In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herhing, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Uebrige über Bord zu schneiden, kam ein fluthender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt noch überdies mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.
Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, daß sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinctartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein mußte, mit den eigenen Kör-/69/pern zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder, und schrieen und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.
Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, daß sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Fluth selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoß und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, niederzuklettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.
Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtentheils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den untern, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten soviel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Capitain ihren Cours. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Fluth fortbewegen, und das Sicherste für sie war, nach Norden hinauf zu laufen, um mit Hülfe der Leuchtthürme einen schützenden Hafen zu erreichen, wo der erlittene Schaden wieder ordentlich reparirt werden konnte. Mit dem Wrack durfte er nicht wagen, seine Reise durch den Atlantischen Ocean fortzusetzen.
An Deck arbeiteten die Matrosen jetzt mit unermüdlichem Eifeir, ihr Schiff von Allem, was es noch behinderte, nicht allein frei zu bekommen, sondern auch die noch stehenden kurzen Masten und das Takelwerk zu untersuchen, das Schiff auszupumpen, ob die Erschütterung nicht vielleicht irgendwo eine ,,Naht" aufgerissen habe, und dann soviel als möglich Segel zu setzen, um rascheren Fortgang zu machen. Die so plötzlich hereingebrochene Bö hatte sich indessen wieder vollständig /70/ gelegt; die See brauste und wogte allerdings noch heftig und unruhig, und weiße Schaumadern zischten durch die aufgeregten Wasser, aber die Luft war ruhig geworden, und nur im Nordwesten dichteten sich die Wolken mehr und mehr, und sandten von dort aus breite Schattenstreifen ab, hinter denen die funkelnden Sterne bald vollständig verschwanden. Nur die jetzt aufgehende Mondessichel warf dann und wann einmal einen flüchtig matten Schein durch die zerrissenen Schleier nieder und beleuchtete das rege, thätige, ängstlich schaffende Leben an Bord des Wracks.
Im Zwischendeck sah es indessen traurig aus. Abgeschlossen von Luft und Licht, mit den nassen Kleidern nach unten geschickt, die jetzt einen feuchten, unangenehmen Dunst ausströmten, in vollständiger Dunkelheit dabei, hatten die armen Auswanderer, unter dem Wimmern und Schreien der Frauen und Kinder, und dem Stöhnen Einzelner, die von der Seekrankheit wieder erfaßt worden, eine traurige Stunde zu verbringen. Durch das ruhige Wetter sorglos gemacht, war eine Masse von Geschirr, halbgefüllte Flaschen, Gefäße mit Wasser oder Thee und anderen Sachen, im Laufe des Abends oberflächlich auf die Kisten gestellt, oder nur leicht verwahrt worden, dem geringen Schaukeln des Schiffes zu begegnen. Wie aber dem Steward in der Kajüte, bei dem plötzlichen Ueberwerfen des Fahrzeugs, ein ganzer Korb Geschirr nach Lee hinübergeworfen und meist zertrümmert worden, so stürzte hier unten mit dem ersten Stoß das ebenfalls über den Haufen, was nicht fest verwahrt und angebunden war, und kleine Kisten und Körbe, zerbrochene Krüge und Glasscherben, mit den ausgegossenen Flüssigkeiten, und dem Erbrechen der wiederum Erkrankten, vermehrten nur noch in dem engen, dumpfigen, dunkeln Raum die entsetzliche Lage der Uebrigen.
Glücklicher Weise dauerte dieser Zustand nicht so lange. Der Capitain, der sich wohl denken konnte, wie den unglücklichen Passagieren drunten zu Muthe sein mußte, ließ, als der Regen aufgehört hatte niederzuströmen, die Luken öffnen, um wenigstens frische Luft einzulassen, und die Zwischendecks-Laternen hinunterschaffen, damit die Passagiere bei dem mat-/71/ten Schein derselben den engen Raum wieder ein wenig in Ordnung bringen und sich dann zu Bett legen konnten. An Deck wurden jedoch nur Einzelne nach einander hinaufgelassen, um die Arbeiten der dort noch immer beschäftigten Matrosen nicht zu hindern - unter Deck konnten sie machen was sie wollten - wenigstens was ihnen die Schiffsgesetze erlaubten oder nicht verboten.
Wie sich die Leute aber nur einmal von dem ersten Schreck erholt und sich vergewissert hatten, daß ihnen weiter keine unmittelbare Gefahr drohe, kehrte auch bei den Meisten der frische, fröhliche Lebensmuth zurück, und nachdem sie sich, so weit das die Umstände erlaubten, getrocknet, oder ihre Kleider gewechselt und das Zwischendeck selber von den umherliegenden Scherben und Sachen gesäubert hatten, sammelten sie sich unter den beiden Laternen, die neben der vordern und hintern Luke hingen, um die Erlebnisse des Abends zu besprechen, wie ihre verschiedenen Meinungen über die erlittene Havarie auszutauschen.
„Schöne Geschichte das," sagte ein breitschultriger Schneider, der wegen revolutionärer Umtriebe in Deutschland hatte landesflüchtig werden müssen und auch schon steckbrieflich verfolgt, aber noch glücklich an Bord der Captaube entkommen war - „vortreffliche Geschichte das - aber das kommt nur von der Ueberklugheit der Herren Matrosen, die Alles besser wissen wollen wie andere vernünftige Leute. Ich hab' es dem Holzkopf von Steuermann schon heute Morgen gesagt, daß die Segel zu hoch wären und das Schiff nächstens einmal umkippen müßte - ob er mir nur darauf geantwortet hätte, und jetzt haben wir die Bescheerung. - Mir ist eine Flasche Syrup ausgelaufen, und gerade über mein Kopfkissen weg und in meinen einen Stiefel hinein, und dem Bäcker da drüben haben sie eine Flasche Dinte in die Wäsche gegossen."
„‘s ist wirklich schade, daß Du nicht Capitain geworden bist," sagte ein Lohgerber, der mit dem Schneider in einer Koje schlief, „und hier könntest Du's gleich großartig betreiben, denn heut Abend sind uns in der einen Viertelstunde mehr Lappen über Bord gegangen, wie Du in /72/ Deiner ganzen Lebenszeit wahrscheinlich unter den Tisch gesteckt hast."
„Ja, Ihr braucht auch noch darüber zu spotten," sagte aber ein Instrumentenmacher, der seine kleine Familie und eine Anzahl fertiger Fortepianos an Bord hatte, um sie nach Amerika überzuführen; „oben sieht's schön aus, und daß wir diesmal so mit dem Leben davongekommen sind, können wir eben nur dem Capitain Dank wissen. Wie wir aber mit den Maststumpfen nach Amerika hinüber kommen wollen, weiß ich nicht."
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