„Ein beeindruckender Mann, dieser Pater“, erwiderte er.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nur zu genau, welchen Eindruck der Padre bei der ersten Begegnung hinterließ. „Also, wo war ich? Ach ja…“
Ich jammerte herum, stampfte mit dem Fuß auf und erschrak mich selbst darüber, wie laut es in der Kirche klang.
„Sie sollten sich selbst sehen, Miss Ada“, meinte der Pater mit verschränkten Armen vor der Brust und einer hochgezogenen Augenbraue. „Sie benehmen sich wie ein Kleinkind! Es fehlt nur noch, dass Sie sich auf den Boden legen und mit den Armen und Beinen strampeln.“
„Kein Problem! Das können Sie gern haben“, erwiderte ich und schon ging ich auf die Knie, aber ich sah noch, wie er mit den Augen rollte.
„Jetzt hören Sie schon auf!“, fuhr er mich an, packte meinen Arm und zog mich hoch. „Das ist doch lächerlich. Seien Sie erwachsen!“
Ich war erstaunt, wie viel Kraft in Pater Michaels Hand lag. Welche Muskeln verbarg er unter seiner Soutane? Wie aufregend!
„Ich will aber nicht erwachsen sein! Ich musste früh genug erwachsen werden und musste aufhören, Kind zu sein. Jetzt will ich aufhören, erwachsen zu sein und Kind sein. Nennen Sie mir nur einen Grund, wieso ich das alles tun sollte, was Sie von mir verlangen? Wer hat je für mich gekämpft? Und kommen Sie mir bloß nicht wieder mit weil es Ihr Schicksal ist !“, versuchte ich seinen Tonfall nachzuäffen.
„Weil es Ihre Bestimmung ist“, gab er zum Besten.
„ Meep ! Falsche Antwort. Das ist das Gleiche. Versuchen Sie es noch mal, Padre!“, verlangte ich.
„Es ist die Pflicht, die Ihnen von Geburt an auferlegt wurde.“
Das war schon besser, aber es reichte mir trotzdem nicht, was ich ihm auch mitteilte. Der Padre schüttelte daraufhin den Kopf und ließ mich los. „Hören Sie! Sie können sich davor nicht verstecken. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die Erste: Sie nehmen Ihr Schicksal an und vertrauen mir und lernen…“
„Ich nehme die zweite Möglichkeit!“, fuhr ich dazwischen und sah ihn entschlossen an.
Pater Michael seufzte und sprach dann weiter. „Wenn Sie die zweite Möglichkeit wählen, werden Sie sterben. Und zwar bald. Die Monster da draußen beobachten diese Kirche. Sie werden bald herausfinden, dass eine neue Jägerin da ist. Sie werden herausfinden, wer Sie sind und wo Sie wohnen. Und dann war Ihr Zuhause die längste Zeit Ihr Zuhause. Sie sind dort nicht sicher.“
„Ach, und hier bin ich es?“, schrie ich ihn an. Mein Echo hallte durch den hohen Raum wie ein Donnergrollen.
Der Pater nickte. „Die Kirche steht auf geweihtem Boden. Die Geschöpfe der Nacht können nicht durch diese Tür treten. Das hier ist der einzige Ort, an dem Sie sicher sind. Gewöhnen Sie sich an den Gedanken. Ich musste es auch tun.“ Damit wandte er sich um und lief auf den Altar zu.
Ich lief ihm eilig hinterher und hielt ihn am Ärmel fest. „Moment mal! Soll das heißen, Sie sind auch ein Jäger?“
Behutsam nahm er meine Hand von sich. „Ich bin kein Jäger, Miss Ada. Ich bin ein Lehrer. Ihr Lehrer, um genau zu sein. Uns gibt es bereits genauso lange, wie es die Jäger gibt. Seit Anbeginn der Zeit sind die Lehrer ausnahmslos Männer der Kirche. Wir sind dazu da, dass das Wissen nicht verloren geht. Natürlich muss man auch gewisse Voraussetzungen erfüllen.“
„Mhh, und Sie haben all diese Voraussetzungen erfüllt, nicht wahr?“, fragte ich ihn und musterte sein Gesicht.
„In der Tat, Miss Ada. Und wenn Sie es mir erlauben zu sagen, ich bin einer der Besten, die es je gegeben hat“, entgegnete er mir sichtlich stolz auf seine Leistung.
Ich runzelte die Stirn. „Okay. Offensichtlich ist Arroganz eine der Voraussetzungen für dieses Lehrer- Ding“, entfuhr es mir. Ich hatte es mir einfach nicht verkneifen können.
Pater Michael funkelte mich mit seinen dunklen Augen an. Dann straffte er die Schultern, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Nun, Miss Ada. Wie lautet Ihre Wahl? Wollen Sie sich der Sache stellen oder sind Sie feige und verstecken sich bis zu Ihrem baldigen Ende unter Ihrem Bett?“, fragte er und lächelte mich mit einem schiefen Grinsen an, das mir absolut nicht gefiel. Ein gewisser Hass darauf entwickelte sich schon jetzt bei mir!
Hier stand ich nun. Ein fremder Mann hatte mir eine abstruse Geschichte erzählt und stellte mich vor die Wahl, ob ich um mein Leben kämpfen oder es aufgeben wollte. Oftmals hatte ich mich gefühlt, als würde ich nur vor mich dahinvegetieren und wartete darauf, dass etwas Spannendes, etwas Aufregendes passierte. Ulkig, wie Wünsche sich manchmal erfüllen.
„Ich will noch nicht sterben!“, antwortete ich ihm nur kurz.
Pater Michael nickte. „Das dachte ich mir schon. Dann sollten Sie sich von allem und jedem in Ihrem Leben verabschieden“, sagte er, drehte sich herum, wobei seine Soutane wie die Schwingen einer Fledermaus flatterte, und schwebte davon.
„Das habe ich schon vor Jahren getan“, murmelte ich.
Pater Michaels Schritte gerieten kurz ins Stocken, dann verschwand er hinter dem Vorhang. Aber es kam mir vor, als hätte er gesagt: „Umso besser. Das macht es einfacher.“
Blöder, gefühlskalter Kirchenfutzi!
6. Noch kannst du es beenden
Das Klicken des Aufnahmegerätes brachte mich zum Verstummen. „Oh“, sagte der Reporter und besah sich das Band. „Es ist zu Ende, und ich habe kein weiteres mitgebracht.“
Ich nickte. „Sie müssen sowieso gehen. Es wird bald dunkel, und Sie wollen doch dort draußen nicht den Monstern begegnen?“, erwiderte ich.
Der Reporter lächelte nur schwach. „Dann komme ich morgen noch einmal. Sagen wir, um die gleiche Zeit wie heute?“, sprachs und blickte von seiner Tasche auf.
„Das heißt also, dass Sie mir glauben?“
„Lassen Sie es mich so ausdrücken: Sie haben mich neugierig gemacht“, erwiderte er.
Ich lächelte und reichte ihm die Hand. „Dann sehen wir uns morgen. Selbe Zeit, selber Ort.“
Der Reporter nahm seine Tasche und schlenderte zwischen den Holzbänken hindurch auf die Kirchentür zu. Ich wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte und ging dann hinterher, um sie für die Nacht zu verriegeln.
Ich wandte mich um und lief zum Altar. Für einen Augenblick blieb ich davor stehen. Gedankenverloren spielte ich mit meinem geflochtenen Zopf und betrachtete das prunkvolle goldene Kreuz, dessen blutrote Rubine mich anfunkelten. Ich überlegte immer noch, ob es richtig war, meine Geschichte zu erzählen. Aber anders ging es nicht! Ich musste die Menschen warnen. Ich konnte den Kampf nicht allein führen. Die Menschen mussten auch selbst etwas dafür tun, dass sie geschützt waren.
„Geht es dir gut?“
Ich zuckte beim Klang der Stimme zusammen. Pater Michael lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand und beobachtete mich. Ich hasste es, wenn er sich still und heimlich an mich heranschlich, sodass ich wie ein aufgeschrecktes Reh zusammenfuhr.
Ich nickte und warf mir mein Haar wieder zurück nach hinten. „Ja, ja. Alles bestens. Dieser Dan Meyers ist nur so ein Kerl, in dessen Gegenwart Frau sich einfach nur unwohl fühlen kann“, sagte ich und schüttelte mich übertrieben.
„Mhh“, gab der Pater von sich, was immer bedeutete, dass ihm etwas nicht gefiel. Er stieß sich von der Wand ab und kam langsam auf mich zu. Eingehend betrachtete er mein Gesicht. „Das ist aber nicht das Einzige. Habe ich Recht? Du hast Zweifel, ob es richtig ist. Ich sehe es dir an. Noch kannst du es beenden“, sagte er.
Ansatzweise hatte er Recht. Ich hatte Bedenken, ob ich dem Reporter wirklich trauen konnte. Mein Vertrauen in andere Menschen hatte in der Vergangenheit sehr gelitten. Ich wusste aber auch, dass die Menschen in ihrem Wesen nicht alle gleich sind. Dennoch kostete mich diese ganze Sache viel Überwindung, und es war mühsam die Vorurteile abzulegen, die ich über die Jahre hinweg angesammelt hatte. Aber ich wollte es wenigstens versuchen. Schließlich hatte ich ein Ziel vor Augen. „Nein, das geht nicht. Ich weiß, dass du dagegen bist. Aber du weißt von dem Chaos, das in den Straßen herrscht. Und du weißt auch, dass ich das nicht allein bewältigen kann. Es wird immer schlimmer, und wenn ich das für den Rest meines Lebens machen soll, brauche ich Hilfe. Wenn es mehr von uns geben würde, würde es leichter sein. Aber so ist es nun mal nicht. Die Menschen müssen sich selbst schützen können.“
Читать дальше