Er trug weiße Jeans, hatte das Hemd aufgeköpft, damit auf seiner Brust das dunkle leicht gekräuselte Haar zu sehen war, darauf war er stolz, galt damals als männlich: Burt Reynolds nackt auf einem Bärenfell als ausklappbarer Playmen. Ein Mann ohne Haare auf der Brust ist wie ein Hahn ohne Federn! Das Geschlecht, der Trieb war immer in Bereitschaft, lag auf der Lauer. Am Strand drehte er sich rasch auf den Bauch, drückte seinen Schwanz in den warmen Sand. Eine Erektion, offensichtliche, unübersehbare Geilheit hatte ihn überraschte, war nicht mehr zu unterdrücken, unübersehbar, wohlig unangenehm. Ein ebenso wohliger Schauer, gepaart mit Genugtuung, bei denen die diese Reaktion ausgelöst, den Blick von dieser drängende Fülle nicht lassen konnten. Bisweilen machte er sich den Spaß, sich eine Karotte in die Hose zu stecken, so wie die Balletttänzer die berühmte, sagenumwobene Hasenpfote, nur um sich dann, wenn auf seine Pracht gestarrt wurde, lüstern in die Hose zu greifen: Oh Gott! Was macht er da! weit aufgerissene Augen, Fingerspitzen am Mund, dann kam die Möhre zum Vorschein und er biss genüsslich ein Stück von ihr ab. Das Spiel stand im Vordergrund. Räume sich ungestört zurückziehen zu können, waren rar, die Neugierde viel größer, als die Bereitschaft sich auf wirkliche Abenteuer einzulassen.
Na ja, ehrlich gesagt, wir hätten schon jede Chance genutzt, es waren die Mädchen, die sich zurück hielten, die immer im Pulk auftraten, abseits von den Jungen, an ihnen hin und her vorbei flanieren, als hätten sie keinen Blick für sie übrig. Sie spielten sich eine Libertinage vor, die dem Spiel vorbehalten blieb. Verhütungsmittel waren nicht so selbstverständlich, so leicht zu bekommen. „Erna. Was kosten die Kondome!“ Discounter gab es auch noch nicht. Der gute Ruf eines Mädchens verband sich noch mit dem einen und einzigen für den sie sich aufsparte. Wir junge Männer tauschten Adressen der Verruchten, der Nymphomaninnen, die bereitwillig die Beine spreizten. Erfahrungen, seine Hörner abstoßen, macht man woanders. Selbstverständlich war man immer potent, immer bereit, wie die jungen Pioniere in der DDR die damals SBZ, Sowjetische Besatzungszone, genannt wurde: Seid bereit! – Immer bereit!
Ende der sechziger Jahr, zur Schau getragene Sinnlichkeit. Tempotaschentücher in BHs, einer war dabei, an dem er hinten hilflos herum fingerte, den Verschluss suchte. Sie half ihm, mit einem Griff zwischen ihre Brüste: Klack! auf und weg damit..
Außerhalb der Milchbars, der Jugendtreffpunkte, den ersten Discos, auf der Straße zwischen den anderen, diesen grauen Arbeitsmäusen, die der Alltag mit Mehlstaub überzogen hatte, leuchteten sie hervor wie bunte Blumen, weckten bewundernde, neidische Blicke, böse Kommentare: Diese Röcke, da kann man ja bis „sonst wohin“ gucken! Diese langen Haare, wird zeit, dass die der Barras (Bund) holt! In den Schwimmböden mussten die Langhaarigen Frauenbadekappen tragen und sahen beknackt aus.
Es war keine angepasste, vom Staat, von den älteren in Form gebrachte, verführte Jugend, zumindest war die Verführung nicht so offensichtlich, war sie anarchischer, noch hatte die Konsumgüterindustrie sie nicht im Visier, voll im Griff. Sie waren immer knapp bei Kasse, noch keine „Zielgruppe“, wild, bunt, regellos, durchaus faul, verwöhnt, viel Müßiggang, besonders die „Speerspitze“ die Studenten der Geisteswissenschaften, die sich mit Sartre, Simone de Beauvoir, Camus, mit Jules und Jim, dem Marxismus, dem golden Zeitalter der internationalen Herrschaft der Werktätigen beschäftigte, inbrünstig in aller Öffentlichkeit: „…die Internationa-ha-le erkämpft das Menschenrecht!“ sangen. Jeunesse dóree.
Nun werde ich entmannt, stehe im vielleicht letzten Viertel meines Lebens und sehne mich mit allen Fasern zurück nach dieser Zeit. Frauenleiber, die sich anschmiegen, deren Schamhügel einem den Unterleib massieren, bis sie dort eine andere Wölbung hervorlocken: „Sorry, geht nicht mehr! Tote Hose!“ Die Bedeutung von Sex wird sowieso gigantisch überschätzt wird, gerade in meinem Alter. Seinen Mann stehen ist sicher nicht alles, aber ganz ohne diese Fähigkeit scheint ihm dennoch alles nichts zu sein.
Donnerstag, 11 August 2011 – Der Regenbogen
Der Gewitterregen drückte alles nieder, riss halb verblühten Heckenrosen die Blätter ab, warf sie zu Boden, da lagen sie, wie kleine rosarote, rote, weiße Flamingofedern mitten im Gras. Die dunklen schweren Wolken streiften fast die Baumwipfel, die Regentropfen die unablässig, schier unerschöpflich, aus ihnen herunter prasselten, zogen einen dichten Vorhang von Regenschnüren über den Abhang bis hinunter zum Waldrand und nun war doch an der Wolkenkante wieder ein Streifen blauen Himmels zu sehen. Das Gewitter hatte sie überrascht, alle waren ins Haus gestürzt, hatten eben noch die Wäsche, halbnass, so wie sie war von der Leine gerissen und in den Korb geworfen. Er war wieder der kleine Junge, fasziniert von dem Donnergrollen, den Blitzen, die dicht vor seinen Augen zur Erde zuckten, dicht vor ihm, als wollten sie direkt ins Haus einschlagen. Er konnte sich kaum rühren so gebannt war er, stand zwischen Vorhang und Glasscheibe der Verandatür, direkt an der Scheibe, die Hände links und rechts in Schulterhöhe auf das Glas gelegt. Er spürte die Kühle des Glases, seine Vibration von den Regentropfen, die gegen die Scheibe prasselten, auf ihr zerplatzten, in kleinen Bächen dicht an dicht herunter rannen. Sein Blick war zum Himmel hoch gerichtet, jetzt begann hinter den abziehenden schweren Wolken her, die Sonne die Wipfel der Tannen zu bestrahlen und dann stand der Regenborgen zum Greifen nah vor ihm, fiel direkt vor ihrem Haus zur Erde hinunter, musste auf der Wiese vor dem Wald auf die Erde treffen. Mama hat gesagt, da wo der Regenbogen auf die Erde trifft, steht ein Topf voll Gold. Schon war die Tür auf, noch unter den letzten Tropfen rannte er hinaus, kümmerte sich nicht, dass seine Socken im nu durchnässt waren, das Wasser in den Sandalen hin und her quatschte, die Beine bis hinauf zu den Aufschlägen der kurzen Lederhose nass waren. Er lief und lief, hatte den Regenbogen dicht vor sich. Unbedingt wollte er der erste sein, der den Goldtopf in den Armen hielt, kein Rufen hielt ihn zurück. Mama wird sich freuen, alles wird auf einen Schlag viel einfacher sein. Der PUK Roller, den bekomme ich dann ganz sicher, in rot, mit weißen luftgefüllten Reifen, mit einer Klingel, die Geschwister bekommen natürlich auch etwas, die Mutter ein neues Kleid und dann bauen wir uns ein eigenes Haus, aus dem uns keiner hinaus werfen kann. Wo genau war er noch auf die Wiese gestürzt, der Regenbogen? Er wischte sich die nassen Haare aus den Augen, vor seinen Augen verschwand der Anfang, als habe er es sich anders überlegt, wäre einfach weiter gewandert in den Wald hinein. Er muss doch zu finden sein, weit konnte er nicht gekommen sein und schon war er mitten im dunklen Wald zwischen den Tannen, durch die hindurch die Sonnenstrahlen auf den Waldboden fielen, ihn zum Dampfen brachten. Er schaute nach oben, sah die Streifen Sonnenlicht, wie Strahlen fuhren sie zwischen die Äste, irgendwo da oben musste sich der Regenbogen verfangen haben, glitzerte es da nicht golden in einer Astgabel? Der Regenbogen war verschwunden, als er durch den Wald hindurch auf der anderen Seite wieder hinaustrat, war er nicht mehr zu sehen. Er rannte auf die Wiese hinaus, blieb stehen, erschöpft, enttäuscht, zum Umkehren bereit, drehte er sich zurück auf den Weg, den er gekommen war. Der Regenbogen narrte ihn, da stand er wieder, auf der anderen Seite des Waldes, nur etwas blasser, als habe er sich keinen Millimeter von der Stelle gerückt. Pech gehabt!
Montag, 15. August 2011 - Sinfoniekonzert
Noch drei Tage. Schon seit Jahren hatte er immer wieder diesen, nur mühsam zu beherrschenden Drang in einem Sinfoniekonzert, sich im Zuschauerraum von seinem Sitz zu erheben und laut irgendetwas zu rufen, gerade in einer leisen Phase der Darbietung, in einem Moment andächtiger Stille oder angestrengten Hinhörens. Zuerst war da das Wort: Scheiße! laut gebrüllt, davon kam er aber wieder ab, dass könnten Musiker und Dirigent persönlich nehmen. Er hatte nichts gegen das jeweilige Programm, das wie gewohnt unbekanntes, auch neue Musik, mit musikalischen Gassenhauern mischte, die jeder immer hören will, zu kennen hatte, die zur Allgemeinbildung gehören. Es war dieses im halbdunklen Zuschauerraum in anständiger Haltung sitzen, die einem der Sitz sowieso vorgab, der für ein sich hinflegeln keinen Raum ließ. Konzentriertes Hinhören vorgaukeln, geistige Schlaffheit, mit gespielter Fachkunde übertünchen. Diese vorgebliche Andacht, dieses weihevolle Zuhören, dem sich alle fügten, widerstands- und willenlos, selbst ein Rascheln beim Auspacken von Hustenbonbons erregte Aufsehen. Man hatte die Wahl zwischen einem schnellen lauten, einmaligen: „Knister!“ „Knister!“ und diesem bemüht leisen, vorsichtigem, endlosen: „Knister“, „Knister“, „Knister“, „Knister“, „Knister“, „Knister“….. unterm Sitz, unter der Handtasche, in derselben, mit Pausen dazwischen. Feindseliges Kopfschütteln: „wird die den mit ihrem blöden Hustenbonbonauspacken nie fertig!
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