Am Abend, nach dem Essen kamen Mark und Nora ins Hotel zurück. Sie waren beide ziemlich beschwipst, und Mark zog Nora mit einem Glitzern in den Augen zum Bett. Danach kuschelte Nora sich zufrieden unter ihrer Decke zusammen, und wollte gerade das Licht ausknipsen, als Mark ihr mit einem Grinsen eröffnete, es gäbe da noch etwa zu erzählen. Nora war mit einem Schlag hellwach. Mark drehte sich zu ihr und stützte seinen Kopf auf. “So was Ähnliches wie mit deinem Klaus ist mir mit Jule passiert”, begannn er. Noras Mund wurde trocken. “Was meinst du?”, fragte sie, ihre Stimme klang heiser. Mark lachte, drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. ”Ach, keine Panik. Nur kuscheln auf dem Sofa vor dem Kamin, reden, und naja, einen Kuss gab es, mehr nicht!“ Er stand auf und zog die Vorhänge zu. Nora starrte ihn mit trockenen, heißen Augen an. Dann wurde sie wütend. Das Gefühl war so stark, dass ihr die Luft wegblieb. Die ganze Zeit hatte sie mit schwerem Herzen, schlechtem Gewissen und dem Gefühl von Betrug in Coburg verbracht, und Mark? Nicht genug damit, dass er sie für so lange Zeit allein gelassen hatte, nein, er nahm sich auch mal wieder eine kleine Schmusekatze! Nora hätte sich um ein Haar übergeben, so sauer wurde sie.
Sie rannte ins Bad und schmetterte die Tür hinter sich zu. Sie ließ kaltes Wasser über ihre Arme laufen und versuchte, ruhig zu atmen. Nach einigen Minuten kehrte sie ins Zimmer zurück. Mark ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. Nora ließ es geschehen, aber sie fühlte sich leer und taub. Dann fing Mark an zu erklären, und Nora hörte zu, bitter und gedemütigt. Sie hätte seine Worte mitsprechen können: wie schlecht es Jule ging. Wie schlimm ihre Scheidung von diesem Typen war, der sie geschlagen hatte. Sie hatte jemanden gebraucht, der nett zu ihr war und zuhören konnte. Mark vergrub sein Gesicht in Noras Haar. “Mir hat ihre Bewunderung so gut getan”, flüsterte er. “Weißt du, für sie war ich der Prinz, der Retter.” Nora fühlte sich schwach und gliederlos, wie eine Marionette. Sie wollte nichts mehr hören, aber Mark rechtfertigte sich. “Ich habe ihr von Anfang an gesagt, dass ich verlobt bin! Und wirklich, es ist nichts weiter passiert!” Nora löste sich langsam und setzte sich aufs Bett. Sie sehnte die Wut zurück, aber da war nur noch Leere. Es tat so weh. Er flog nach Afrika, obwohl sie so gern die Zeit mit ihm verbracht hätte. Sie hatte Verständnis gehabt, hatte ihn ziehen lassen. Aber warum wieder eine andere Frau. Und warum wieder das gleiche Muster. Erfolgreich im Job, aber hilflos wenn es um Männer geht. Dankbar für die starke Schulter. Und sie? Nora? Hatte sich zerfleischt, hatte gefleht, die Gefühle für Klaus mögen aufhören. Hatte schwere Stunden allein in ihrer Coburger Wohnung verbracht, voller Scham. Und hatte Klaus brutal gemieden, weil sie Angst gehabt hatte, doch noch schwach zu werden.
Nora erhob sich mühsam und streifte langsam ihr Nachthemd über. Mark trat auf sie zu und lächelte. “Komm, Schatz, es ist doch nichts passiert. Schau, jetzt sind wir doch quitt, oder?” Nora kroch unter ihre Decke. “Siehst Du”, sagte Mark zufrieden und legte sich ins Bett. “Toll, dass wir so über alles reden können!” Er wollte sie in seine Arme ziehen, aber Nora drehte sich zur Wand. Weit weg wollte sie sein. Nicht bei Klaus, und sicher nicht bei Mark, einfach nur weg, vielleicht bei der Giraffe am Wasserloch. Sie dämmerte kurz weg, aber mitten in der Nacht schrak sie auf. Morgen ging der Flug nach Kapstadt. Und dann würden sie wieder in Jules Haus wohnen. Mit dem feinen Unterschied, dass diese inzwischen aus Deutschland zurückgekehrt war.
Bis zum Morgengrauen tat Nora kein Auge mehr zu. Dann weckte sie Mark. “Wir werden auf keine Fall in Jules Haus wohnen!”, rief sie, und merkte selber, wie schrill ihre Stimme klang. Mark rieb sich die Augen, nickte, tastete dann nach dem Telefon und rief Kathi an. Die verstand gar nicht, warum die beiden plötzlich in ihr, wesentlich kleineres, Haus umziehen wollten. Mark hatte den Lautsprecher angestellt. “Außerdem kommen ab morgen zwei Kollegen aus Belgien, die wohnen eine Woche bei mir”, zwitscherte sie gut gelaunt. “Hey, wir können uns ja alle die Tage mal im Kloofmans treffen! Tschüß, ihr Turteltäubchen!” Mark legte den Hörer auf und lächelte Nora hilflos an. Nora stand auf und ging ins Bad. Setzte sich auf den Rand der Badewanne und begann zu weinen. Die wunderschöne Namibia-Woche war weg, hatte nie stattgefunden, war Teil eines miesen, kitschigen Romans.
Mark und Nora flogen zurück nach Kapstadt. Wieder und wieder hatte Mark beteuert, dass Jule ihm nichts bedeute. Und dass sie außerdem auch nicht besonders hübsch sei. Irgendwann war Nora zu müde geworden, um noch weiter auf einem Hotel zu bestehen. Traurig willigte sie ein, doch wieder in Jules Haus zurückzugehen. Und dann stand sie Jule gegenüber. Jule war keinesfalls so unattraktiv, wie Mark sie dargestellt hatte. Sie war zwar klein und etwas rundlich, hatte aber wunderschönes, langes braunes Haar. Nora hatte sich keinen Plan zurechtgelegt, aber als Jule ihr die Hand schüttelte und freundlich sagte: “Endlich lernen wir uns kennen, Mark hat so viel von dir erzählt!“, zog Nora die Augenbrauen hoch und zu erwiderte: „Ja, von dir hat er auch viel erzählt!“ Jule wurde puterrot, aber der Abend verlief glimpflich. Jule hatte gekocht, und nach einem letzten Glas Wein machte Nora deutlich, dass sie mit Mark allein sein wollte. Jule räumte ab, Nora und Mark packten im Gästezimmer ihre Koffer aus. Als Nora aus dem Bad kam zog Mark sie an sich. “Alles klar? Siehst du, sie ist doch ganz nett!” Nora nickte und wollte sich losmachen. Aber Mark hielt sie fest. ”Und du hast ja auch gemerkt, dass zwischen uns alles total freundschaftlich zugeht!” Er küsste sie und ging ins Bad. Nora legte sich ins Bett. Sie war bleiern müde, aber an Schlaf war vorerst nicht zu denken.
Als sie eben aus dem Bad gekommen war, hatte sie Jule am Küchentisch sitzen sehen. Den Kopf in den Armen vergraben, schluchzend. Nora war auf Zehenspitzen weiter geschlichen. Sie konnte nichts dagegen tun, Jule tat ihr leid. Mark hatte wieder zugeschlagen. Nora schluckte die Tränen hinunter und knipste schnell die Lampe aus. Mark kam aus dem Bad und kroch zu Nora ins Bett. Nora schlug überrascht die Augen auf. “Willst du nicht die Tür zumachen?” Mark stotterte: ”Nein, also, weißt du, die Luft hier drin ... ich will aber das Fenster nicht aufmachen, deshalb dachte ich ... ”, hilflos brach er ab. Nora blickte ihn kalt an und drehte sich weg. Ihr Herz drohte zu zerspringen. Mark wollte nicht, dass Jule das Gefühl bekam, sie und Mark hätten heißen Sex hinter geschlossener Tür. Er wollte ihr nicht wehtun. Weil er ganz genau wußte, wie es um Jules Gefühle stand. Nora vergrub den Kopf in den Kissen.
Die Afrikazeit ging zu Ende. Mark wollte den Freunden und Bekannten, denen er in Kapstadt begenet war, einen besonderen Dank zukommen lassen. Er fragte Nora, ob sie Lust habe, einen Liederabend für seine Freunde zu geben. Nora überlegte nicht lange. Sie wollte Jule zeigen, wer Chefin im Ring war. Sie wollte, dass die Leute sie bewunderten, sie wollte dort sein, wo sie sich sicher fühlte, auf der Bühne. Jule sollte klein und unscheinbar neben ihr aussehen. Nora kam überhaupt nicht in den Sinn, dass es eigentlich nicht ihre Sache war, sich bei Marks Freunden zu bedanken, sie wollte nur singen und zu guter Letzt ihre Sicherheit zurückgewinnen. Kathi organisierte einen Pianisten. Pete war Alkoholiker, und seine Hände zitterten so stark, dass er vier Wochen zuvor seinen Job an der Akademie verloren hatte. Er weinte, als Nora die ersten Töne sang. Das Konzert fand in einer Schule statt, und der Saal war voll. Kurz vor Beginn kam der Hausmeister mit seiner kompletten Familie, alle im Sonntagsstaat. Sie setzten sich auf die letzten freien Plätze in der ersten Reihe. Das Konzert begann und wurde ein unglaublicher Erfolg. Mit den ersten Tönen zog Nora die Zuhörer in ihren Bann und ließ sie nicht mehr los. Als sie zum Schluss den „Musensohn“ von Schubert anstimmte, mit seinem eindrücklichen Rhythmus, begann der Hausmeister, den Takt mitzuklatschen, mit ihm seine Familie, und schließlich der ganze Saal. Nora genoss ihren Erfolg und den Applaus. Sie wusste, dass sie über Jule gesiegt hatte.
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