»Na los, mach ihr die Freude. Bei irgendeiner musst du ja mal anfangen.«
Sicher, sicher, aber nicht heute, nicht bei ihr und ganz sicher nicht unter den feixenden Blicken dieses Widerlings. Nur: So feige wie ich im normalen Leben bin, fürs weglaufen bin noch viel mehr zu feige. Pest oder Cholera. Ich weiß nicht, was Frauen wollen und schon mal gar nicht, was Omas wollen. Ganz besonders schwierig wird es aber, wenn ich es, wie in diesem Fall, weiß, aber nicht weiß, wie ich hier mit Anstand raus komme. Andererseits: ich habe doch schon immer daneben gelegen, wenn es um die geheimen Wünsche der Frauen ging.
Nie werde ich die beispielhafte Begegnung mit der einzigen vollbusigen Frau meines bisherigen elenden Lebens vergessen. Eine Mitstudentin aus den goldenen Tagen, sie lud mich zum abendlichen Workshop ein. Mineralogie, Kristallklassen bestimmen. Ich erschien mit einem Arm unverdaulicher Fachbücher. Sie öffnete mit einem Lächeln und einem brutal häßlichen grellblauen durchsichtigen Etwas. Mir fiel die Kinnlade herunter und fragte eine Spur zu sachlich: »Was soll das denn?«
Die Tür ging unverzüglich wieder zu und ich musste noch weitere sechs Monate auf Sex warten, dann allerdings mit einer anderen Frau. Seit damals zermartere ich mir das Hirn nach einer passenden Antwort, wie ich diese Situation hätte bewältigen können. Die Frau damals hat mich nie so angegrinst wie Frau Jonas. Mag sein, dass ich einfach zu unflexibel bin. Unter Druck fällt mir nichts ein.
Frau Jonas ist über sechzig. Sie verfügt über die entsprechenden Kenntnisse im Umgang mit schüchternen Jungs. Sie nimmt sich meiner an, greift entschlossen und fest meine Hand und führt sie dahin, wo ich nicht hin will. Kreisende Bewegungen, sie sagt kein Wort, grunzt nur, strahlt und strahlt. So fest wollen die Frauen das? Ich dachte immer, es gibt nur männliche Lüstlinge und auch die hören im Alter irgendwann auf. Sicher erhalte ich demnächst einen Preis, weil ich zum tausendsten Mal falsch vermutet habe. Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert, dass diese alte Frau scharf darauf ist, von einem Jüngling die Brust massiert zu bekommen, oder, das ich es tief in mir doch als Glück empfinde, endlich einmal ein solches Format greifbar nahe zu haben. Mein Gesicht eifert derweil im Ausdruck einem bekannten Action-Star nach: nur keinen Muskel bewegen. Erhard schaut belustigt aus der Wäsche, doch ihm entgeht nichts. Keine Anzeichen von gar nichts, sonst wird es der Kerl sicher weiter erzählen. Ich kenne ihn zwar nicht, doch warum sollte er schweigen? Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bin wohl in einer Zeitfalle gefangen, jedenfalls zeigt Erhard schließlich doch Erbarmen. Er nähert sich, löst meine Hand aus dem Schraubstock, zieht Frau Jonas ohne Worte wieder an und wendet sich der anderen Frau im Zimmer zu.
Ich schäme mich, immer noch den nassen Lappen in der Hand. Nicht genug, dass es mir eventuell gefallen haben könnte, ich konnte überhaupt nicht aufhören. Dieser alte Pfleger hat mich von der alten Frau regelrecht losmachen müssen. In diesem Land glaubt niemand eine Geschichte, in der die Frau den Mann zwingt. Nun werde ich wohl auch hier unten durch sein. So schnell geht das. Betreten stehe ich herum, kein Wort wird gewechselt, nur diese Jonas strahlt mich immer noch unverfroren an. Mehr bekomme ich nicht mit. Endlos lange dauert es, bis Erhard die andere Frau versorgt hat und geht. Ich nichts wie hinterher. Draußen stellt er sich an die Wand und ... lacht los. Nicht besonders laut, aber herzlich. Bin ich jetzt gefeuert?
»Oh, Mann, dein Gesicht war ja der Hammer. Hast nicht damit gerechnet, was? Niemand rechnet damit, ist wirklich der Brüller. Ne geile Alte, das ist der Hit, bringt euch junge Leute todsicher aus der Fassung. Mach dir nichts draus, die Jonas kann nicht dafür. Ist ein bißchen zurückgeblieben, nicht besonders schlau, weißt du? Kann noch nicht mal reden, aber geil war sie schon immer. Ist seit zehn Jahren hier und seitdem kriegt sie jeden neuen Jüngling dran. Mach dir nichts draus, hast dich tapfer gehalten.«
Mit einem Klaps auf die Schulter geht er weiter. Ich hasse ihn und bin doch erleichtert. So eine Art Äquatortaufe also, na bravo.
Diese Frau Jonas kann also nicht dafür, dass sie mich anbaggert? Sie baggert sowieso jeden an? Dann ist ja alles wieder im Lot. Welche normale Frau würde mich auch dergestalt offen und ohne Bedenken annehmen? Das ich da nicht früher drauf gekommen bin. Langsam wird mir bewußt, dass ich wirklich nicht im Feriencamp stecke, sondern in einem Pflegeheim. Ich lerne gerade, dass man nicht unbedingt am Körper krank sein muss, um hier wohnen zu müssen. Habe ich gerade >wohnen< gesagt?
Ich wechsele zum nächsten Thema und bedenke kurz den Zusammenhang: Wenn man debil ist, ist man gleichzeitig geil. Trifft das auf alle zu? Wieder bleibt viel zu wenig Zeit zum nachdenken. Obwohl der Pfleger sich nicht wirklich schnell bewegt, steht doch unausgesprochen ein ständiger Druck im Raum, sich nicht zu lange in einem Zimmer aufzuhalten, der Druck, allein zu sein gegen die vielen Leute in den vielen Zimmern. Ich zähle ja nicht, ich habe keine Ahnung und mit der folge ich Erhard in das nächste Zimmer. Immer schön eines nach dem anderen, dass Ende des Flures ist noch nicht erreicht und auf der anderen Seite befinden auch auch noch Türen. Wie spät ist es eigentlich? Ich habe den Sinn für die Zeit verloren, mich verfolgt die Vorstellung, nicht schnell genug zu sein, so viel Arbeit noch nicht gesehen zu haben, so viele Katastrophen noch vor mir zu haben und gleichzeitig den Eindruck zu gewinnen, die Zeit würde stehen bleiben. Schon jetzt ahne ich, dass so was einen zerreißen kann. Mich ganz bestimmt, wo ich doch absolut nicht zu spät kommen kann. Und hier werde ich immer und überall zu spät kommen. Düstere Aussichten.
Auf dem Türschild steht diesmal eine Frau Rosenkranz und eine Frau Stiefelhagen, dazu noch Frau Poppinger und Frau Wimmer. Vier Frauen auf einem Zimmer, das läßt doppelten Ärger vermuten. Und wieso ist nirgendwo der Vorname verzeichnet? Egal, ich tauche in das Zimmer ein und wieder riecht es nach allem, was ich sonst nicht rieche. Das Zimmer selbst ist ziemlich groß, was aber angesichts der drangvollen Enge nicht so sehr viel bedeutet. Es stehen eben vier Betten darin, drei parallel nebeneinander, das vierte Bett längs an der gegenüberliegenden Wand. Die entsprechende Anzahl Schränke und Stühle und fertig ist die Laube. Die Betrachtung der Frauen darin ist sehr spannend, fast überwältigend, so unterschiedlich sind sie. Wir kommen gerade recht, zuvor einen Streit zwischen den beiden vorderen miterleben zu können, von daher kann ich das mit den Unterschiedlichkeiten gut beurteilen.
»Sie han se doch nimi all, sie Sumpfkoh.«
Die Rednerin sitzt aufgerichtet in ihrem Bett, fuchtelt mit einem Arm, der andere hängt schlaff herunter. Sie ist dünn, faltig und fast kahl. Und rot im Gesicht. Ihre ziemliche beleibte Widersacherin nimmt die Beleidigung gelassen entgegen, liegt auf der Seite, sieht äußerlich unberürht herüber und antwortet dann auf die kölschen Töne mit herablassendem Hochdeutsch, jedes Wort trieft vor Arroganz:
»Wenn sie nicht einmal eine Vorlage lesen können, dann wäre es sicher an der Zeit, die berufliche Perspektive zu überdenken.«
»Wat? Ich lese kin Vorlagen, ich dunn se mir in de Hos, sie Ferkel. Wat sin sie dann für en Tröt, sie han doch denn Schuß net jehürt.«
»Den Schuß? Nun, ich habe den Schuß sehr wohl gehört, gleichwohl kann ich mich der Fragestellung nicht entziehen.«
Ich frage mich ernsthaft, um was es hier eigentlich geht, die zwei reden doch schwer aneinander vorbei. Erhard kümmert sich wie gehabt nicht um die Details, er geht zu der kölschen Frau und faßt sie am Arm an:
»He Oma Wimmer, was ist los? Mußt dich doch nicht immer so aufregen.«
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