»Aber nicht für diese Gage.«
Peter zuckte mit den Schultern.
»Schade, ich hätte mich gefreut, wenn wir uns wiedergesehen hätten.«
Die Verabschiedung fiel kurz aus. Kopfschüttelnd wankte ich den Gang entlang. Was hatte ich getan! Ich war doch nicht ganz bei Sinnen! Könnte ich nicht einmal eine Ausnahme machen und etwas weniger verlangen, nur bei dieser Firma? Nein, das konnte ich nicht. Ich hielt an meinen Prinzipien fest, vor allem, was die Gagenforderung betraf, immer. Doch diesmal litt ich eine Weile darunter.
Ein Jahr später führte uns der Zufall wieder zusammen. Ich war, zu meiner normalen Gage, für einen einwöchigen "Auswärts-Dreh" gebucht worden. Der zuständige Produktionsleiter hatte keine Lust auf Hotels und wollte in heimischen Gefilden bleiben. Peter übernahm, er war gerne unterwegs und das am liebsten in Gesellschaft. Er rief mich an, war erfreut darüber, dass wir wieder zusammenarbeiten würden und lud mich ein, mit ihm zu fahren. Er versicherte mir, dass mein gesamtes Equipment in den Kofferraum seines alten Autos passen würde.
Auf der vierstündigen Fahrt ergaben sich interessante, offene und ungewöhnlich tiefgehende Gespräche, wie man sie nur selten mit einem Menschen führt, den man kaum kennt. Allerdings endeten sie abrupt am Ortsschild unseres Zielortes, bei dem Peter anhielt, um mir den Stadtplan zu reichen und mich bat, ihn zum Hotel zu lotsen. Ich wunderte mich, er war doch der Produktionsleiter! Ich hielt es für einen Test, ob ich eine Straßenkarte lesen konnte, hatte aber weder Zeit, darüber nachzudenken, noch darüber zu diskutieren. Wir standen an einer roten Ampel und Peter fragte, wohin er fahren sollte. Ich überflog die Straßenkarte, war aber doch neugierig.
»Ich glaube dir nicht, dass du den Weg zum Hotel nicht kennst.«
»Ich habe keine Ahnung. Gelb.«
»Was?«
»Grün.«
Die Autos hinter uns hupten. Peter blieb ganz ruhig hinter dem Steuer sitzen und wartete auf meine Ansage. Ich sah wieder auf die Karte.
»Links.«
Peter setzte den Blinker und bog ohne Eile nach links ab. Zumindest schien er links und rechts unterscheiden zu können.
»Hast du nicht vorhin erzählt, dass du letztes Jahr schon hier warst, im selben Hotel?«
Peter nickte.
»Ich habe keinen Orientierungssinn auf Straßen.«
So etwas hatte ich noch nie gehört. Ich erinnerte mich an jede Straße, auf der ich schon einmal gefahren war, auch wenn es Jahre her war.
»Findest du wenigstens nach Hause?«
Peter lächelte.
»Meistens.«
Er fragte mich an jeder Kreuzung, wohin er fahren sollte. Meine Verwunderung hielt noch bis zur dritten Ampel an, danach fand ich es komisch. Am Hotel angekommen, liefen mir vor Lachen die Tränen herunter. Ein orientierungsloser Produktionsleiter, wie sympathisch! Und ein Mann, der nicht daran dachte, ein Unvermögen zu verheimlichen, wie außergewöhnlich erfrischend!
In der folgenden Woche fand ich heraus, dass Peter Angst vor elektrischem Strom hatte, deswegen ungern Glühbirnen auswechselte und auch sonst kein begeisterter Handwerker war. Zum Austausch von Glühbirnen brauchte ich wahrlich niemanden und Männer, die vorgaben, alles zu können, langweilten mich. Ich interessierte mich eher für den Intellekt eines Menschen. Und was Peter an Scharfblick und Klugheit bot, übertraf noch meine Wunschvorstellung eines vollkommenen Charakters. Noch dazu besaß er, was mir fehlte: Demut und Belesenheit.
Am fünften Tag unseres Aufenthaltes rief ich meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass sie mir keinen Mann mehr backen müsse, den, den ich immer gesucht hatte, gab es aus Fleisch und Blut.
Seit diesem Tag arbeiteten wir zusammen, lebten zusammen, unternahmen viele Reisen gemeinsam und ergänzten uns in allen Bereichen. Aber unsere anfängliche Lebensplanung, niemals zu heiraten oder Kinder bekommen zu wollen, stellte Peter nach neun Jahren in Frage. Wir waren erfolgreich im Beruf und verdienten genug für ein angenehmes Leben. Aber wir waren wohl zu sehr mit der Welt der Illusionen, dem Film, beschäftigt, um zu merken, wie schnell die Zeit verging. Irgendwann, so sagte Peter, würde uns die Oberflächlichkeit dieser glitzernden Scheinwelt nicht mehr zufriedenstellen. Irgendwann wollten wir vielleicht in der wirklichen Welt leben, und wenn es noch lange dauerte, das zu erkennen, würde es für ein eigenes Kind zu spät sein. Damit verblüffte er mich, aber ich musste ihm natürlich Recht geben. Seine nächste Idee dagegen überstrapazierte mein Entgegenkommen: Als ich schwanger wurde, wollte er mich auch noch heiraten! Ich versuchte, mich aus der Affäre zu ziehen, indem ich einfach nicht darauf reagierte. Aber Peter stocherte er verbal in meinem Gewissen herum. Ob ich ihm tatsächlich zumuten wolle, dass er sein eigenes Kind werde adoptieren müssen?
Mir wurde klar:
Das Zusammenleben mit einem anderen Menschen war ein einziger Kompromiss.
Am Tag der Operation wanderte ich mit dem inzwischen zwanzig Monate alten Jonas auf dem Arm nervös durch die Wohnung. Lieber hätte ich direkt vor dem Operationssaal gewartet, aber das hatte Peter mir ausgeredet. Also wartete ich auf einen Anruf.
Ich wusste, dass ich jetzt auf alles gefasst sein musste, aber als das Telefon klingelte und ich den Hörer in die Hand nahm, war ich alles andere als gefasst. Für keine der Eventualitäten, die eintreten konnten, war ich bereit.
Überraschenderweise war Peter selbst am Apparat. Er war erst vor Kurzem aus der Narkose erwacht, klang noch sehr schwach, wollte mir aber unbedingt persönlich mitteilen, dass die Operation gelungen war.
Die Anspannung war so groß gewesen, dass es einige Zeit dauerte, bis wir uns richtig freuen konnten. Wir hatten Glück gehabt, der Professor hatte sich tatsächlich als ein Spezialist erwiesen und für seine perfekte Arbeit waren wir ihm unendlich dankbar.
An dieser Stelle gilt unser Dank ebenfalls unserer damaligen Hausärztin für ihre sorgfältigen Recherchen.
Bei meinem ersten Besuch im Krankenhaus am darauffolgenden Tag wurde mir schlagartig meine Unbedarftheit in diesem medizinischen Fachgebiet vor Augen geführt. Peters kompletter Rumpf war umwickelt, Mull-Stretch fixierte den Druckverband vom Brustbein bis zu den Lenden. Neugierig, wie ich bin, sah ich beim Verbandswechsel zu. Der Schnitt war über fünfzig Zentimeter lang und bildete um den Bauchnabel herum einen exakt gezogenen Halbmond. Ich fragte den Arzt, warum mein Mann von oben bis unten aufgeschnitten worden sei. Der lächelte mich mitleidig an, oder war das nur Einbildung? Ich kam mir mit einem Male so dumm vor, ließ aber nicht locker und erfuhr auf gezielte Nachfrage hin die grundsätzliche Vorgehensweise dieses Eingriffs: Um überhaupt erst einmal an die Operationsstelle zu gelangen, musste zunächst die komplette Bauchdecke aufgeschnitten und auseinandergeklappt werden, anschließend die inneren Organe beiseitegeschoben und in dieser Position mit Klammern gehalten werden. Danach war noch der Darm im Wege, der größere Teil davon musste für einige Stunden außerhalb des Körpers gelagert werden.
Peter lächelte mich an. Er hatte genau gewusst, worauf er sich einließ, mich aber mit diesen Details nicht beunruhigen wollen.
Ich hielt mich am Fenstersims fest, starrte hinaus und fühlte Übelkeit in mir aufsteigen. Aber ein anderes Gefühl war stärker als der Würgereiz: Der Ärger angesichts meiner Naivität. Wie konnte ich derart uninformiert in so eine wichtige Angelegenheit stolpern! Niemals wieder wollte ich mich so einfältig fühlen wie in diesem Augenblick. In Zukunft würde ich mich besser informieren und eingehend mit allen bevorstehenden Entscheidungen beschäftigen.
Doch zurück zum Zustand des Patienten. Der war laut Aussage der Ärzte den Umständen entsprechend gut. Die Computertomographie (kurz CT genannt), eine Röntgenuntersuchung, bei der Gefäße dargestellt werden, die implantierte Metallteile enthalten, belegte einen tadellosen Sitz der Prothese.
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