Wir haben heute prächtiges, warmes Wetter; schade, dass heute hier unser letzter Tag ist. Morgen früh 6 Uhr dampfen wir ab nach Tsingtau. Hoffentlich haben wir gutes Wetter. Vor dem kalten Winter in Tsingtau habe ich schon einen heiligen Respekt, nur gut, dass wir nur einige Tage dort bleiben…
Durch einen Besuch musste ich im Schreiben unterbrechen, und jetzt bin ich vom ILTIS gekommen, wo ich zum Mittagessen eingeladen war…
Aus der Art, wie der Japaner dort auftritt, wie er die Damen mit Geschenken überladet, geht die ganze heimtürkische, hinterlistige Handlungsweise des ganzen Raubgesindels hervor. Auf diese Weise glaubt der Kerl zu seinem Ziel zu kommen. Hier und dort findet er ein militärisches Schriftstück, das der hinterlistige Geselle mitgehen heißt. Lehre mich einer diese Japsen kennen…
N8/4 Briefnummer 95 (4) – transkribiert von Erika Schönfeld
Tsingtau, 27. Februar 1908
…Wie ich Dir im vorigen Brief angekündigt habe, will ich die morgige Postverbindung über Chafoo benutzen, um Dir zunächst meine Ankunft in Tsingtau anzukündigen. Vorgestern Abend kamen wir hier an, nachdem wir auf dem ersten Teil unsrer Fahrt von Shanghai hierher wieder einmal ziemlich schlechtes Wetter gehabt hatten. Aber in der Nacht wurde es etwas ruhiger, wenngleich die Gefahr, aus dem Bett zu fliegen, noch immer vorlag. Wie immer in solchen Fällen schimpfte ich weidlich auf die Seefahrt, und als ich es denn im Bett gar nicht mehr aushalten konnte, ging ich auf die Kommandobrücke, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf dein Bild zu werfen, mich damit tröstend: „Ja, ja Schatzelchen, so geht’s einem armen Seemann. Na noch 9 Monate!“ Dann leistete ich dem wachhabenden Offizier Gesellschaft, der in mein Schimpfen mit einstimmte. Bei Morgengrauen verfügte ich mich wieder ins Bett und konnte nun schlafen. Ich habe ja immer gesagt, das Schiff, auf welchem man fährt, kann nicht groß genug sein. Na, da sind wir wieder in dem öden Tsingtau angelangt. Abends ½ 7 Uhr war ich in meiner Landwohnung, da kam auch schon Herr Staffeldt und nahm mich zu sich mit; da war nämlich große Gesellschaft, die, nebenbei bemerkt, wieder bis ½ 4 Uhr morgens dauerte, dazu Fichtners, Richters, Vorläufers und andere. Es war sehr gemütlich. Jetzt komme ich eben von der Geburtstagsfeier der kleinen Staffeldt’schen Zwillinge. Sie sind 6 Jahre alt geworden, und Onkel Schulze musste doch dabei sein. So ein Dutzend solcher kleiner Kerle, Jungens und Mädchen, stellten die Nerven auf eine harte Probe, bis schließlich um ½ 7 Uhr Ruhe war. Nun habe ich bei Staffeldts zu Abend gegessen und mich dann verabschiedet, da ich noch an Dich schreiben müsste. Frau Staffeldt lässt Dich bestens grüßen. So sitze ich in meiner gemütlichen Wohnung beim Scheine der elektrischen Lampe. Draußen regnets und S.90 lässt soeben seine Sirene ertönen, es wird nämlich Nacht-Torpedoschießen abgehalten, daher bin ich für heute und morgen ausgestiegen. Unsres Bleibens hier ist jedoch nicht lange; denn wir erwarten nur den Ablösedampfer „SILVIA“ hier und gehen dann wieder nach Shanghai, also in etwa 8 Tagen. Wenn man aus dieser Stadt mit ihrem internationalen Getriebe nach Tsingtau kommt, dann begreift man einfach nicht, wie man es überhaupt hier aushalten kann, besonders im Winter. Aber es macht die Gewohnheit viel beim Menschen. Augenblicklich steht Tsingtau im Zeichen der Vergnügungen und Gesellschaften. Heute Abend ist großes karnevalistisches Konzert, jedoch schenke ich es mir…
Die Ansicht des alten Offiziers über den Fall Schönebeck halte auch ich für durchaus richtig. Hoffentlich ringen wir uns endlich auch in unserm allgemeinen Leben dazu durch. Auch ich bin ein Feind der Duelle, besonders wenn es sich um Sachen handelt, die besser mit der Reitpeitsche bezahlt werden. Aber mach´ nur jemand etwas dagegen in unsrem deutschen Vaterland, wo alles immer noch mehr auf die Spitze getrieben wird, als es zur Zeit des 30jährigen Krieges war. Ich bin überzeugt, wenn der Name des alten Offiziers bekannt würde, der diese, seine vernünftige Ansicht veröffentlicht hat, seines Bleibens in der großen Armee wäre nicht mehr lange…
N8/4 Briefnummer 96 – transkribiert von Erika Schönfeld
Tsingtau, 2. März 1908
…Heute früh ist der Dampfer SILVIA mit abgelösten Leuten für das Gouvernement eingetroffen. Als Transportzahlmeister ist der Oberzahlmeister Trenter mitgekommen, ein guter Freund von mir, der jung verheiratet ist. Er erzählt mir heute, wie wohl er sich in seiner jungen Ehe fühlt, wie nett es ist, eine liebe Frau zu haben, die ihm das Heim so traulich macht. Er hat mir ordentlich das Herz schwer gemacht, dass ich nun noch 9 Monate von Dir, Liebstes, getrennt sein muss. Jedenfalls wird auch dieses Ehepaar eines von denen sein, wo wir viel verkehren werden. Seine Frau habe ich in Kiel kennen gelernt, sie ist sehr sympathisch. Ich habe mit Herrn Trenter, obwohl er 7 Jahre älter ist, als ich, immer gut harmoniert und hoffe auch, dass Du mit Frau Trenter übereinstimmen wirst. Herr Trenter fährt mit der SILVIA wieder nach Hause und ist Ende April wieder bei seiner Frau. Auch er sagt, dass er nie wieder von seiner Frau fortgehen würde, ebenso schreibt ihm seine Frau, dass sie es auch nicht wieder zugeben würde.
Du erkundigst Dich so angelegentlich nach Frau Stolle. Es ist schwer, einen Charakter brieflich zu schildern. Sie ist eine nette Frau, und hat, wie alle Damen, ihre Eigenheiten, auf die man leicht Rücksicht nehmen kann. Jedenfalls bin ich immer gern bei ihnen im Hause gewesen. Ob sie stolz und titelsüchtig ist, fragst Du. Na, Du kleines Dummchen, unter gleichgestellten Frauen fällt der Titel doch überhaupt fort, und dann gibt es solche Borniertheit bei uns nicht, dass die Frauen sich mit dem Dienstgrad des Mannes anreden. Du musst Frau Stolle später selbst kennen lernen, ebenso wie Du auch Frau Lorenz sehen wirst. Herr Lorenz ist Oberzahlmeister a. D. und jetzt Bankier in Wilhelmshaven, ein sehr wohlhabender Mann, in dessen Hause ich gern verkehrte und der sich mit seiner Frau schon darauf freut, mein kleines, süßes Frauchen bald kennen zu lernen…
Torpedoboot „S.90“
BBWA – N8_40_22_8
Übermorgen früh gehen wir wieder nach Shanghai. Gestern und heute waren S. M. S. ARCONA und S.90 hinausgefahren, um einem gestrandeten englischen Dampfer zu Hilfe zu kommen. Leider ist der Dampfer gänzlich verlassen, während die Besatzung noch gerettet werden konnte. Es ist dieselbe Stelle, an welcher auch das alte Kanonenboot ILTIS 1896 mit Mann und Maus unterging. – Seemannslos! …
N8/4 Briefnummer 97 – transkribiert von Erika Schönfeld
Shanghai, 5. März 1908
… Heute Nachmittag sind wir wieder einmal in Shanghai angekommen, nachdem wir gestern früh 4 Uhr Tsingtau verlassen hatten. Gern wäre ich noch einige Tage dort geblieben, um mit Herrn Trenter noch einige Tage zusammen zu sein. Aber da wir unsern Reiseplan einhalten wollten, dampften wir eben ab. Leidliches Wetter, wenn auch noch lange nicht ruhig zu nennen, – na, da sind wir denn wieder. Hier erwartete uns Post aus der Heimat und für mich speziell Dein lieber Brief No. 80. Nimm meinen innigsten Dank, mein Liebstes, ich habe mich sehr darüber gefreut. Das Gruppenbild aus dem Klub führt Dich in den Kreis der ersten Vertreter Tsingtaus…
Der Absender der Karte mit den österreichischen Offizieren ist der Kommissär (wie die Zahlmeister bei den Österreichern heißen); wenn ich nicht irre, steht er als einziger hoch. Jedenfalls erkennst Du ihn am Kneifer. Bei der Einfahrt heute haben wir uns per distance begrüßt, wir passierten den KAISER-FRANZ-JOSEPH I“ und ankern nicht weit von ihm. Morgen geht er fort von hier nach dem Petschili-Golf; in Japan treffen wir uns vielleicht wieder. Unsre Karte hast Du doch bekommen. Was meinst Du, wenn wir ihn und seine junge Frau in Wien besuchten gelegentlich unsrer Hochzeitsreise? So halb habe ich es schon versprochen, und nach dem Bilde muss seine Frau ganz nett sein…
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