Thomas Pfanner - Kampf um Katinka

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Nach einem hundertjährigen Krieg ruhen im Weltall die Waffen. Das Kaiserreich Horave hat mithilfe seiner kleinen Kolonie Katinka und dessen einzigem Kriegsschiff gesiegt. Nun wollen die Adligen von Horave dieses viel zu berühmt gewordene Schiff mitsamt der Besatzung beseitigen. Die Katinker planen ihrerseits eine gewaltsame Loslösung. Auf der gewaltigen Orbitalstation Horaves entbrennt ein letzter mörderischer Kampf voller Überraschungen für beide Seiten. Denn nichts ist so veraltet, wie ein Schlachtplan nach dem ersten Schuss…

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Kampf um Katinka

© Thomas Pfanner 2021

Für Viola und Madita

Das All war leer und wüst. Die verschiedenen Bildschirme zeigten allesamt ein grausiges Nichts an, das den Betrachter unwiderstehlich anzusaugen schien. Begünstigt durch die dreidimensionale Darstellung gewann Tadeusz Duda regelmäßig den Eindruck, mitten in der Zentrale mit gleich drei schwarzen Löchern konfrontiert zu sein. Der Zweite Offizier wusste um die Gefahren des Alls und die überaus plastische Darstellung dessen, was da draußen existierte. Oder eben nicht existierte. Die Holos galten bei ihrer Einführung vor vierzig Jahren als Sensation, weil sie das All rings um ein Raumschiff absolut lebensecht darzustellen vermochten. Besonders in Kampfsituationen ergab sich hieraus ein nicht zu unterschätzender Vorteil, weil man Bewegungen feindlicher Schiffe mithilfe der Echtdarstellung mehr fühlen als sehen konnte, was der Intuition der Menschen eine größere Chance gegenüber jedem noch so schnellen Waffenrechner gab. Die Reaktionszeiten sanken mithilfe der neuartigen Bildschirme auf ein Niveau, das mit den Möglichkeiten des Schiffes endlich auf einer Höhe lag. In kurzer Zeit wurden alle Schiffe mit den neuen Systemen bestückt und alle Besatzungen freuten sich, endlich ein Mittel in die Hand zu bekommen, mit dem bei Gefechten der schiere Zufall praktisch ausgeschlossen wurde. Von nun an gaben Ausbildung und Qualität der Mannschaften den Ausschlag, nicht zu vergessen das taktische Können der Offiziere. Dennoch, einen Nachteil besaß die neue Technik, den die Wissenschaftler bis zum heutigen Tage nicht ausmerzen konnten. Die Bildschirme waren und blieben für das Personal enorm anstrengend, es bedurfte langer und intensiver Ausbildung, bis die jeweiligen Besatzungsmitglieder in der Lage waren, für einen längeren Zeitraum in die Holos zu blicken, ohne unter Schwindelattacken umzufallen und ohne die zeitliche Orientierung zu verlieren. Die größte aller Gefahren bestand im so genannten Aufsaugeffekt. Der arglose Betrachter blickte in den Bildschirm … und wechselte die Zeitebene. Während rings um ihn herum die Zeit nach normalem Bordstandard weitertickte, tauchte der Betrachter seine Sinne in den Bildschirm ein und blieb darin kleben wie eine Fliege in Bernstein.

Die Wissenschaftler waren während der Erprobung öfters in lebensbedrohliche Situationen geraten, wenn sie unbeaufsichtigt Versuche durchführten. Der Bildschirm lief, ein Wissenschaftler tat irgendetwas anderes und blickte beiläufig in das Holo: Am nächsten Morgen fanden ihn die Kollegen bei Dienstantritt immer noch da stehen und in den Bildschirm starren. Für den armen Mann waren gerade zwei Sekunden vergangen, für die übrige Welt beinahe zehn Stunden. Nach Abschaltung der Apparatur war der Wissenschaftler zusammengebrochen, in seinen nun aufgedunsenen Beinen hatte sich Blut und Gewebswasser wie bei einem schwer Herzkranken gesammelt, er hatte nicht getrunken, nicht gegessen und nicht gepinkelt. All das musste auf der Stelle nachgeholt werden, zuerst wurde allerdings die gnadenvolle Bewusstlosigkeit nachgeholt. Der Effekt, einmal erkannt, verführte die Entwickler natürlich zu weiteren Experimenten. Kein Wissenschaftler von Rang hatte sich jemals von unbekannten Gefahren abschrecken lassen, besonders, wenn man die damit verbundenen Risiken dem unterstellten Personal aufhalsen konnte. Man stellte im Laufe der Versuche fest, dass der Effekt potenziell unendlich war. Und er wirkte auch auf alle anderen Lebewesen. Hasen und Katzen starrten in das Holo, bis sie verdursteten. Bei den Menschenversuchen berichteten die Delinquenten, dass für sie sehr wohl die Zeit verging, sie spürten keine Verlangsamung.

Mit der Entdeckung der zähflüssigen Betrachtungsweise stand das gesamte Projekt auf der Kippe. Da gab es nun diese schöne, neue Technik, und ihre Nutzung war brandgefährlich. Selbstverständlich wurden die Versuche intensiver und breiter angelegt, um einen Weg zu finden, die Holos doch noch nutzbar zu machen. Letzten Endes führte der Weg zum Erfolg allein über ein mühseliges mentales Training. Jeder Betrachter eines Holo musste lernen, zweigleisig zu denken. Auf dem zweiten Gleis konzentrierte er sich auf den Zeitablauf und zählte quasi mit. Unterstützt wurde er darin von seiner Ausrüstung. Brücken- und Waffenpersonal trugen in den ersten Jahren eine spezielle Brille, die ihnen die Echtzeit einspiegelte, und zwar in der altmodischen Zeigerform. Bewegten sich die Zeiger sehr schnell, blieb dies das einzige Zeichen für eine Verschiebung des Zeitempfindens in Richtung Zähflüssigkeit. Heutzutage implantierte man den Crews einen kleinen Chip, der sowohl die Zeit einspiegelte als auch im Falle eines Falles als sensorische Warnung ein Prickeln unter der Kopfhaut bewirkte. Normalerweise genügte das Training jedoch, um den Überblick zu behalten und in Echtzeit zu handeln. Gebraucht wurde die Warnung lediglich in komplizierten Situationen, im Gefecht etwa, wenn zusätzlich noch alles Mögliche schief ging, dann aber umso verzweifelter.

All das ging dem Zweiten Offizier durch den Kopf, während er in das Kommando-Holo blickte. Das völlige Nichts, das so nur während eines Fluges durch die Raumkrümmung dargestellt wurde, wirkte eher abschreckend und somit der zähflüssigen Betrachtungsweise entgegen. Andererseits vermochte der Anblick Depressionen auszulösen ob der Winzigkeit und Unwichtigkeit menschlichen Handelns angesichts des unendlichen Nichts.

Duda atmete durch und erinnerte sich, dass die Wissenschaftler bis heute ohne Erfolg nach dem Grund für die erstaunlichen Effekte suchten, die ein profanes technisches Gerät beim Menschen auszulösen imstande war. Ein schwacher Gong ertönte, die Pflicht erfüllte ihn mit neuem Antrieb.

»Hyperspleiß löst sich in dreißig Sekunden.«

Die Pilotin sah von ihren Kontrollen nicht auf. Nazifa musste so oft in ein Holo schauen, dass sie die Phasen, in denen sie es vermeiden konnte, nach Kräften in die Länge zog. Duda rückte sich im Sessel des Kommandanten gerade und löste die Gurte aus. Mit einem Schnalzen fuhren die Bänder aus und legten sich zielsicher um seinen Körper. Die Kopfstütze passte sich ihm an, die Fußrasten umklammerten mit leisem Knacken seine Unterschenkel.

»Beschleunigungsalarm«, sagte er ruhig. Um ihn herum ertönten von anderen Stühlen ähnliche Geräusche. Das blecherne Rattern des Alarms quoll aus allen Lautsprechern, um auch die Schlafenden der Tagschicht zu alarmieren. Die Cheftechnikerin gab Bescheid, ohne von ihren Kontrollen aufzusehen:

»Überraumendoskop meldet freies Feld. Plasmakupplung bereit. Hypertauscher online.«

Duda nickte beiläufig und ruckelte seinen etwas untersetzten Körper einige Millimeter zurecht, um sein Gewicht gleichmäßiger auf beiden Gesäßhälften zu verteilen. Die Gurte quittierten die Bewegung mit einem kleinen Ruck, der die Verbindung zwischen ihnen und dem Objekt ihres Bemühens um einen Zacken fester werden ließ.

»Hyperspleiß geht in zehn Sekunden offline.«

Der Bordrechner begann, mit seiner typischen quakenden Stimme zu zählen. Der Boden vibrierte ganz sachte, als die Fusionsmaschine auf Volllast ging. Das Ende eines Fluges in der Raumkrümmung verdiente das gesamte Augenmerk von Besatzung und Maschinerie. Der Zweite Offizier verzog mürrisch den Mund bei dem Gedanken, in welch ungeheurem Ausmaß seines und das Leben der Besatzung von Technik abhing, die nicht bis ins Letzte verstanden war, und von Methoden und Handlungsabläufen, die nie frei von Überraschungen und Unwägbarkeiten bleiben würden. Wenn zum Beispiel jetzt gleich der Hyperspleiß seine Energie verbraucht haben würde und das Schiff wieder in den Einstein-Raum spuckte, konnte alles Mögliche passieren. Manchmal ging es sogar glatt und gar nichts passierte. Meist bewirkte das Ausspucken jedoch einen knackigen Gravitationsschub, den der Negator nicht vollständig ausgleichen konnte, weil die Schwankung schlicht zu schnell kam. Nein, Duda korrigierte sich sogleich, der Schub kam nicht zu schnell, er kam sofort, aber nie zur gleichen Zeit. Das Ausspucken dauerte etwa null Komma vier Sekunden, innerhalb dieser Zeitspanne und noch drei bis vier Sekunden danach konnte innerhalb einer tausendstel Sekunde eine Gravitationswelle durch das Schiff orgeln. Immerhin war es bisher noch nie vorgekommen, dass dieser Gravitationseinschlag die Belastbarkeit trainierter Menschen überstieg. Warum das so war? Wieder etwas, auf das die ansonsten überschlauen Wissenschaftler des Reiches keine Antwort geben konnten. Der Countdown endete, das Nichts im Holo wechselte abrupt zu schlichtem Schwarz. Duda nahm die Änderung wahr, in seinem Empfinden verging eine Sekunde, dann knirschte es bedenklich. Erst als das Knirschen längst wieder aufgehört hatte, bemerkte er den Grund hierfür; seine Gurte und sogar seine Rippen hatten das Geräusch verursacht. Ein Blick auf das Display auf der rechten Armlehne belehrte ihn über den Andruckwert. Leise pfiff er durch die Zähne. Neun g, der Höchstwert in diesem Monat.

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