Der Pater tat so, als wäre die Antwort völlig offensichtlich. „Bernard, Mister Hawk, hat ihn mir verraten.“
Toll!
„Und wie heißen Sie, und was wollen Sie von mir?“
„Ich bin Pater Michael.“
Ich prustete los. „Der heilige Michael, wie originell! Haben Sie sich den Namen selbst gegeben?“, fragte ich und sah ihn herausfordernd an.
Der Pater ließ sich aber leider nicht beirren. „Nein, habe ich nicht. Und Sie, Miss Ada? Haben Sie sich Ihren Namen selbst gegeben?“
„Tss, nein! Bestimmt nicht. Und soweit ich weiß, gibt es auch keine heilige Ada von Dingsbums“, konterte ich.
„Wissen Sie welche Bedeutung Ihr Name hat?“, fragte er und legte den Kopf schief. Ich verneinte, und seine Erklärung kam umgehend. „Ada bedeutet die von Gott Geschmückte oder auch die edle Kämpferin .“
Oh Mann, wie interessant!
„Allerdings“, er fing wieder an mich zu umrunden, „sind Sie weder geschmückt noch sehen Sie aus wie eine Kämpferin.“
Mhh, ich hatte mich offensichtlich getäuscht, was die Chemie zwischen ihm und mir anging. Es war eine kränkende Chemie, auf die ich gern verzichtete. Zu allem Überfluss fasste er an meinen Oberarm und kniff in mein Winkelement. Sofort entriss ich mich seinem Griff. Ich wusste auch, dass nicht alles an mir fest und knackig war. Schönen Dank auch! Ich rieb mir über die schmerzende Stelle an meinem Arm. Auch Fett hat Gefühle. „Scherzkeks!“, murmelte ich und sah ihn giftig an.
Er starrte einfach nur zurück.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, während wir mit unseren Blicken versuchten, den anderen niederzuzwingen. Am Ende gewann er. Ich gratuliere, Padre. Sie gewinnen den Starr-Wettbewerb. „Also, Pater. Schluss mit den Höflichkeiten! Sagen Sie mir jetzt, was Sie von mir wollen!“, verlangte ich.
Pater Michael drehte sich herum und ging zwischen den Holzbänken entlang, während er fragte: „Wie wäre es mit einer Tasse Tee, Miss Ada?“
„Sie haben sich bestimmt gefragt, wieso Mister Hawk Sie immer so angestarrt hat, nicht wahr? Kann ganz schön unangenehm sein, mhh?“, fragte der Pater.
Ich saß auf dem Stuhl, den er mir angeboten hatte. Der Pater selbst lief um seinen Schreibtisch herum und nahm dahinter Platz.
Wir saßen in seinem Büro, das sich hinter dem Vorhang verborgen hatte. Die Einrichtung war langweilig hell und traf absolut nicht meinen Geschmack. Der Boden war mit beigem Teppich ausgelegt. Die Möbel darauf waren allesamt aus Buche. Die offenen Fächer der Schränke waren gefüllt mit theologischen Büchern und Aktenordnern. Ich entdeckte auch ein altes Kofferradio, ein einfaches Holzkreuz und Kerzenhalter, die antik aussahen. Der Schreibtisch war ordentlich aufgeräumt. Alles stand an seinem Platz. Der Stiftehalter aus Leder, der Tacker und Locher und auch die alte Lampe mit dem bunten Glasschirm. Das altmodische Telefon mit der Wählscheibe verblüffte mich am meisten.
Ich nahm meine Tasse und führte sie an meinen Mund, um einen Schluck von dem ungesüßten Gebräu zu nehmen. Unter seinen wachsamen Augen, die schon zuvor jedes meiner Röllchen begutachtet hatten, wagte ich es nicht, mir Zucker in den Tee zu tun. Und ich hasse es, Tee ohne Zucker zu trinken! „Ja, das können Sie wohl laut sagen. In manchen Ländern wird es sogar als Beleidigung angesehen“, antwortete ich und besah mir ungeniert die lateinischen Sprüche, die auf Stoff gestickt an den Wänden hingen.
„Bernard meinte es nicht als Beleidigung. Er ist ein Seher .“
Aha! Das erklärte natürlich alles!
Bei diesen Worten wandte ich meinen Blick wieder ihm zu und sah ihn ungläubig an.
„Ein Seher kann Jäger sehen“, fügte er hinzu.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte das Gefühl, der gute Pater hatte zu viel von seinem Messwein getrunken.
„Alle fünfzig Jahre wird ein Jäger oder eine Jägerin geboren. Mit dem einundzwanzigsten Geburtstag werden sie reif . Ab diesem Tag schimmert ihre Aura mehr denn je und sie müssen ihr Erbe als Jäger auf Monster und Vampire antreten“, erklärte er mir.
Das wurde ja immer besser! Ob ich das Telefon schnell genug erreichen konnte, um die Männer mit den weißen Jacken anzurufen?
„Sie haben gerade erst Ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, Miss Ada?“, fragte Pater Michael.
„Ja, vor sechs Tagen, um genau zu sein“, antwortete ich, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er lehnte sich zurück und nahm eine entspannte Haltung ein, als wäre damit alles glasklar. Als ich jedoch nicht reagierte, seufzte er und begann erneut: „Sie, Miss Ada, sind so eine Jägerin! Und Bernard hat Ihre Aura schimmern sehen!“
Ich glotzte ihn versteinert an. Mir war nie aufgefallen, dass ich leuchtete. Und dieser alte Zausel hatte gesehen, wie ich…Pah! Nie im Leben!
„Bernard hat auch Ihren Vorgänger erkannt. Er ist allerdings bereits vor einer Weile verstorben“, sagte er, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich bei dieser Erinnerung. Rasch bekreuzigte er sich und fuhr dann fort: „Und nun hat er Sie zu mir geführt, damit Sie sich Ihrem Schicksal fügen.“
Energisch schüttelte ich den Kopf. „Nö, nö, nö! Ich füge mich nicht! Nicht für irgendein angebliches Schicksal, nicht für Bernard und schon gar nicht für Sie! Ich werde jetzt gehen. Auf Nimmerwiedersehen!“, sagte ich aufgebracht und stürmte zur Bürotür. Ich konnte gar nicht schnell genug von diesem unheimlichen Pater wegkommen.
Fast wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert, so schnell lief ich. Leider war ich nicht schnell genug, und Pater Michael holte mich noch vor der Kirchentür ein. „Sie können sich nicht davor verstecken!“, sagte er in einem verärgerten Ton. War er etwa sauer, dass ihm ausnahmsweise mal niemand sein Märchen abkaufte?
„Ich will das aber nicht! Wieso ich?“, schrie ich ihn an.
„Wissen Sie, Mister Meyers, ich bin klein und war übergewichtig und hasse, ich wiederhole, hasse es zu rennen! Ich war so was von rein gar nicht für den Job der Jägerin geeignet. Kennen Sie diese Spanx-Hosen?“, fragte ich den Reporter. Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Das sind neu-modische Schummelschlüpfer, wie sie unsere Omis gern tragen. Sie drücken das Fett weg und zaubern einen flachen Bauch. In Hollywood ist das der letzte Schrei und umso mehr, wenn das Geheimnis der Diven aus Versehen gelüftet wird“, erklärte ich ihm und musste über meinen eigenen Witz prusten. Als ich mich wieder beruhigt hatte, fuhr ich fort: „Jedenfalls, wenn ich so einen Schummelschlüpfer anzog, hatte ich zwar einen flachen Bauch, aber das Fett von dort musste ja auch irgendwohin geschoben werden. Und wo soll es sonst hin quellen, als nach oben und unten? Stellen Sie sich eine Sanduhr vor und Sie können erahnen, wie meine körperliche Verfassung war.“
„Sie sehen heute aber nicht mehr aus, als hätten Sie diese Schlüpfer nötig“, meinte Mister Meyers und beäugte mich von Kopf bis Fuß, auf eine derart widerliche, anrüchige Weise, die mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ.
„Das liegt nur an dem verhassten Rennen und dem knallharten Training, das man als Jägerin durchlaufen muss und an Pater Michaels gnadenlosem Drill.“ Ich winkte dem Pater zu, der hinter dem Vorhang am Ende der Kirche hervorgetreten war, und lächelte ihn breit an. Ich sah, wie er verständnislos die Nase rümpfte und dann wieder verschwand. Er mochte den Gedanken nicht, dass ich an die Öffentlichkeit ging. Aber er hatte Verständnis für meine Beweggründe. Als der Pater wieder von dannen gezogen war, drehte sich der Reporter wieder zu mir herum. „Wer war das?“
„Pater Michael höchstpersönlich“, antwortete ich ihm lächelnd.
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