«Nein.»
«Doch. Wenn Rabota deine Füße nicht wäscht, bleiben sie dreckig.»
«Die sind überhaupt nicht dreckig.»
Rabota drängte mich auf den Duschstuhl. Gnadenlos drehte sie das Wasser auf. Sie schrubbte, schrubbte, schrubbte. «Aua!»
«Was ist das für ein Wort?»
«Du tust mir weh! Merkst du das denn nicht?»
«Rabotas Auftrag ist es, dich zu reinigen. Sauberkeit schmerzt nicht. Sonst wäre ein Warnsignal hinterlegt.»
Hoffentlich ist die Prozedur bald vorbei. Was hat Cassandra sich nur dabei gedacht, mich hier reinzustecken, in eine Mühle, aus der es kein Entrinnen gibt? Das ist keine Pflege. Das ist moderne Folter unter dem Deckmantel des Wohlwollens.
Frau Fuchs war mit ihren 68 Jahren der junge Hüpfer auf Gaudium. Sie hatte die Nase voll von den anderen Ebenen in Residenzia. Professionell ausgebildete Pfleger? Antriebslose Stümper, sogenannte Fachkräfte, ohne Kompetenz. Keinem von ihnen traute sie über den Weg. Ganz zu schweigen von der schlechten Küche, die sie allerdings auch auf der neuen Ebene akzeptieren musste, denn das Essen war für alle gleich. Sie hätte sich elektronisch zubereitete Mahlzeiten gewünscht, die Zutaten abgewogen in Mikrogramm, in höchster Vollendung gleichmäßig vermengt. Planmäßiges Vorgehen, exakte Ordnung, penible Sauberkeit, Lebensqualität durch Technik. Das war ihre Welt. Dr. Aglus hatte ihr gefallen. Er war ein Garant dafür, dass die letzten Jahre ihres Lebens in geordneten Bahnen verlaufen würde. Sie freute sich auf die bevorstehende Zeit. Wenn doch nur der Rollstuhl nicht wäre. Kurz nach den Wechseljahren war es bei ihr los gegangen. Verspannungen im Nacken, Rückenschmerzen, jeder kennt das. Dann die zu spät gestellte, vernichtende Diagnose: Osteoporose im fortgeschrittenen Stadium. Mit der Präzision eines Roboterarztes wäre ihr das sicher nicht passiert. Zumal sie immer penibel auf ihre Gesundheit geachtet hatte.
«Störe ich?»
«Aber nein. Setzen Sie sich doch zu mir, Gisela. Wie fanden Sie die Vorstellungsrunde?»
«Ich bin von der grenzenlosen Entwicklung der Menschheit vollkommen überzeugt.»
«Wirklich? Im Grunde genommen gebe ich Ihnen schon recht. Aber grenzenlos?»
«Dazu gehört die Verwirklichung denkender Maschinen. Sie sind das Ergebnis moderner Forschung.»
«Denkende Maschinen?» Ute war von exakten Kalkulationen ausgegangen. Wenn-Dann. Ein simples Prinzip. Freies Denken weicht davon ab.
«Entwicklung und Lernen stehen für mich auf derselben Stufe. Und Lernen darf man niemals eingrenzen. Selbst bei den Maschinen nicht.»
«Wenn Sie Recht hätten, dann würden die Maschinen in letzter Konsequenz auch Gefühle erlernen. Hat Dr. Aglus bei seiner Rede nicht so was in der Art gesagt?»
«Nein Ute. Das glaube ich nicht.»
«Nicht?»
«Lassen wir das. Sollen wir uns noch einen Kaffee gönnen?» Unbeabsichtigt hatte die 91-jährige Gisela damit das Gespräch in eine Richtung gelenkt, die Utes Leidenschaft, über jeden und alles zu lästern, entfachte.
«Sie wollen einen weiteren Kaffee trinken?
Ist das etwa Ihr Ernst? Ich bin entsetzt! Jetzt sagen Sie bloß nicht, das Essen hier schmeckt Ihnen. Die allgemeine Versorgung in diesem Hause lässt eh zu wünschen übrig, wenn Sie wissen, was ich meine.» Ute Fuchs ließ sich über sämtliche Missstände, die es gibt oder je geben könnte, aus. «Aber das werden die Roboter den anderen schon austreiben. Die sind perfekt. Die lassen keine Schlampigkeiten zu.»
Gisela nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, den sie sich von dem Teewagen neben dem Eingang zum Aufenthaltsraum geholt hatte. «Bis jetzt finde ich hier alles recht ordentlich. Nachlässig scheint keiner zu sein.»
«Ach, Gisela. Wenn Sie wüssten!»
«Was denn?»
«Die nehmen keine Rücksicht darauf, ob man sich uneingeschränkt bewegen kann oder nicht oder ob man schnell blaue Flecke bekommt.»
«Haben die Pfleger Ihnen denn schon mal weh getan?»
«Na ja, eher indirekt. Ich erinnere mich trotzdem nicht gern daran.» Ute erzählte Gisela davon, wie ihr beim Mittagessen ein Missgeschick passiert war. «Damit muss man leider leben. Aber es fängt dann an zu riechen. In Grund und Boden habe ich mich geschämt. Sie haben mich da sitzen lassen. Überaus peinlich. Nachher hat sich dann einer erbarmt. Ich erzähle Ihnen lieber nicht, wie die mit mir auf der Toilette umgegangen sind und anschließend unter der Dusche. Das mit den blauen Flecken sagte ich vorhin ja schon.»
«Nein, wirklich? Also haben die Ihnen doch weh getan. Unmöglich. Ich hab da mal was über Gewalt in Pflegeheimen gelesen. Aber hier? Andererseits hoffen wir ja alle darauf, dass uns die Roboter besser umsorgen, perfekt eben.»
«So soll es sein. Sie können froh sein, dass Sie direkt ins Kollektiv gekommen sind.»
«Ja, das bin ich, Ute. Das bin ich.»
Gerda Maiers Träume sorgten für einen unruhigen Schlaf: der 2. Weltkrieg, Erinnerungen an den kältesten Winter des 20. Jahrhunderts, der Tod des Vaters als sie erst Mitte 30 war. Alles längst vergessen und doch wieder da. Sidelka schloss die Tür hinter sich. Keine Aktion erforderlich, nicht bei einer leichten Unruhe. Der Nachtwachenautomat schwebte durch die Gaudiumebene zum nächsten Bewohner. Die Anderen hingen an den Ladestationen, räumten ihre Speicher auf, leerten die Cacheordner und bereiteten sich auf den korrekten Umgang mit Mängeln der menschlichen Spezies vor: unlogische Erwartungen, inexakte Aufträge, Divergenzen.
Dr. Matthiesen kam zum ersten Mal mit seinem Fragebogen auf Gerdas Zimmer.
«Hallo Gerda, ich darf Sie doch Gerda nennen?»
«Aber sicher, mein Lieber. So heiße ich ja.»
Der Doktor lächelte übers ganze Gesicht. «Können wir mit den angekündigten Fragen anfangen?»
«Ja, gerne.»
«Hat Ihnen einer der Roboter weh getan?»
«Ich habe immer an die Zukunft geglaubt, an technische Errungenschaften, an die Intelligenz der Ingenieure und Gelehrten.»
«Was ist mit den Robotern?»
«Ich habe nie einen Unterschied gemacht zwischen philosophischen, ethischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.»
«Gerda.»
«Entschuldigung, wie war die Frage?»
«Ob Ihnen einer der Roboter weh getan hat.»
«Nein. Das nicht direkt.»
«Aber?»
«Nein. Mir hat keiner weh getan.»
«Bestimmt nicht?»
Gerda zögerte. «Nein.»
«Hat Ihnen ein Roboter widersprochen?»
«Nein, ich glaube nicht, nein, bestimmt nicht.»
«Hat Sie einer der Roboter verängstigt?»
Wiederum zögerte Gerda. «Nein.»
«Warum haben Sie gezögert?»
Gerda erzählte Dr. Matthiesen davon wie der Doktor sie in der Vorstellungsrunde verängstigt hatte. Sie könne sich selbst nicht erklären, wodurch. Sie habe sich auch mit jemand anderem darüber unterhalten. «Wie hieß der noch?»
«Kommen wir zum Thema zurück. Also. Gab es mit Sluga Verständigungsprobleme?»
«Nein, nicht mit Sluga.»
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