Es war eine herzliche Begrüßung. Aus der Küche strömten leckere Düfte, während Jacques mir einen Pastis anbot. Mir sträubte sich der Bart! Zu so etwas fehlte mir der Mut! Jacques räumte die Flasche weg. „Mir ist ein Bier auch lieber!“, bemerkte er und holte zwei Dosen Guiness. Das war schon besser! Ich erfuhr, dass seine Schwester mit einem Iren verheiratet war. Deshalb also die Vorliebe für diese schwarze Brühe! Ich nahm dankend an und wir prosteten uns zu. Seine Frau Sylvie war, wie ich erfuhr, Polin. Er selber hatte das Aussehen eines Hippies, mit seinem langen Bart. Doch das täuschte. Diesen Look hatte er wohl, weil er Motorradfahrer war! Mit einem Auge schielte er, was mich anfangs unsicher machte. Man wusste nie, mit welchem Auge er einen anschaute! Die zwei schienen okay zu sein. Sie wollten, dass ich hereinkomme. Doch ich sagte ihnen, dass ich es vorzöge, draußen zu bleiben um den Blick zu genießen. Er stopfte sich eine Pfeife. „Drinnen darf ich nicht rauchen, wegen dem Kleinen!“ „Das nächste Mal bringe ich meine Pfeife mit“, sagte ich. „Denselben Tabak habe ich früher auch geraucht!“
Mir gegenüber breitete sich, wie auf einem Katasterplan, unser Anwesen aus. Ich erkannte die Wiesen, die schon vom Wald zurückeroberten Parzellen und mitten drin das Haus, zu einem Teil vom dahinterliegenden Hügelrücken verborgen. Darüber der breite, noch graue Streifen des Buchenwaldes, überragt von dem weiß glänzenden Rücken des ‚Moussaou‘, unseres Hausberges, der bis über 1900 Meter aufstieg. Und auf beiden Seiten des Berges erstreckten sich noch andere weiß gleißende Bergketten, die weit in der Ferne den klarblauen Himmel berührten. Ich schaute eine ziemliche Weile. Idyllisch war ein nichtssagendes Wort für dieses Panorama! Ich fühlte mich glücklich, in einer solchen Gegend gestrandet zu sein! Immer wieder senkte ich meinen Blick, um ihn über das Land schweifen zu lassen, unser Land! Wenn ich den Kopf weiter nach rechts drehte, sah ich den anderen Teil unseres Tales, das sich unter mir gabelte, und sich direkt nach Süden hinzog. Unten, am Grund, heckengesäumte Wiesen, einzelne Häuser, weiter hinten ein kleines Dorf. Dahinter wurde das Land steiler, war von Wald bewachsen und zog sich zu einem Einschnitt hin, in dem man einen entfernten Gipfel wahrnahm, der im Sonnenlicht weiß herüber leuchtete. „Der Maubermé, 2880 Meter hoch!“, sagte Jacques, der mit einem Auge meinem Blick gefolgt war. „Ihr habt hier ja einen Blick wie von einem Aussichtsturm!“, entfuhr es mir. „Ich glaube, dass hier im Mittelalter mal ein Aussichtsturm stand, denn von hier aus kann man alle Täler einsehen und sogleich bemerken, wenn sich jemand nähert. Bestimmt hat man sich damals mit Rauchzeichen oder Feuern verständigt!“, erwiderte Jacques.
Ihr Land, sie hatten nur zwei Hektar, war sehr steil, ein paar kleine Parzellen Wiese, der Rest, wohl wegen des kargen Bodens, meist Krüppeleichen. An mehreren Stellen erhoben sich enorme Esskastanienbäume, sicher mehrere hundert Jahre alt. Diese waren damals an den Kreuzungspunkten der Parzellengrenzen gepflanzt worden, um für alle Zeiten Grenzstreitigkeiten zu verhindern. Nicht weit hinterm Haus erstreckte sich das ‚Plateau‘, eine fast flache Wiese, die aber einem Nachbarn gehörte, welcher auch ihr restliches Land nutzte.
Dann ging es ans Essen. Ihr Junge hatte seinen Schlaf beendet und wurde in seinen Kinderstuhl am Tisch gesetzt. Inzwischen kannte ich etwas den französischen Rhythmus: Man lässt sich Zeit mit dem Anfangen, man isst langsam eine Speise nach der anderen, und immer wieder kommt was Neues. Dazu die entsprechenden Weine (die für mich alle gleich schmeckten, vor allem nach dem vergangenen Abend!). Bis wir dann mit dem Zeremoniell fertig waren, hatte sich die Sonne schon so weit bewegt, dass ihr Schein nur noch gegenüber auf unserem Land lag. Der Rest des Tales war von Schatten erfüllt.
Während des Essens erfuhr ich, dass Jacques und Sylvie bei unseren früheren Eigentümern ein Praktikum gemacht hatten, weil auch sie vorhatten, sich auf dem Lande niederzulassen. Sie hatten deshalb schon längere Zeit gewusst, dass unser Hof verkauft werden sollte, doch weigerten sich die Eigentümer, ihnen diesen zu überlassen. Also kauften sie kurzentschlossen dieses kleine Anwesen, weil ihnen das Tal gefiel! Nur wurde vorher schon ihr ganzes Land von einem Schäfer genutzt, der es nicht herausrücken wollte. Da sie ihren Kredit für den Hof zurückzahlen mussten, wohnten sie vorerst noch woanders, und Jacques arbeitete als Berufschullehrer, seine Freundin als Sekretärin bei einer Vereinigung.
Ich fragte sie, wie denn der 2 CV da unten in den Wald gekommen war. Sie lachten. „Das ist unser früherer. Das war knapp gewesen! Hör zu!“, meinte Sylvie und legte los: „Das war im letzten Herbst. Wir waren alle drei, Woody, der Kleine war gerade ein Jahr alt geworden, in Andorra gewesen, genauer gesagt, am Pas de la Case, etwas vorher, wo man alles zollfrei einkaufen kann. Wir hatten ganz groß eingekauft, damit sich die Fahrt auch lohnt, sind es doch hin und zurück fast 6 Stunden Fahrt! Olivenöl, Wein, Tabak, Alkohol und ein paar Säcke Zucker, weil wir Marmelade kochen wollten. Es war schon dunkel, als wir hier wieder angekommen sind. Jacques hatte die ‚Ente‘ wie üblich an den Straßenrand gestellt. Der Junge schlief noch in seinem Sitz und wir machten uns ans Ausräumen. Wir stapelten alles am Straßenrand. Nur den Zucker ließen wir im Kofferraum, der konnte bis zum nächsten Tag warten! Da wachte der Junge auf und Jacques hob ihn aus seinem Sitz. Er setzte ihn am Boden ab. Da war uns, als hätte sich etwas hinter uns bewegt. Es war das Auto! Wir versuchten, es festzuhalten, aber es war schon zu weit über die Böschung und raste die Wiese runter. Und dann krachte es ein paar Mal, als es in den Wald kam. Das war futsch! Zum Glück hatten wir den Jungen draußen! Jetzt wurde uns klar, welch ein Glück wir gehabt hatten! Durch den Lärm alarmiert kamen auch die Schäfer aus dem Haus. Die hatten uns bestimmt schon eine Weile beobachtet. „Da wird nicht viel übrigbleiben!“, meinte einer trocken, „vielleicht das Reserverad!“
Gut, wir brachten den Jungen hoch ins Haus wo ich ihn abfütterte und Jacques die Einkäufe in mehrmaligem Hin und Her hinaufschaffte. Und stell dir vor, am nächsten Morgen wurden wir von den ‚Poulets‘, den Bullen, aus dem Bett geholt! Anscheinend hatte der Nachbar diese angerufen. Wir mussten alle drei mit ihnen auf die Wache. Der obere Straßenrand war mit einem Band abgesperrt, ebenfalls das Autowrack im Wald! Mehrere Polizisten machten sich daran zu schaffen. Man schob uns in die ‚Estafette‘ und los gings, nach Castillon zum Verhör! Wir wussten gar nicht, was das alles sollte! Sie wollten wissen, ob wir Drogen nähmen. ‚Klar, Guiness!‘, hatte Jacques geantwortet. ‚Was ist das?‘, wollten sie wissen. Wir klärten sie auf. Sie wurden sauer. Ob wir mit Drogen handeln würden, fragten sie jetzt direkt. Wir verneinten lachend. Wir hatten diesbezüglich ein ruhiges Gewissen! Was das für ein weißes Pulver sei, das da im Wald verteilt läge, und auch im Auto? Da wurde uns ihr Gehabe klar und wir mussten noch mehr lachen. Sie hatten den Zucker für Heroin oder Kokain gehalten! Am Mittag bekamen sie dann endlich den Laborbefund: Zucker! Missmutig sagten sie uns, wir könnten gehen. ‚Gehen? 15 Kilometer mit dem Jungen?‘, regte sich nun Jacques auf, ‚ihr habt uns hierhergebracht, ihr bringt uns auch wieder zurück!‘ Was sie dann auch taten. Als nach drei Tagen die Absperrung noch an der Straße war, stiegen wir trotzdem hinunter. Bis auf das letzte Körnchen hatten die Poulets den Zucker eingesammelt. Was für eine Arbeit! Zurückbekommen haben wir ihn allerdings nie. Sie hofften wohl immer noch, dass das Labor sich geirrt hatte!“ Wir wälzten uns schier vor Lachen auf dem Boden, als wir uns das Geschehene vorstellten!
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