klar mache ich also bis später
danke bis später
Die Zeit, die Samuel auf Frank warten musste, zog sich wie Kaugummi. Immer wieder blickte er auf die Anzeigen der Geräte, sich ändernde Zahlen und Diagramme. Sie waren allesamt langweilig. Bunt, aber nichtssagend.
Doch dann klopfte es an der Tür. Sie öffnete sich, ohne dass er herein sagen musste.
„Alter, was machst du für Sachen?“
„Frag nicht, ich habe mir heute Morgen die Seele rausgekotzt!“
„Darf ich dir überhaupt die Hand geben?“
„Lass mal sein. Ich weiß noch nicht, was ich habe. Und ich will nicht, dass du das auch bekommst.“
„Warum? Gönnst du es mir nicht? Wäre doch lustig, wenn ich auch hier ins Zimmer käme. Gibt bestimmt ein paar geile Schwestern hier.“
„Glaub’ mir, Alter, ist besser so. Du willst bestimmt kein Blut kotzen.“
„Ach du Scheiße, nein! Da habe ich kein‘ Bock drauf.“
„Siehst du, also behalte dein Pfötchen lieber bei dir.“
„Wo hast du das her? Hast du dir was aus dem
Urlaub mitgebracht?“
„Vermutlich. Mitbringsel aus Brasilien. Das hat man dann davon. Weiß der Teufel, was es da alles kostenlos gibt.“
Frank musste lachen.
„Hast du mit einer kranken Brasilianerin, die Viren in ihrer hmhm hatte?“ Dabei zeigte er mit dem Finger in Richtung seiner Genitalien.
„Nee, hab ich nicht. Dann wüsste ich wenigstens, woher es ist.“
„Von einem Mann?“
„Idiot! Nein! Ich bin doch nicht schwul!“
„War nur’n Gag, Alter. Bist du denn bald wieder gesund?“
„Kann ich dir nicht sagen. Wir müssen erst mal rausfinden, was sich da bei mir eingeschlichen hat.“
„Wenn du Langeweile hast… da hab ich was für dich. Alter, beste Sorte, ist voll geil. Hab‘ ich dir aus Amsterdam mitgebracht. Ganz frisch. Aber lass es niemanden wissen, sonst wollen die alle was haben.“
„Was ist es denn?“
„Riech mal an der Tüte.“
„Voll krass, Kekse. Selbst gemacht?“
„Klar, was denkst du denn? Meinem besten Kumpel
bringe ich doch keine gekauften Kekse mit. Und es ist ein besonderes Gewürz drin. Wenn du etwas Spaß
haben willst, musst du nur einen davon essen.“
„Ist da... ? Nee! Echt? Das ist ja Hammer!“
„Ja, Alter, genau das ist da drin. Der Hammer.“
„Nice, wo hast du das her?“
„Sag ich doch, frisch aus Amsterdam. Und schon in deinen Keksen. Riecht man kaum. Nimm dir einen! Geht auf mein Nacken.“
„Tatsächlich, man kann es kaum riechen. Danke, ich küss‘ dein Auge.“
Sofort steckte sich Samuel einen davon in den Mund, zerkaute ihn, ließ das THC auf seiner Zunge wirken und schluckte herunter.
„Lass mir aber einen übrig, damit ich auch was zu lachen
hab.“
„Klar, Man. Den Rest können wir zusammen knabbern, wenn ich wieder raus bin aus dieser langweiligen Hütte.“
„Gras soll gut sein gegen Schmerzen. Wer weiß, vielleicht brauchst du es öfter, als du denkst. Schmerzen hat man schließlich ziemlich oft.“
Wieder klopfte es an der Tür, und sie öffnete sich erneut, ohne dass er herein gesagt hatte. Eine ganze Gruppe weiß gekleideter Ärzte und Ärztinnen kam herein. Während sie eintraten, diskutierten sie in ihrer medizinischen Sprache über irgendetwas.
Frank gab Samuel visuell und durch seine Mimik zu verstehen, dass er die Kekse ganz schnell in die Schublade verschwinden lassen sollte. Jedoch machte er es so unauffällig, dass die Ärzte es nicht merkten.
Ganz unauffällig zog er die Nachttischschublade auf, legte die Tüte hinein und schob sie wieder zu, ganz so, als wären es ganz normale Kekse.
„Guten Tag, Samuel.“
„Guten Tag.“
„Hallo.“
„Guten Tag.“
Alle stellten sich mit Namen vor, aber keinen davon konnte sich Samuel merken. Zu viele Details auf einmal. Er dachte noch an die Kekse und ihre belustigende Wirkung, die sie gleich haben würden. Hoffentlich musste er jetzt nicht lachen.
„Seien Sie bitte so nett und warten draußen, bis die Visite vorbei ist.“
Frank erkannte sofort, dass er im Moment fehl am Platze war.
„Selbstverständlich.“ Er erhob sich sofort und verließ den Raum.
„Vielen Dank. Sie können in ein paar Minuten wieder hereinkommen.“
„Ich wollte sowieso gerade gehen. Ciao Kumpel. Tschüss zusammen.“
„Ciao Frank. Und danke für deinen Besuch.“
Samuel wurde plötzlich ganz müde. Er spürte die Wirkung des THC, als hätte jemand einen Hammer vor seinen Kopf geschlagen. Nur schmerzte es nicht. Ihm wurde schwindelig, und die Welt begann sich zu drehen. Alles wurde plötzlich ganz leicht. Er spürte, wie die Ärzte seinen Puls fühlten, ihm den Blutdruck maßen und hörte, dass sie ihm Fragen stellten. Aber er konnte nicht darauf antworten. Der Übergang in den benebelten Zustand ging fließend, aber ziemlich schnell. Er schlief vor den Augen der Ärzte einfach ein. Schon befand er sich mitten im Reich der Träume.
„Seltsam, gerade hatte er noch mit seinem Freund gesprochen. Er muss unglaublich schwach sein. Ich hoffe, wir finden bald heraus, was ihm die Kräfte raubt.“
Die Ärztin öffnete sein rechtes Auge mit dem Finger, stellte aber fest, dass er völlig weggetreten war.
„Er schläft wie ein kleines Kind. Nichts kann ihn erschüttern.“
„Schlafen ist die beste Medizin. Wir werden schon herausfinden, was ihn quält. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes.“
„Gut, wenn wir ihn nicht befragen können, lassen wir ihn schlafen. Gehen wir zum nächsten Patienten. Die Geräte zeigen nichts Ungewöhnliches. Alle seine Vitalwerte befinden sich im grünen Bereich. Ich denke, wir müssen uns keine Sorgen machen. Morgen geht es ihm bestimmt schon wieder besser. Vermutlich liegt er hier völlig umsonst.“
So schnell, wie sie gekommen waren, verließen die Ärzte auch wieder das Zimmer.
Samuel befand er sich in einem dunklen, stinkenden Verlies eines Schlosses. Die Luft war feucht, und es lag ein Geruch von Fäkalien, Moder, Tod und Verwesung in der Luft. Was die Gerüche entstehen ließ, wollte Samuel gar nicht wissen. Er hoffte, dass seine Nase sich möglichst schnell an die üblen Gerüche gewöhnen würde. Sich die Nase zuhalten brachte nichts, der Gestank war so pene-trant, dass er den Eindruck hatte, er würde es über seine Haut riechen oder als würde der Gestank durch seine Finger in seine Nase kriechen.
Menschen sah er keine, oder besser gesagt, er konnte keine hören. Sehen war hier unten nicht so einfach, dafür war es größtenteils zu dunkel. Folglich tastete er mit seinen Fingern die Wände entlang, und schon erklärte sich, warum es hier so moderig roch. Die Wände waren feucht. Sehr feucht. Nein sie waren mehr, als das: Sie waren schleimig. Vermutlich wuchsen glitschige Algen auf ihnen. Vielleicht waren es aber auch Schimmelpilze. Dass er fast nichts sah, war also gar nicht so verkehrt. Jedoch heizte dies seine Phantasie an, was das Schleimige anbetraf.
Sobald Samuel die Wand berührte, hatte er den Eindruck, anschließend Schleim auf den Händen kleben zu haben. Leider ließen sich die Berührungen mit den Wänden nicht vermeiden. Er konnte nicht erkennen, wo Wände waren, und wo nicht. Tasten war somit die einzige Möglichkeit, voran zu kommen, ohne sich zu stoßen.
Der Gang, auf dem er sich entlangtastete, war an einigen Stellen bedrückend eng. Er hatte festgestellt, dass er an den breiten Stellen ungefähr zwei Schritte von links nach rechts maß. Unkontrolliert taumelnd tastete er sich vorwärts. Hoffentlich kollidierte er nicht mit einer schleimigen Wand vor ihm.
Ständig streckte er die Arme aus und fühlte, ob sich etwas in seinem Weg befand. Und immer wieder stellte er fest, dass die Wand links oder rechts plötzlich verschwand. In seinem Geist entstand ein Bild von einem langen Gang, von dem zu beiden Seiten weitere Gänge abgingen.
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