Vielleicht möchten Sie mit dem Autobus nach Kaliningrad reisen? Ich habe die Grenze zur Kaliningrader Oblast einige Male mit dem Autobus passiert. Fast immer ohne Probleme. Nur beten Sie zu Gott, dass Sie keinen ukrainischen Mitreisenden im Bus haben (oder, natürlich, keinen Chinesen). Im Jahre 2016, nach der Krimkrise (der Einverleibung der Krim), waren wir ungefähr 20 Leute im Bus, und bis auf einen Passagier sind nach der Passkontrolle alle sofort in den Bus zurückgekehrt. Nur der arme Ukrainer war noch nicht dabei. Zu guter Letzt kam er wieder, und es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er nur ein kleines Problem mit seinem Pass hatte.
Die allerbequemste Einreise nach Kaliningrad führt natürlich über den Flughafen. Aber mit dem Flugzeug fliegen ist nichts Besonderes. Wie langweilig.
Ich hoffe, dass es bald den Zug „Berlin-Kaliningrad“ geben wird. Das wird genau mein Ding sein.
Sie haben ja ein Visum für Russland!
Es ist zwar völlig unklar, ob man tatsächlich eines Tages wieder mit dem Zug von Berlin nach Kaliningrad fahren kann. Trotzdem muss man auf eine Anreise mit der Eisenbahn nicht verzichten, denn die staatliche Eisenbahngesellschaft der Russischen Föderation (RZhD) verkehrt regelmäßig zwischen St. Petersburg oder Moskau und Kaliningrad. Und diese Züge halten in Litauen in Vilnius und am Grenzbahnhof Kybartai, von wo aus Kaliningrad bequem erreicht werden kann.
Mit dem Bus aus Kaunas kommend erreiche ich im Mai 2017 Kybartai und stehe vor den kümmerlichen Resten eines im wahrsten Sinne des Wortes großen Bahnhofes. Früher war hier der Bahnhof Wirballen, auf Russisch Werschbolowo, der russische Grenzbahnhof zu Preußen an der Bahnstrecke St. Petersburg – Berlin. Selbst der Zar und seine Familie mussten hier aussteigen, wenn sie per Bahn nach Berlin reisten, da hier die russische Breitspur endete und man auf mitteleuropäischer Normalspur weiterreiste.
Auf dem Bahnsteig steht gerade der Zug von St. Petersburg nach Kaliningrad, das macht mich neugierig. Kaum habe ich die Tür vom Bahnhofsgebäude zum Bahnsteig hinter mir geschlossen, da habe ich auch schon die Aufmerksamkeit der litauischen Grenzbeamten geweckt.
Der mit den meisten Streifen auf der Schulter spricht mich auf Litauisch an, wobei ich das Wort „Passport“ aus der offensichtlichen Aufforderung heraushöre. Ich gebe durch Schulterzucken und Kopfschütteln glaubwürdig zu verstehen, dass mir die Sprache des ernst und wichtig dreinblickenden Fragenden absolut unverständlich ist (die Taktik des Dummstellens hat sich schon häufiger in misslichen Situationen mit Vertretern der Staatsgewalt bewährt). Hier ist der Falsche an mich geraten. Auf Deutsch werde ich jetzt gefragt, ob ich Deutsch spräche, worauf mir nur ein wahrheitsgemäßes „Ja“ übrigbleibt.
Ein Blick in meinen scheinbar unverdächtigen Pass und meine freundlichen Worte der Erklärung meiner Anwesenheit („das war hier doch mal der berühmte Bahnhof von Wirballen, oder?“) lassen die wichtige Miene des hohen Grenzbeamten schon etwas weniger dienstlich erscheinen.
Jetzt hat der Mann endlich mal wieder die Gelegenheit, sein Deutsch zu trainieren. Die Lage wird schließlich locker und entspannt.
„Natürlich, in Deutschland war ich schon häufiger, schöne Städte, Berlin, Hamburg, Duisburg (Entschuldigung, liebe Duisburger, aber Duisburg, eine schöne Stadt?), noch mehr, alles sehr ordentlich und sauber.“ Äh, Berlin, Hamburg, Duisburg, saubere Städte? Wo war der Mann denn wirklich? „Da hinten ist schon die Grenze, hier fertigen wir die Züge ab. Sie können gerne einsteigen, Sie haben ja ein Visum für Russland.“
Nein danke, mein Bett steht heute in Vilnius, noch fast vier Stunden mit dem Bus dorthin. Ob ich denn mal ein Bild vom russischen Zug machen dürfe, was für eine dumme Frage meinerseits, hier am Grenzbahnhof. „Nein, hier ist fotografieren streng verboten“, sagt der hohe Beamte und nickt mir verschwörerisch zu. „Wenn ich mal kurz weg bin, dann sehe ich ja nichts“, mit diesen Worten verschwindet er für zwei Minuten im Bahnhofsgebäude und kommt dann lachend wieder raus. Er muss mir ja noch von seiner Reise nach Indien erzählen, kürzlich hat da ein amerikanischer Freund von ihm geheiratet.
„Einmal und nie wieder, viel zu schmutzig und chaotisch dort.“ Jetzt verstehe ich das Lob für die Sauberkeit der deutschen Städte! Immer wieder herrlich, so ein Kulturaustausch.
Das einst so prächtige russische Bahnhofsgebäude haben übrigens kurz vor Kriegsende sowjetische Soldaten aus Versehen gesprengt, eigentlich war vorgesehen, den direkt jenseits der Grenze, also in Preußen, gelegenen Bahnhof Eydtkunen zu sprengen. Was für eine skurrile Geschichte. Auf der Seite der Grenze, auf der zu Zeiten des Zaren Russland war (also im Osten), ist jetzt Litauen. Und auf der anderen Seite der Grenze, wo damals Preußen war, ist jetzt die russische Exklave Kaliningrad!
Das Bahnhofsgebäude in Kybartai
Fahrplan in Kybartai
Freunde und gute Bekannte in Kaliningrad
mit Olga und Marina in der Schule „Privet!“
Matthias, Ludmila und Arkadi nach der Premiere der „Nacht der Erinnerung an die Opfer des Holocausts“.
Es gibt viele gute Gründe dafür, nach Kaliningrad zu reisen. Ein besonders empfehlenswerter Anlass wäre es, in der dortigen Sprachschule „Privet!“ einen Russisch-Kursus zu belegen.
Ich selbst habe in den letzten Jahren in dieser Schule mehrere mehrwöchige Kurse persönlich absolviert. Einzeln oder in Kleinstgruppen wird man hier von exzellenten Lehrerinnen je nach Sprachniveau unterrichtet und hat viel Spaß dabei, das kann Ihnen gerne garantieren.
Ich bin ein Mensch, der ziemlich spät angefangen hat Russisch zu lernen, und vorher konnte ich nur „spassiwa“, also „danke“ sagen. Aufgrund meiner Kenntnisse der russischen Sprache nach dem Studium an dieser Schule kann ich mich inzwischen im Alltag frei verständigen, was aber natürlich nicht ausreicht, um an einer Hochschule in Russland zu studieren.
Auf der Suche nach dem Haus meiner Lehrerin Marina, die mich zum Abendessen zu sich nach Hause einlud, gelang es mir, mit Hilfe des an der Bushaltestelle sitzenden freundlichen Michael, seines Zeichens schwerer Trinker, wie er sogleich offen erklärt, das etwas versteckt liegende Haus meiner Lehrerin Marina zu finden. Michael hat die nicht ganz leicht auszusprechende Adresse auf Anhieb ver-standen und bringt mich die etwa 500 Meter bis an das Gartentor, wo mich Marina schon erwartet.
Bisher hielten sich meine Erlebnisse mit russischen Alkoholikern ja sehr in Grenzen. Michael jedenfalls ist ein sehr angenehmer, höflicher Mensch, der mich mit einem einladenden „Bittää schöön!“ auffordert, doch vor ihm die Pfütze zu umgehen, die fast die ganze Breite der unbefestigten Straße einnimmt. Bis wir bei Marina ankommen, erfahre ich, dass Michael sein Haus (wie fast alle Häuser dieser Straße ein altes deutsches Haus mit Giebeldach) an dem wir gerade vorbeikommen, leider verkaufen musste, seine Frau ist auch schon lange weg, zu den Kindern hat er nur noch selten Kontakt. „Na ja, der Alkohol... wie?... Du bist Arzt? Kann ich nicht was machen gegen Alkoholismus? Mein Arzt sagt immer nur, dass ich nicht so viel saufen soll. Da gehe ich jetzt nicht mehr hin. So, da sind wir schon, war mir ein Vergnügen, mit einem so gut Russisch sprechenden Deutschen spazieren zu gehen.“
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