Wahre Mystik ist experimentelles Schauen im beruhigten Geisteszustand. Kontemplation als nicht-analytisches Vipassana ist die Methode, die in die Tiefe unseres Seins hinein führt, um uns hinüber zu tragen in das, was wir absolute Wirklichkeit nennen. Ob sie dann Nirvana, Parabrahman, Nicht-Dualität, Gott (als nicht-personifizierter Gott der Mystiker) oder Leerheit genannt wird – es bezeichnet stets die Realität, die sich eröffnet, wenn „Körper und Geist abfallen“, wie Zen-Meister Dogen es ausgedrückt hat.
Wenn Begriffe nach einer solchen Erfahrung für uns wieder eine konzeptuelle Bedeutung bekommen, verlieren wir den Zugang zum Letztendlichen wieder. Wir fallen zurück in die Fänge des denkenden Geistes, in die Maya, die Illusion, die uns an Samsara bindet. Erst in der Verwirklichung, die unumstößliche Sicherheit gibt, sind wir wirklich frei. Wir wissen und sind immun gegen jegliche Beeinflussung.
Der Gott der Mystiker ist Nirvana als So-Sein, die letztendliche Leerheit, das Todlose – in allem gegenwärtig. In unserer Verblendung erkennen wir es nicht. Deshalb sind im Advaita-Vedanta Atman und Brahman – das Wahre Selbst und die höchste Gottheit – ununterscheidbar; Befreiung vom falschen Selbst ist Nirvana. Alles, was wir für ein Selbst halten, ist es nicht – es ist Anatta bzw. Anatman, Nicht-Selbst. „Neti, neti“, „dies ist es nicht und das ist es nicht“ – die von den Rishis in den Upanishaden überlieferte Jahrtausende alte Praxis, um Nicht-Selbst und Selbst klar zu unterscheiden, um Vergängliches vom Todlosen zu trennen.
Die höchste, absolute Wirklichkeit
Zitate zur kontemplativen Einstimmung
Kein Wort, kein Gedanke kann Ihn erlangen,
kein Auge vermag Ihn zu schauen.
Wie kann Er anders erlangt werden als wenn man erkennt:
Er ist.
Katha Upanishad, ein Teil der indischen heiligen Schriften
Zum Allerreinsten, zu dem Feinen, so schwer zu seh’n:
Dringe vor zu ihm,
dem herrlichsten, dem unvergänglichen Zustand.
Aus den Psalmen der Mönche des Buddha
Nur deiner reinen Natur gehe nach
und der unbedürftigen Leerheit
und suche keine andere Stätte.
Gott wird, als diese unbedürftige Leerheit,
selber deine Stätte sein.
Meister Eckhart, christlicher Mystiker
Unser ursprüngliches Buddha-Wesen ist,
vom Standpunkt der höchsten Wahrheit,
ohne das geringste Teilchen von Gegenständlichkeit.
Es ist leer, allgegenwärtig, still und rein.
Es ist herrliche und geheimnisvoll friedvolle Freude –
nichts anderes.
Dringe tief in es ein, indem du selbst dazu erwachst.
Das, was du in jedem Augenblick vor dir hast,
ist dieses Buddha-Wesen in all seiner Vollkommenheit –
es gibt nichts außer ihm.
Chinesischer Zen-Meister Huang-po
Es ist das Ewige, das im Zeitlichen sich verkörpert
und das Endliche, das im Unendlichen sich verwirklicht.
Arul M. Arokiasamy, indischer Jesuiten-Pater und Zen-Meister
Kontemplative Lektüre zur Einstimmung
Eknath Easwaran: „Meditation – der Weg zur inneren Freiheit“
Die Welt als Illusion,
Befreiung in der absoluten Wirklichkeit
1. Teil
Das Unzerstörbare in uns, das „göttliche Licht“, das „Buddha-Wesen“, ist jenseits von Kommen und Gehen, jenseits von Geburt und Tod, jenseits von Raum und Zeit. Verborgen hinter den dunklen Schleiern unserer Leidenschaften und Vorstellungen, Anhaftungen und Abneigungen wartet es darauf, entdeckt zu werden. Wir sind auf das Schauspiel der Erscheinungen unseres denkenden Bewusstseins hereingefallen und halten sie für real. Dadurch sind wir in Samsara und dem sich wiederholenden Kreislauf von Geburt und Tod gefangen und haben unser Wahres Sein vergessen. Wie in einem Traum halten wir so auch die Projektionen von Welt, Raum und Zeit für real.
Als Lebewesen erzeugen wir ein Ich-Bewusstsein. Dadurch sehen wir uns als Individuum in einer Welt, die wir durch unsere persönliche Sichtweise wahrnehmen – wie durch eine Brille, die alles einfärbt und verzerrt. In dieser Dualität leiden wir tief in unserem Inneren an der Sehnsucht nach Erkenntnis der Wahrheit. Die ewigen, mit unserem Verstand nicht zu beantwortenden Seins-Fragen tauchen auf. Wir sind auf der Suche nach etwas, das wir nicht kennen aber in der Tiefe unseres Herzens erahnen. Wir nennen es Gott, Wahres Selbst, Wahres Wesen, Buddha-Wesen, letztendliches Sein oder Nirvana.
„Der Sinn für Transzendenz und Spiritualität ist tief in der menschlichen Psyche verwurzelt.“ ( Arul M. Arokiasamy, indischer Jesuiten-Pater und Zen-Meister)
Und so betreten wir den Weg nach Innen.
Kappa bittet den Buddha: Sprich mir von einer Insel,
wo all dieses Meer des Leidens aufgehoben ist.
Der Buddha antwortet:
Für diejenigen, die inmitten der großen Flut leben,
in großer Furcht vor Alter und Tod –
für solche gibt es eine Insel, wo es keinen Platz gibt
für das Leiden, keinen Platz für den durstenden Willen.
Es ist die Insel, die von nichts übertroffen wird –
Nirvana nenn ich sie.
Alter und Tod gibt es da nicht mehr.
Wer sie erreicht, ist der Macht von Mara entronnen.
Sutta Nipata, Teil des buddhistischen Palikanons
Das Leben ist wie ein Traum:
Bist du ein Mensch, der geträumt hat,
ein Schmetterling zu sein?
Oder bist du ein Schmetterling,
der gerade im Traum
menschliche Erfahrungen macht?
Eknath Easwaran, indischer Gelehrter und Mystiker (nach einer chinesischen Weisheit des Meisters Chuang Tzu)
Weit auseinander liegen Weisheit und Unwissenheit.
Die Erstgenannte führt einen zur Selbstverwirklichung;
die Zweite bewirkt, dass man dem eigenen wahren Selbst immer mehr entfremdet wird.
Ein Weiser zog seine Sinne von der Welt der Veränderung zurück und blickte, Unsterblichkeit suchend, ins Innere –
und schaute das todlose Selbst.
Die Unreifen laufen Sinnesgenüssen hinterher
und geraten ins weit ausgespannte Netz des Todes.
Aber die Weisen, die ja das Selbst als todlos erkennen,
suchen nicht das Unveränderliche
in der Welt der Veränderung.
Katha Upanishad, ein Teil der indischen heiligen Schriften
Sieh diese Welt als eine Seifenblase,
erkenne sie als eine Luftspiegelung.
Dann kann der Herr des Todes dich nicht finden
und du erlangst Todlosigkeit.
Dhammapada – Teil des buddhistischen Palikanons
Unabhängig von den Gedanken
existiert auch keine Welt als etwas Eigenständiges.
Im Tiefschlaf gibt es keine Gedanken und auch keine Welt.
Im Wachen und Träumen dagegen existieren Gedanken
und deshalb gibt es auch eine Welt.
Ramana Maharshi, indischer Mystiker des Advaita-Vedanta
Die Unsterblichkeit ist Gottes Substanz,
weil Gott nichts Veränderliches in sich trägt.
Dort ist keine Vergangenheit (in dem Sinne),
dass es gleichsam nicht mehr sei.
Nichts ist Zukunft, als ob es noch nicht sei.
Dort ist lediglich: IST.
Augustinus, christlicher Mystiker
Kontemplative Lektüre zur Vertiefung
Shri Shankaracharya: „Fünf Juwelen der Nicht-Dualität“ in dem Buch „Sieben Kleinode geistiger Erkenntnis“
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