»Mein Dad ist kein Mörder. Das müssen Sie mir glauben.«
Der Mann stieß ein heiseres Lachen aus. »Du bist ja vielleicht naiv, Honey. Glaubst du vielleicht er würde abends nach Hause kommen und sagen: ‘ Ach ja, was ich dir noch erzählen wollte; ich habe vorhin mal eben ein Mädchen vergewaltigt und umgebracht. War ganz nett. Was gibt es denn heute im Fernsehen? ’ Dein Daddy ist nicht der Heilige, als den du ihn hinstellen willst. Er hat genug Dreck am Stecken, um ihn endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Er ist Abschaum und muss beseitigt werden.«
Er starrte mir hasserfüllt in die Augen und ich wendete verängstigt den Blick ab. Da war er wieder: Dieser wahnsinnige Gesichtsausdruck, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Von einer Sekunde zur anderen war der harmlos wirkende, untersetzte Mann verschwunden und hatte die Bühne für den unheimlichen Mr. Hyde freigegeben. Ich spürte, wie seine weit aufgerissenen Augen mich fixierten und erschauerte.
»Nein, das ist nicht wahr.« Meine Stimme klang dünn und belegt. »Es ist nicht wahr.«
Der Mann drehte sich lachend um und verließ den Raum mit schnellen Schritten. Die Tür flog krachend zu und wurde von außen verriegelt. Ich hörte, wie die Geräusche sich entfernten. Noch einmal ertönte das schallende Gelächter, dann kehrte die Stille zurück in mein dunkles Verlies.
Ich legte die Hände vor das Gesicht und versuchte, meine Emotionen in den Griff zu bekommen. Wie konnte dieser Mann nur solche Dinge behaupten? Mein Dad war doch kein Mörder; er würde sich nie an einem unschuldigen Mädchen vergehen. Völlig durcheinander legte ich mich auf das Bett. Unkontrollierte Gedanken schossen mir durch den Kopf; Bilder meiner Kindheit, Bilder von meinem Vater. Als Angela und ich noch klein waren, war Dad immer für jeden Spaß zu haben. Er tobte mit uns über die Wiesen und Felder, bis wir völlig erschöpft auf der Picknickdecke einschliefen. Wir ließen zusammen Drachen steigen, spielten Ball, lernten gemeinsam Fahrrad fahren. Er war immer für mich und Angela da.
Als wir älter wurden, mussten wir allerdings auch feststellen, dass wir mit einem ganz schönen Moralapostel zusammenlebten. Dad war ein Mensch, von dem man glauben konnte, dass er persönlich sämtliche Gesetze, Normen, Regeln und Gebote unserer Gesellschaft aufgestellt hatte. Er hätte niemals eine dieser Grenzen überschritten.
Dad war nicht streng religiös; er glaubte an Gott, aber auch daran, dass jeder Mensch sein Leben selbst in die Hand nehmen und seine eigene Zukunft weitestgehend mitbestimmen konnte. Vorausgesetzt man hielt sich an die Regeln. Große Regeln, wie: ‘ Du sollst nicht stehlen ’ und kleine Regeln, wie: ‘ Du sollst einen Rasen nicht betreten, wenn ein Schild es verbietet ’ oder: ‘ Du sollst nicht bei Rot über eine Ampel gehen, auch wenn das nächste Auto fünfundachtzig Meilen entfernt ist ’. Er war ein guter Mensch; ein Spießer, aber trotzdem ein guter Mensch. Ich wurde von meinen Freundinnen zwar oft belächelt, wenn sich Dad mal wieder als Vorzeigebürger Nummer eins präsentiert hatte, aber irgendwann im Laufe der Zeit hatte ich gelernt, mit diesen Kommentaren umzugehen. Wegen dieser Macke wurde er ja nicht gleich zu einem schlechten Dad oder zu einem schlechten Menschen.
Und jetzt kam aber dieser kleine, fette Mann und behauptete felsenfest, dass er sehr wohl ein schlechter Mensch sei. Sogar ein verdammt schlechter. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wer zur Hölle war dieser Freak? Er erinnerte mich vom Aussehen her ein wenig an einen unserer alten Nachbarn, als wir noch in San Diego gewohnt hatten: Gary Hollister. Genau so klein und dick, aber mehr Haare. Nur mit dem Unterschied, dass Gary Hollister ein richtig netter Typ war. Dies hier war eher sein psychopathischer Halbbruder – ‘Psycho Gary’.
Wie sollte es nun weitergehen? ‘Psycho Gary’ hatte gesagt, er würde mich töten, wenn mein Vater kein Geständnis ablegen würde. Aber Dad konnte doch nichts gestehen, was er überhaupt nicht getan hatte. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass mein Todesurteil bereits unterzeichnet worden war. Die Gedanken an meinen Vater verschwanden in diesem Moment irgendwo in den hintersten Ecken meines Verstandes, die Angst und Sorge um mein eigenes Leben drängte sich hartnäckig in den Vordergrund. Vielleicht würde Dad ja zugeben, dass er dieses Mädchen getötet hatte. Wenn er es wirklich getan hatte, dann war es jetzt seine verdammte Pflicht, ein Geständnis abzulegen. Er musste das Leben seiner Tochter retten; er durfte nicht zulassen, dass auch mein Leben durch seine Schuld beendet würde.
Ich erschrak bei den Gedanken, die meinen Kopf durchzogen und sich gegen jede Vernunft nach vorne boxten. Nein, mein Vater war kein Mörder; dessen war ich mir sicher. Das bedeutete jedoch aber auch, dass er nichts zu gestehen hatte. Und die Konsequenz dieser Situation war mir ebenso bewusst, wie die Kälte, die mich in diesem Moment umgab. Eine Kälte, die meinen Körper sowohl von außen, als auch von innen gnadenlos umhüllte und meine Glieder erstarren ließ.
Kapitel 17 (Steve Delaney)
»Ich glaube, wir haben einen Volltreffer.« Marc kam mit schnellen Schritten in mein Büro und wedelte mit einer Akte herum.
»Du hast etwas gefunden?« Ich blickte neugierig von meinem Schreibtisch auf und Marc legte mir die Unterlagen hin.
»Jennifer Casparido aus Fresno. Ihre Leiche wurde vor vierzehn Monaten gefunden. Die Neunzehnjährige war nach der Arbeit in einem Beauty-Salon nicht nach Hause gekommen, ihr Freund hatte sie daraufhin als vermisst gemeldet. Die Spurensuche der Polizei war zunächst erfolglos geblieben, erst der Hund eines Spaziergängers hatte sie schließlich im Unterholz eines nahe gelegenen Waldstückes gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war sie seit drei Tagen tot gewesen. Die Autopsie ergab, dass sie mehrfach vergewaltigt und schließlich mit vierzehn Messerstichen im Brustbereich getötet worden war. Zudem hatte sie Fesselspuren an Hand- und Fußgelenken, zahlreiche Prellungen, sowie Brüche von Kiefer- und Jochbeinknochen.«
Ich blätterte die Akte durch und verharrte bei den Bildern der Leiche. »Der Täter ist mit extremer Brutalität vorgegangen.«
»Das stimmt. Allein von den vierzehn Messerstichen waren elf tödlich.«
»Er wollte auf Nummer sicher gehen.«
Marc zuckte mit den Schultern.»Nun ja, das ist ihm definitiv gelungen. Das Mädchen hatte nicht die geringste Chance.«
»Wurden Spuren sichergestellt?«
»Die Polizei hatte damals das ganze Gelände systematisch durchkämmt und schließlich auf einem nahegelegenen Rastplatz in einem Abfalleimer die in eine Plastiktüte eingewickelte Tatwaffe gefunden. Es konnten mehrere Fingerabdrücke gesichert werden, der Täter war jedoch polizeilich nicht erfasst.«
»DNS-Spuren an der Leiche?«
Mein Partner schüttelte den Kopf. »Nein, es wurden keinerlei Haare, Hautpartikel oder Spermaspuren an ihrem Körper oder ihrer Kleidung gefunden. Der Täter hatte Kondome benutzt und diese leider nicht zusammen mit der Tatwaffe entsorgt. Die Polizei hat damals die Fingerabdrücke von allen Männern in Jennifers Umkreis genommen – auf freiwilliger Basis, da keinerlei Verdachtsmomente gegen sie vorlagen – aber es gab keine Übereinstimmungen.«
»Gab es Personen, die die Abgabe der Fingerabdrücke verweigert haben?«
»Laut den Unterlagen nicht. Der Täter schien nicht aus dem direkten Umfeld des Mädchens zu kommen. Die Ermittlungen brachten keinerlei Ergebnisse und da es auch keine neuen Hinweise gab, denen man nachgehen konnte, wurde der Fall letztendlich ungelöst zu den Akten gelegt.«
Ich blätterte die Unterlagen weiter durch und überflog die Berichte. »Dann sollten wir die Akte jetzt wohl wieder öffnen. Sie lebte in Fresno? Gibt es bei ihr irgendwelche Verbindungen zu Los Angeles, sodass sie John Simms über den Weg gelaufen sein könnte?«
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