1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Nun hieß es für mich, den nächsten fälligen Dampfer nach Japan ausfindig zu machen; denn da ich naturgemäß bei einer solchen Dienstreise nicht unnötig an einem Platze bleiben darf, musste ich den nächsten Dampfer wählen. So befinde ich mich denn auf dem französischen Postdampfer „AUSTRALIEN“
von der Reederei „Messageries Mairtimes“, der gestern von Marseille in Shanghai ankam und heute Vormittag 11 Uhr weiterfuhr. Ich bin, soweit ich es übersehen kann, der einzige deutsche Passagier in der I. Klasse unter lauter Franzosen und einigen Engländern. Der Zufall wollte es, dass der „PRINZREGENT LUITPOLD“ ebenfalls auf Reede lag. Er war gerade von Japan gekommen. Die AUSTRALIEN ist sehr nett eingerichtet und bedeutend größer, als der PRINZREGENT. Meine Kabine, in der ich allein wohne, ist ebenfalls sehr groß. Große freie Promenadendecks mit Mahagoni-Holzaufbauten und kleineren Salons gewähren einen recht anheimelnden Anblick. Zunächst ist der große Speisesalon, wo ich augenblicklich sitze, sehr geschmackvoll eingerichtet. Zwischen den großen Fenstern sind schöne Majolikagemälde angebracht. An den Längsseiten ziehen sich mit Seide gepolsterte Sofas hin. Große und kleine Tische umstehen ebenso gepolsterte Drehsessel und eine geradezu verschwenderische elektrische Beleuchtung schmückt die Decken. Außer dem großen Speisesaal ist ein besonderer Musiksalon hier, ferner ein Lesezimmer, ein Damensalon und ein Rauchzimmer, für die I. Klasse. Das Billet Shanghai – Kobe kostet 77 Dollar (rund 150 Mark). Ob die so berühmte französische Küche ihrem Ruf Ehre machen wird, kann ich bis jetzt noch nicht sagen, da ich erst eine Mahlzeit eingenommen habe.
Jedenfalls gibt es I a Butter und I a fromage de brit. Heute Abend mehr. Ich will das prächtige Sonnenwetter doch nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Also auf Wiedersehen, mein liebes Frauchen. – Na, das erste Diner habe ich hinter mir. Die französische Küche ist leicht, aber durchaus schmackhaft. In dem übrigens recht hohen Fahrpreis ist das Tischgetränk enthalten. Auf dem Tisch stehen Flaschen mit französischem Rot- und Weißwein, letzterer ist ganz gut und mild. Eine Marke (Etikett) tragen die Flaschen nicht, jedoch halte ich den Weißwein für Chablis. Ferner gibt es nach jeder Mahlzeit zum Kaffee einen wahrhaft vorzüglichen Cognac. Ich muss wohl sagen, dass es mir hier an Bord gut gefällt. Sonst hörte ich allgemein nur abfällige Urteile über die französischen Postdampfer und bin angenehm enttäuscht. Leider spricht von sämtlichen Stewards nur einer etwas englisch, und der ist nie zu haben. Deutsch spricht niemand, so dass ich wohl oder übel gezwungen bin, in meinen französischen Schulkenntnissen herumzukramen, und es ging bisher ganz gut. Die Leute sind alle von einer ausgesuchten Höflichkeit, wie es ja dem Franzosen überhaupt eigen ist, höflich zu sein. Eben habe ich die Sitzplätze im Speisesalon gezählt, es sind 130 Plätze, während der PRINZREGENT nur 80 hatte. – Es ist jetzt ½ 9 Uhr abends, klarer Vollmond, etwas bewegte See. Der Dampfer macht ganz geringe Bewegungen. Meinen Verdauungsspaziergang habe ich beendigt – eine Stunde an Deck herumgelaufen. – So weit von meiner Reise. Mehr habe ich bisher nicht erlebt. Morgen Nacht werden wir wohl in Nagasaki ankommen. –
Es ist nett von Anna, dass sie Dir Zeitungsausschnitte über den Aufenthalt „S90“ schickt. Enthält dann das Liegnitzer Tageblatt keine Marinenachrichten?
Ich gebe gern zu, dass ich im Dienst den Mannschaften gegenüber ziemlich kurz angebunden bin, aber könnte diesen Ton bewusst außer Dienst nicht anschlagen…
18.04.1908
Erst ´mal kurz die Reisebeschreibung. Klares, kühles Wetter, etwas bewegte See. Das Schiff liegt ganz ruhig und folgt seinem Kurse. Heute Nachmittag bekamen wir die japanische Küste in Sicht. Wir laufen jedoch nicht Nagasaki an, sondern fahren durch bis Kobe. Heute Nacht 12 Uhr werden wir Shimonoseki passieren, um in die Inlandsee zu gehen. Augenblicklich befinden wir uns in der Gegend, wo die Schlacht bei Tsuschima den russisch-japanischen Krieg entschied, vor etwa drei Jahren. Meine Gesamtbeschäftigung für heute ist nicht viel über essen und schlafen hinaus gekommen. Von 7 – 9 Frühstück, 11 – 1 Tiffin, 4 Uhr Tee, ½ 7 Uhr Diner, 9 Uhr abends nochmals Tee. Um besseren Appetit zu haben, laufe ich sehr viel auf den großen Promenadendecks herum, die so breit sind, dass man ganz bequem ein Radrennen abhalten könnte. Die französische Küche ist äußerst schmackhaft und bekömmlich. Nur vermisse ich, dass es täglich reine Tischwäsche gibt, wie auf deutschen Dampfern. Danach scheint es doch nicht so peinlich sauber zu sein, wie bei unsern Dampfern. Recht angenehm berührt es, dass man wieder von anständig aussehenden Europäern bedient wird und den üblen Chinesenboy nicht sieht mit seinen langen, mit tiefer Hoftrauer behafteten Fingernägeln. Das gesamte Schiffspersonal vom Kapitän abwärts macht einen recht guten Eindruck. Den Commissaire (Zahlmeister) des Dampfers, einen alten graubärtigen, würdigen Herrn, lernte ich heute kennen. Ich habe mir nämlich die Sache überlegt und fahre mit dem Dampfer bis Yokohama durch. Bei dieser Gelegenheit zahlte ich beim Commissaire die Fahrpreisdifferenz (11 Dollar) nach. Ich wollte doch ursprünglich in Kobe aussteigen und nach Yokohama mit der Eisenbahn fahren. Der Nachtzug fährt aber abends 6 Uhr ab, und den hätte ich nicht mehr erreicht. Eine kurze oberflächliche Berechnung der Kosten ließ mich zu dem Entschluss kommen, bis Yokohama durchzufahren. Ich spare hierbei rund 30 Dollar also etwa 60 Mark.
Soweit mein Reisebericht, nun Dein lieber Brief No. 83, datiert vom 28.02. Deine Bestrebungen, im Kochen immer weitere Fortschritte zu machen, zeugen von Deinem großen Eifer, eine recht tüchtige Hausfrau zu werden, wovon ich bereits vorher überzeugt war. Ich bin dann gern Dein „Versuchskaninchen“…
– Die trockene Luft der Dampfheizung kann man leicht durch verdunstendes Wasser beheben. – Von Franz bekam ich eine Karte aus Wien. Er hat eine Werftdirektorstelle in Budapest in Aussicht…
– Die beiden neuen Offiziere heißen Weineck und Hoefer. Herrn Vorlaeufer geht´s gut, Dr. Mann ist Stabsarzt geworden.
Etwas hat das kurze Krankenlager doch bezweckt. Als ich in den Club nach Shanghai kam, traf ich viele gute Bekannte, die mich auf den ersten Blick nicht wiederkannten. Was sind Sie schlank geworden! So müssen Sie aber jetzt bleiben, wie wird sich Ihre Braut freuen. Nun bin ich neugierig, was Carl Stolle und Albrecht Schlösser sagen werden. Trotzdem sehe ich dabei sehr wohl im Gesicht aus und hoffe, dass es so bleibt. Also, hörst Du, Liebstes, keine Sorge um mich. Überhaupt mache ich mir schon Vorwürfe, dass ich Dir über meine Krankheit etwas geschrieben habe. Ich hätte es auch nicht getan, wenn nicht „S90“ nach Japan gegangen wäre, und Du mithin an meinen Briefen merken musstest, dass etwas nicht in Ordnung ist…
Kobe, 19. April1908, Ostersonntag
Im vorigen Jahre lagen wir auf der Werft Tsingtau, viel Staub und noch mehr Arbeit; in diesem Jahre weile ich als Privatmann und Vergnügungsreisender auf einem schönen Postdampfer in Japan. Kurz will ich Dir meine Reise seit gestern erzählen. Zunächst bin ich, als ich meinen Brief gestern beschloss, nicht, wie ich die Absicht hatte, ins Bett gegangen. Als ich aus dem Salon an Deck kam, war der Mond aufgegangen, die Luft war so klar und milde, dass ich mich auf dem besten Promenadendeck – freilich mit Mantel – hinsetzte und angesichts der bergigen japanischen Küste mein Schicksal überdachte. Meine Gedanken schweiften in die weite, weite Ferne, ich ließ mein ganzes Leben an meinem geistigen Auge vorüberziehen, Freud und Leid, und endlich blieb all´ mein Denken auf dem Wesen konzentriert, das seit den letztverflossenen 19 Monaten den ganzen Inhalt meines Daseins bildet… der Mond schien hell und klar, während die Maschinen des Riesendampfers unermüdlich stampften und fauchten. So wurde es denn glücklich ½ 2 Uhr. Da liefen wir in die japanische Inlandsee ein, nachdem ein Lotse an Bord gekommen war. Vorbei an hell erleuchteten Städten gelangten wir durch die Straße von Shimonoseki, die etwa 500 m breit ist. Dann ging ich schlafen… Bis ½ 3 Uhr las ich noch im Bett und schlief dann ein. Bereits um 7 Uhr stand ich heute früh auf; denn den ganzen Tag über gab es ´was zu sehen. Teilweise hat die Inlandsee Ähnlichkeit mit dem Rhein, ja an einer Stelle treten die Berge bis auf eine Fuge von 200 m zusammen, das Meer zu gewaltigen Strudeln einzwängend. Tausende von japanischen Fischerbooten sind unterwegs und beleben das Wasser, während sich die Berge an beiden Seiten schon mit grünem Schleier bedeckt dahin ziehen. Ein schönes landschaftliches Bild! So kamen wir heute Nachmittag um 5 Uhr hier in Kobe an. Meine Abneigung den Japanern gegenüber hatte ich bei allen schönen Landschaftsbildern vergessen, aber
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