem Ansatz nicht begeistert.
Er hat die Festung bis obenhin mit Munition und Proviant vollgestopft und besteht darauf, dass eine starke Besatzung zu ihrem Schutz zurückbleibt.« Der Franzose zuckte mit den Schultern. »Was soll’s! Ich werde Wellesley einen Haufen Höllenhunde zurücklassen, an denen er sich die Zähne ausbeißen kann. Die Festung wird ihn Zeit kosten. Jeder Tag, den der Ire verliert, ist ein kleiner Sieg für uns. Apropos Wellesley! Cappellini ist mit Ihrer Einschätzung des Mannes nicht glücklich. Wussten Sie, dass Allessandro ihn persönlich kennt? Er hat sich mit unserem Freund bei Seringapatam geschlagen.«
Dodd konnte die leichte Röte, die seine Wangen bedeckte, nicht unterdrücken. Er fühlte sich plötzlich von Perron in die Enge getrieben und mit einer Falle konfrontiert. Wollte der Franzose ihn erneut auf die Probe stellen? Vertraute er ihm vielleicht doch nicht? Hatte er Zweifel an Dodds ehrlichen Absichten, obwohl der Offizier die Seite gewechselt und in ganz Indien ein gesuchter Mann war, oder durchschaute der Feldherr des Rajahs seine Lügen, was den Iren anbetraf? »Er hat noch nie eine offene Feldschlacht geschlagen«, bemerkte Dodd bitter, »außer bei Malavelley, aber diese Geschichte war nicht von Bedeutung.«
»Major, er hat Dhoondia zerstört! Bullum! Wynaad! Soonda!« Perron blickte seinem Untergebenen fest in die Augen. Auch wenn der Engländer sich vieles vielleicht nur zusammensponn oder von Hörensagen wusste, so war er doch derjenige, der den Feind von innen kannte.
»Er wird nicht mehr als fünfzehntausend Mann Infanterie, fünfundzwanzig Geschütze und sechs-, siebentausend Reiter mitbringen. Sie werden in zwei Teilarmeen vorgehen. Eine führt Wellesley, die andere Stevenson. So haben sie es immer gehalten.«
»Stevenson ist ein alter Fuchs. Er kennt dieses Land in- und auswendig.«
»Stevenson ist vorsichtig und schlau. Doch er muss einen weiten Weg zurücklegen, um sich mit der Mysore-Armee zu vereinigen. Außerdem ist sein Nachschub von dem des Iren losgelöst. Er wird aus Hyderabad versorgt und hat damit die längere Kommunikationslinie.« »Dodd, sobald wir uns mit den Truppen des Rajahs von Berar vereinigen, verfügen wir über eine drei- oder vierfache Übermacht und haben viermal mehr Geschütze im Felde, aber der Krieg ist keine Spielerei mit nackten Zahlen. Schlachten werden von Generälen gewonnen und verloren. Erzählen Sie mir mehr über Generalmajor Arthur Wellesley.«
»Er ist jung. Knapp über dreißig.«
»Jugend ist kein Hinderungsgrund für einen guten Soldaten ...« Perron wollte gerade fortfahren, als sich von hinten eine vertraute Hand auf seine Schulter legte. Er hatte Allessandro Cappellini nicht kommen gehört, denn er war zu sehr in die Unterhaltung mit Dodd vertieft gewesen, während sein Verstand gleichzeitig am Plan gegen die britischen Angreifer feilte.
Allessandros Uniform war über und über mit Staub bedeckt. Sogar über seinem Gesicht lag eine dicke, rotbraune Kruste, in die lediglich der Schweiß tiefe Furchen gegraben hatte. Der Korse sah aus, als wäre er direkt aus den Abgründen der Hölle nach Ahmednuggur gekommen. »Jean-Francois! Er hat sich so schnell bewegt, dass wir ihn nicht haben kommen sehen. Die >jaghidars< zwischen der Grenze und der Hauptstadt sind zum Feind übergelaufen ...«
Perron fuhr herum. »Wie bitte?« Diese Nachrichten, die Cappellini ihm soeben atemlos überbracht hatte, waren unglaublich. Seine Späher hatten ihm vor weniger als vierundzwanzig Stunden noch gemeldet, dass die feindlichen Truppen regungslos um Hurryhur verharrten. Es war unmöglich, in so kurzer Zeit vierhundert Meilen zurückzulegen.
»Der Ire hat uns ausgetrickst, Jean-Francois! Irgendjemand zieht an der Grenze eine große Schau ab. Seine Armee hat sich nicht mit Stevenson zusammengeschlossen. Er ist über die Flanke marschiert, hat Darwan einfach umgangen. Er ist wie ein Geist mit seinen Rotröcken und Sepoys vor der Stadt erschienen. Holkar hat nicht einmal den kleinen Finger gerührt. Er ist nach Chandore verschwunden, nachdem er dem Iren das Haupttor der Stadt weit geöffnet hatte. Amrut Rao hatte zuerst abgelehnt, sich Holkar anzuschließen. Er wollte die Stadt zerstören, um sie nicht dem Feind zu überlassen, doch die Briten waren so schnell drinnen, dass unser Freund nicht einmal mehr die Zeit gefunden hat, sich die nächstbeste Fackel zu greifen ...«
»Poona ist kampflos gefallen!« seufzte Perron. »Umso besser! Ich wollte mich mit diesem Sepoy-General sowieso noch nicht schlagen. Er ist noch zu nahe an seinen Nachschubbasen ...«
Major William Dodd hatte schweigend und leichenblass die Unterhaltung zwischen Perron und Allessandro Cappellini mitverfolgt. Sein
Französisch war ausreichend gewesen, um das Wichtigste zu verstehen. Damit war seine Theorie über die fehlende militärische Erfahrung des jungen Bruders des britischen Generalgouverneurs in einer Rauchwolke verpufft. Shee hatte sich in seinem grenzenlosen Hass gegen den Kommandeur des 33. Regiments eine Legende zusammengesponnen, die diesem jähzornigen, verbitterten und versoffenen Halunken recht gewesen war, aber in keiner Weise der Wahrheit entsprochen hatte. Und Dodd musste nun einen Weg finden, um vor seinem neuen Dienstherren Perron nicht das Gesicht zu verlieren. Nach dem Fall von Poona konnte er nie wieder behaupten, welch unerfahrenem Gegner sie entgegentraten.
Als Elphinstones Späher an der Marschlinie aufgetaucht waren, um Generalmajor Wellesley zu melden, dass Amrut Rao Poona in Brand stecken wollte, hatte der Ire nicht lange gezögert, sondern mit 400 Reitern Bisnapah Pundits einen nächtlichen Gewaltmarsch von gut vierzig Meilen unternommen, um die Hauptstadt des Peshwa zu retten. Die Operation war ein Erfolg gewesen, auch wenn sie ihren Preis gehabt hatte: Arthur spürte heute – drei Wochen später – immer noch jeden einzelnen Knochen im Leib, und der Beritt der Männer, die ihm durch die Nacht gefolgt waren, war nach Hurryhur zurückgeschickt und durch neue Pferde ersetzt worden.
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