»Du meinst, Dodd lügt?« Perron wusste um die Truppenkonzentration bei Hurryhur. Man hatte ihm gemeldet, dass sie mit einem feindlichen Kontingent an der Grenze rechnen müssten. Sir James hatte Wellesley mit fast 15 000 Mann – Kavallerie, Infanterie und Artillerie – ins Feld geschickt. Oberst Stevenson, die Nummer zwei des Gouverneurs von Mysore, stand in Hyderabad mit 9000 Mann des Nizzam bereit und wartete nur noch auf den Marschbefehl.
»Lügen ist ein großes Wort, Jean-Francois! Ich habe eher das Gefühl, dass dieser Mann Wellesley überhaupt nicht kennt. Ich bin ihm vor Seringapatam entgegengetreten, ihm und diesem Baird. Sie haben gekämpft wie die Löwen. Nun tauchen sie wieder zusammen auf, und Wellesley hat in den letzten Jahren jeden in die Schranken gewiesen, der sich ihm entgegengestellt hat.«
»Wir werden sehen, Allessandro! Lassen wir alles auf uns zukommen. Wir werden wachsam sein und darauf hoffen, dass du dich irrst. Wenn Dodd Recht hat, wird es ein leichtes Spiel, wenn nicht, müssen wir uns bis aufs Messer bekämpfen. Doch wir kämpfen auf unserem Gebiet, während die Briten kurze Verbindungslinien mit ihren Nachschubbasen in Hurryhur, Chitteldroog und Hullihall benötigen. Wellesley kann nicht endlos weit voranrücken ... Irgendwann ist er so tief in diesem Gebiet, dass er Nachschubprobleme bekommt. Dann erst nehmen wir ihn uns vor und zerschmettern eine isolierte und erschöpfte Armee.«
Cappellini nickte Perron zu. »Natürlich, irgendwann wird er einen Fehler machen, dieser Sepoy-General!« Er erinnerte sich nur zu gut an den beeindruckenden Tross, den er damals vor Seringapatam gesehen hatte und daran, wie General Harris' Streitmacht mit ihren Feldgeschützen von Madras durch den tiefsten Dschungel nach
Mysore gekommen war, ohne dabei auch nur ein einziges Mal gezwungen gewesen zu sein, Nachschub im Gebiet des Sultans zu requirieren. Doch der Offizier beschloss, seine Bedenken für sich zu behalten und Perron seinen Weg gehen zu lassen. Sollte Scindias General Recht behalten, wollte er auf der Seite des Siegers stehen und einen Teil des Ruhms und der Reichtümer abbekommen. Sollte Perron sich irren, würde er immer noch die Zeit finden, die Begum zu überzeugen, dass es besser war, die Seiten zu wechseln. Sie war eine kluge Frau, und er wusste, dass er sich auf ihren Hunger nach Macht und Einfluss verlassen konnte. Sie teilten nicht nur das Bett miteinander.
Als Sir Davie Baird im Januar 1803 mit seinem feuerroten Gesicht und seiner legendären üblen Laune in Hurryhur aufgetaucht war, hatten alle sich Fragen über Fragen gestellt und darauf gewartet, dass der offene Krieg zwischen dem Schotten und Arthur Wellesley zum Ausbruch kommen würde. Sie hatten regelmäßig verfolgt, wie die beiden Generalmajore sich zusammen in Wellesleys oder Bairds Zelt begaben und jedes neugierige Ohr aus der näheren Umgebung vertrieben. Baird hatte sich in Ägypten, an Abercrombies Seite, gut geschlagen. Er hatte eine britische Armee durch die Wüste an den Nil hinauf geführt. Baird war auch ständig auf der Stabsliste von Madras, während Arthur nur provisorisch von Stuart hineingeschrieben worden war, denn London hatte bis zu diesem Tag weder seine Beförderung zum Generalmajor noch seine Berufung in den Generalstab bestätigt, und der Marquis von Mornington schien keine Anstalten zu machen, die Horse Guards wegen seines Bruders zu bedrängen.
Doch trotz der Unruhe in Wellesleys engerer Umgebung drangen nie laute Töne durch die sorgsam verschlossenen Zeltbahnen, und er und der unmögliche Sir Davie schienen in Eintracht damit zu leben, dass der Schotte als Dienstälterer das Expeditionskorps kommandieren sollte, das sein jüngerer Kamerad so sorgsam aufgestellt, ausgebildet und ausgerüstet hatte.
»Ein Glas Portwein?« erkundigte Sir Davie sich bei Arthur Wellesley, nachdem die Zeltbahn sich hinter den beiden Männern geschlossen hatte und sie sich vor den Augen der anderen sicher wussten. Er ließ sich auf sein Feldbett fallen und wies mit der Hand auf einen klapprig aussehenden Stuhl neben dem Kartentisch.
Der Ire schüttelte den Kopf und griff nach einer Karaffe mit Wasser. »Ich kann die Augen kaum noch offenhalten, Davie! Wenn ich das Zeug trinke, schlafe ich in fünf Minuten ein.«
Baird grinste. »Eine beschissene Situation für dich. Du machst die Arbeit, rackerst dich ab und bekommst die Prügel, und ich führe das Kommando.«
Sie hatten sich vor langer Zeit ausgesprochen und ihren persönlichen Konflikt begraben. Baird empfand sogar ein Gefühl der Freundschaft für den Jüngeren, und Arthur erwiderte es auf seine natürliche, ehrliche und geradlinige Art. Es war eine Stichelei des Schotten. Es bereitete ihm Vergnügen zu testen, ob Wellesleys Haut wirklich so dick war, wie der Generalmajor vorgab.
Arthur hob den Blick von seinem Glas und richtete sich auf. Es kostete ihn viel Kraft, aller Welt diese ständige Komödie unerschütterlichen Gleichmuts vorzuspielen und seine wahren Gefühle hinter einer Maske zu verbergen. Es tat ihm gut, offen mit Davie Baird diskutieren zu können, ohne befürchten zu müssen, dass Worte nach außen ins Expeditionskorps drangen. »Davie, niemand hat dich darum gebeten, nach Hurryhur zu reiten. Du hast Stuart so lange tyrannisiert, bis er nachgegeben hat. Beim letzten Mal hast du eine Bande von Schnapsleichen zum Aufstand verleitet und den Generalgouverneur bedroht. Ich werde nicht zulassen, dass du mein Korps nimmst, während ich an zweiter Stelle für dich den Laufburschen mime. Ich kann nicht mehr gehorchen, wo ich nicht befehle.«
»Du willst dich mit mir anlegen, Kleiner?« spottete der Schotte. Seine feuerroten Wangen glänzten nach dem vierten Glas Portwein wie im Fieber. Er liebte es, Wellesley auf die Palme zu bringen und zu sehen, wie weit er gehen konnte, ihn zu provozieren, bis der Junge innerlich kochte. Niemand schien ihn je gelehrt zu haben, für seine eigene Sache zu kämpfen. Wenn er jetzt, in diesem Augenblick nachgeben sollte, würde der Junge in den Händen seines Bruders Mornington zu einer Marionette der Politik werden und dabei möglicherweise Schlachten verlieren, nur weil ein ehrgeiziger Mann in Kalkutta sich in den Kopf gesetzt hatte, einen Krieg zu gewinnen.
Der Krieg war eine Angelegenheit, die man denen überlassen sollte, die dafür ausgebildet waren. In Indien galt die Prämisse der Politik einfach nicht, denn das Land war unendlich groß, und wenn sie über die Grenze ins Maharastra einmarschierten, würden sie vielleicht über Monate eigenverantwortlich entscheiden müssen, wie weit sie gehen konnten.
Wellesley erhob sich von seinem klapprigen Stuhl. Er stellte sein Wasserglas zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. »Davie, es gibt zwei Gründe, warum ich bis aufs Messer kämpfen werde. Du bist ein guter General und verfügst in manchen Dingen über mehr Erfahrung als ich. Aber du hasst die Inder so sehr, dass dir am ersten Tag nach dem Grenzübertritt bereits die Hälfte der Sepoy-Regimenter weglaufen würde. Danach hättest du die verbündeten Fürsten am Hals, weil du den Mund nicht halten kannst. Es würde in einer Katastrophe enden.«
Bairds Augen funkelten. Es war einfach unglaublich, dass der Kleine so ruhig bleiben konnte. Er prügelte sich wie ein Straßenköter, und doch vergriff er sich nie im Ton. Wenn er auf dem Schlachtfeld genauso kaltblütig agieren würde wie in diesem stickigen Zelt, würde England bald von einem herausragenden General hören. »Wie oft hast du Pulverdampf geschnuppert, Junge? Du hast dich mit ein paar verlotterten Banden herumgeschlagen, deren einziges Ziel es war, zu plündern und zu brandschatzen. Dann hast du ein paar drittrangige braune Bastarde aus ihren elenden Holzbaracken vertrieben. Arthur, sei vernünftig! Die Stiefel sind noch viel zu groß für dich. Komm mit mir, als meine Nummer zwei. Lerne vernünftig dein Handwerk, und in ein paar Jahren, wenn du erwachsen bist ...«
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