Ab und zu wurde Melanie von ihren Kollegen und Freunden wegen ihrer Katzenliebe belächelt. Sie sprach von ihrem Kleinen , wenn sie von Milo erzählte und hatte ihre Wohnung mit verschiedenen Katzenaccessoires und -bilder dekoriert. Sie konnte sich gut vorstellen, als alte Katzen-Jungfer zu sterben – so ein bisschen wie die Verrückte bei den Simpsons. Diese Vorstellung machte Melanie keine Angst. Den Männern hatte sie schliesslich abgeschworen. Ihr Herz gehörte für immer Silvan – und natürlich Milo.
Seufzend erhob sie sich, wischte sich die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durch die schwarze Lockenpracht. Da sie in einer Stunde mit ihren Freundinnen Chantal und Isabelle verabredet war, musste Meli sich sputen. Seit Chantal, die von allen nur Tally genannt wurde, vor knapp einem Jahr im gleichen Verlag wie Melanie angeheuert hatte, verbrachten die zwei regelmässig auch privat Zeit zusammen. Irgendwann war auch Isa, Tallys Nachbarin, in den Frauenkreis aufgenommen worden. Sie waren alle etwa gleich alt, mochten gemütliche Stunden bei Wellness, Essen und Musik und konnten ohne Punkt und Komma quatschen. In letzter Zeit wurden die Treffen aber immer rarer, weil Chantal vor ein paar Monaten in Algin ihren Traummann gefunden hatte. Meli lächelte, als sie an Tallys Suche nach Mister Right dachte.
Melanies Arbeitskollegin war zwei Jahre unfreiwillig Single gewesen, bevor sie im Tante-Emma-Laden um die Ecke zufällig Algin in die Arme gelaufen war. Obwohl der Funke sofort über gesprungen war, hatten sich die beiden gleich wieder aus den Augen verloren. Erst ein legendärer Mädelsabend mit Meli und Isa hatte im letzten Oktober Tally das Glück gebracht. Leicht angetrunken hatten die drei Freundinnen Algin, mehr oder weniger zufällig, beim Nackt-Spazieren in seiner Wohnung beobachtet. Mit Plakaten in den Fenstern hatten die heutigen Turteltauben schliesslich zusammengefunden. Meli freute sich von ganzem Herzen für ihre Freundin. Eine Prise Neid schwang aber mit, wenn sie sich an die Begebenheiten erinnerte. Zum einen hätte sie sich dieses Glück auch für Silvan und sich gewünscht, zum anderen fehlte ihr Tally. Die täglichen Plaudereien im Büro ersetzten die früheren ausgiebigen Abende nicht. Deshalb war die Vorfreude auf das Ausgehen mit den Mädels umso grösser.
Nur ein paar Minuten nach der vereinbarten Zeit traf Melanie am Treffpunkt ein. Ihre beiden Freundinnen warteten schon und sahen blendend aus: Isabelle hatte sich in Jeans und einen Figur betonenden Pulli geschmissen, war leicht geschminkt und hatte ihre roten Locken hochgesteckt. Wie so oft hatten sich die ersten Strähnen bereits wieder aus der Spange befreit. Meli konnte sich nicht erinnern, Isas Haarpracht einmal gebändigt gesehen zu haben. Chantal hingegen hatte einen knielangen schwarzen Rock und eine Jeansjacke an, die sie mit hochhackigen Stiefeln kombiniert hatte. Sie trug ihre schulterlangen Haare offen und hatte, abgesehen von ein bisschen Mascara und Kajal, auf Schminke verzichtet. Die beiden Freundinnen strahlten eine Natürlichkeit und eine Entspanntheit aus, die Meli auch gerne gehabt hätte. Natürlich wusste sie, dass ihre langen schwarzen Locken, ihre grossen dunklen Augen und ihre gertenschlanke Linie dem gängigen Schönheitsideal entsprachen. Chantal hatte ihr einmal offenbart, dass ihrer Meinung nach Meli mit ihrer makellosen Haut, den langen Wimpern und den perfekt geschwungenen Lippen auch ohne Make-up so schön war, wie kaum eine andere Frau; weder in ihrem Bekanntenkreis noch bei der berühmten Fernsehsendung mit Heidi. Meli bekam rosa Wangen, wenn sie an dieses Gespräch zurückdachte. Sie selbst glaubte an die innere Schönheit; und sie fühlte sich im Innern nicht schön. Wie auch, hatte sie doch ein Menschenleben auf dem Gewissen.
Meli versuchte die wiederaufkeimenden Erinnerungen zu unterdrücken, setze ihr strahlendstes Lächeln auf und begrüsste ihre Freundinnen herzlich. Es tat ihr gut, Zeit mit den beiden zu verbringen, auch wenn sie immer darauf achten musste, ihre Maske nicht zu verlieren. Sie konnte sich nicht vorstellen, Isa und Tally von ihrem Geheimnis zu erzählen, obwohl sie den beiden zu hundert Prozent vertraute. Melanie hatte viel zu grosse Angst vor deren Reaktion. Ausserdem wollte sie den beiden die Last nicht auferlegen, eine solche Geschichte mit sich herumtragen zu müssen.
«Ladies, guten Abend! Bereit, auf den Putz zu hauen», fragte Meli und umarmte ihre Freundinnen.
«Mehr als bereit!», lachte Tally.
«Und ich erst! Ich suche heute Abend einen Mann, meine Damen. Es ist bei mir schon viel zu lange her; ich habe schon Entzugserscheinungen. Echt! Und ich hab da eine Idee, wohin wir drei Schönen gehen könnten. Leckeres, ungesundes Essen und viel Musik … wer ist dabei?», antwortete Isa.
Die Hände von Chantal und Melanie schnellten in die Höhe! Meli fühlte sich auf Anhieb wieder besser. In einer solch guten Gesellschaft konnte sie schlicht nicht Trübsal blasen. Sie würde Silvan nicht vergessen – aber im Moment hatte er Sendepause.
Auf dem Weg ins Lokal schwelgten die drei Freundinnen in Erinnerungen. Isabelle war erst vor ein paar Monaten in die Stadt gezogen und hatte ein komplett neues Leben begonnen.
«Weisst du noch, wie wir uns das erste Mal gesehen haben, Tally?», fragte Isa. «Ich habe frühmorgens bei dir an der Türe geklingelt, weil ich meinen Föhn in den Umzugskarton nicht finden konnte und mich für mein Vorstellungsgespräch bereit machen musste.»
«Oh ja, ich erinnere mich genau. Du hast mir einen riesen Schrecken eingejagt. Mittlerweile weisst du ja, welch Angsthase ich bin! Ich habe schon gedacht, Räuber, Mörder oder Entführer vor der Türe anzutreffen», gestand Chantal lachend.
«Ja, Schiss hast du häufig. Auch bei einem unserer ersten Treffen im Büro. Ich kann mich noch genau an deinen Blick erinnern, als unser Chef dich nach ein paar Tagen zu unserer Sitzung eingeladen hat», ergänzte Meli.
Die drei Freundinnen waren so in ihr Gespräch über die guten alten Zeiten vertieft, dass sie den Weg in die Innenstadt im Eiltempo zurücklegten. Als sie in das alte Gebäude mit der schweren roten Türe eintreten wollten, entwich Tally ein leiser Schrei.
«Ich kann da nicht rein. Bitte entschuldigt. Ganz schlechte Erinnerungen!»
Isa und Meli akzeptierten Tally Entscheid ohne nachzufragen. Erst als die drei eine neue Bar gefunden hatten, kam die Rothaarige auf die Sache zurück.
«Lange Geschichte», seufzte Tally und nahm einen grossen Schluck aus ihrem Bierglas. «Bevor Algin und ich uns gefunden haben, war ich ziemlich lange auf der Suche nach meinem Traummann. Dank meiner Grossmutter bin ich irgendwann auf einer Online-Partnerbörse gelandet, wo ich einen netten Typen kennengelernt habe. Leider haben sich bei mir die Schmetterlinge nicht eingestellt, obwohl ich das gerne wollte. In jener Bar ist die Situation eskaliert und ich bin weinend nach Hause gelaufen. Den Typen habe ich danach nie wieder gesehen.»
«Wer braucht schon Männer?», murmelte Meli und verdrehte die Augen.
«Wir alle, meine Liebe; wenn auch nur ab und zu für eine Nacht», antwortete Isa und legte ihr einen Arm um die Schultern. «Auch du solltest dir mal überlegen, ob du für immer alleine sein möchtest. Ich kann mich nicht erinnern, dich mal mit einem Mann gesehen zu haben. Oder eine Männer-Geschichte von dir gehört zu haben. Du solltest mal ein bisschen Dampf ablassen. Das hab ich heute auch vor. Keine Gefühle, nur ein bisschen Spass!».
«Ich bin nicht alleine, Isa. Ich habe Milo. Den besten Mann der Welt. Der Klo-Deckel ist nie hochgeklappt, er schnarcht nicht und hält mir keine unnötigen Vorträge. Und Dampf ablassen kann ich auch selbst. Dafür brauche ich doch keinen Mann!»
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