1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 „Ich dachte, wir machen uns mal wieder einen richtig gemütlichen Abend zu zweit. Nur wir beide. Das haben wir schon so lange nicht mehr gemacht!“ Überrascht sah er sie an. Noch immer zeigte sich keinerlei Ansatz eines Lächelns auf seinem Gesicht. „Und Lisa? Hast du sie zu einer ihrer Freundinnen abgeschoben?“ Annabel schluckte erneut. Dieses Mal waren es Tränen, gegen die sie vehement ankämpfte. War es schon so weit mit ihnen gekommen? Stand es schon so schlecht um ihre Beziehung, dass er sich noch nicht einmal über eine romantische Abwechslung mit ihr mehr freuen konnte? „Willst du dich nicht erst einmal setzen? Ich hab uns was Feines gekocht.“ Ihre Stimme zitterte vor lauter Angst und Nervosität. „Verdammt noch mal Annabel! Was soll das alles?“ fuhr er mit einem Mal aus der Haut. „Seit Wochen wechseln wir kaum mehr ein Wort, sind nur noch am Streiten, und mit einem Mal tischst du mir ein romantisches Candlelight-Dinner auf, als wäre alles in Butter! Tut mir leid, aber das kriege ich irgendwie nicht in meinen Kopf!“ Verzweifelt sah Annabel ihren Mann an und wischte sich die Tränen von der Wange, die sie trotz aller Anstrengung nicht hatte zurückhalten können. „Genau deshalb.“ flüsterte sie, doch er war schon wieder im Flur verschwunden, um seine Jacke aufzuhängen und die Hausschuhe anzuziehen.
Sie hörte, wie er tief durchatmete, bevor er zurück zu ihr ins Wohnzimmer kam. Sie stand noch immer an derselben Stelle, unfähig den nächsten Schritt zu machen. Er sah sie von der Tür aus an. „Annabel, es tut mir leid, ich hätte nicht so aus der Haut fahren dürfen.“ sagte er schließlich versöhnlich. „Ich bin einfach nur ein wenig müde.“ Wie gerne hätte sie es gesehen, wenn er sie jetzt einfach in den Arm genommen oder ihr besänftigend über die Wange gestreichelt hätte. So wie er es früher immer getan hatte, wenn sie mal aneinander geraten waren...
Aber trotz seiner versöhnenden Worte blieb Harald am anderen Ende des Raumes stehen und wahrte die Distanz. Annabel kämpfte vehement gegen die Resignation an, die sie Stück für Stück übermannte. „Schon gut.“ flüsterte sie dann. „Setz dich am besten erst mal. Wenn du etwas gegessen hast, geht es dir sicher gleich besser. Sie hörte, wie er langsam und tief durchatmete. Sie wusste, dass das seine Art war, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Schweigend brachte sie die Suppe herein, die sie heute Nachmittag gutgelaunt in Erinnerung an eines ihrer ersten Treffen vorbereitet hatte, bei dem sie ihm dieses Rezept das erste Mal gekocht hatte. Von der guten Laune war nun nicht mehr viel übrig, aber trotzdem würde sie sich zusammenreißen und alles so durchziehen, wie sie es den ganzen Tag über geplant hatte. Dabei war einer der wichtigsten Vorsätze, auf keinen Fall einen Streit anzufangen. Nicht an diesem Abend, an dem sie doch extra alles so arrangiert hatte, damit sie genau das, nämlich die ewigen Streitereien der letzten Wochen, ein für alle Male hinter sich lassen könnten, um wieder an das Glück anzuknüpfen, das sie die ganzen Jahre über verbunden hatte.
„Also, wo ist Lisa denn nun?“ fragte er und brachte dabei sogar ein Lächeln zustande. Seine Tochter war sein ein und alles. „Bei meiner Mutter.“ Sie sah wie er die Stirn runzelte, doch er sagte nichts weiter dazu. Eine Weile aßen sie schweigend ihre Suppe. Als Annabel aufstand, um das Hauptgericht aus der Küche zu holen, sah er endlich den Umschlag auf dem Tisch. Ohne auf seine Frau zu warten, öffnete er ihn. Er entdeckte zwei Flugtickets und eine Hotelreservierung. Madeira. Dort, wo sie ihren ersten gemeinsamen Urlaub nach den Flitterwochen verbracht hatten. Wenn er sich richtig erinnerte, war es sogar dasselbe Hotel.
Von der Küchentür aus konnte sie sehen, wie er den Inhalt des Umschlages in seiner Hand begutachtete. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. ‚Bitte, bitte, lass ihn sich freuen!’ flehte sie innerlich. Sie hielt die Schüssel mit dem Fleisch und den Nudeln so fest umklammert, dass er nicht mitbekam, wie ihre Hände zitterten, als sie wieder ins Wohnzimmer kam. Sie stellte alles auf dem Tisch ab, setzte sich wieder neben ihn und sah ihn erwartungsvoll an: „Und? Freust du dich? Eine Woche nur wir zwei! Auf Madeira. Erinnerst du dich noch? Ich hab dasselbe Hotel bekommen wie damals!“
Er reagierte nicht, starrte nur ausdruckslos vor sich hin. Annabel hielt einen Moment inne, dann fuhr sie verunsichert fort: „Es war Lisas Idee. Sie wollte meine Mutter auf andere Gedanken bringen und deshalb die Osterferien alleine bei ihr verbringen. Sie meinte, dass wir dann auch endlich mal wieder zu zweit Urlaub machen könnten. So richtig romantisch...“ Annabel sah erneut zu Harald, hoffte inständig auf eine Reaktion. Irgendeine! Selbst wenn er aus der Haut fahren würde, Hauptsache, er sagte endlich was! Doch es war totenstill im Zimmer und er blickte immer noch starr auf die Flugtickets.
Annabel spürte, wie sich ihre Angst langsam in Übelkeit verwandelte, doch sie zwang sich, weiter ruhig zu bleiben und abzuwarten. Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl es angenehm warm im Raum war. Harald ließ den Umschlag und die Flugtickets sinken. Dann sah er sie mit einem Blick an, der sie alles andere als zuversichtlich stimmte, bevor er den Kopf in seine Hände stützte, ihn immer wieder schüttelte und anfing zu weinen.
Annabel war wie gelähmt. In den ganzen Jahren ihrer Ehe hatte sie ihn erst einmal weinen sehen. Das war vor fünf Jahren, als seine Mutter gestorben war. Damals hatte sie ihn spontan in die Arme genommen und wie ein Kind gewiegt, bis der Tränenstrom versiegt war. Er hatte sie gewähren lassen, hatte sich hinterher sogar dafür bedankt. Doch nun wusste sie nicht, was sie tun sollte. Er war ihr so fremd geworden in den letzten Monaten. Sie hatte Angst mit ihrer Reaktion vielleicht alles nur noch schlimmer zu machen. Deshalb sagte sie erst mal gar nichts. Sah ihm einfach nur schweigend zu.
Als er schließlich seinen Oberkörper aufrichtete und die nassen Wangen mit der Hand abwischte, wagte sie es doch, ihm die Frage zu stellen, die ihr schon so lange auf der Zunge brannte, nicht erst seit heute Abend: „Was ist los, Liebling? Bitte sag’ es mir. Sag’ endlich, was los ist? Ich spür doch schon seit Monaten, das etwas nicht stimmt!“ In dem Moment, als sie die Frage zu Ende gestellt hatte, wurde ihr mit einem Mal klar, wieso sie sie nicht schon viel früher gestellt hatte: Sie hatte Angst vor der Antwort. Angst, etwas zu erfahren, das sie gar nicht hören wollte. Auch wenn sie insgeheim immer noch hoffte, dass es dafür gar keinen Grund gab.
Er sah sie mit rotverweinten Augen an. Sein Blick drückte ein Bedauern aus, das ihr unter die Haut ging. Sie fröstelte. „Es tut mir so unendlich leid!“ sagte er. „Ich wollte nicht, dass es so weit kommt.“ Annabel merkte, wie ihr Magen immer mehr rebellierte. „Was tut dir leid, Harald?“ fragte sie und sah ihm direkt in die Augen, auch wenn er ihrem Blick auswich. Sie fühlte sich hundeelend.
„Ich kann nicht mit dir in Urlaub fahren.“ sagte er und räusperte sich. „Es wäre nicht recht. Nicht, nach allem, was passiert ist...“ Annabels Herz klopfte bis zum Hals. Irgendwie wusste sie, was er als nächstes sagen würde, hatte es vielleicht die ganze Zeit über insgeheim gewusst und den Moment der Wahrheit absichtlich hinausgezögert. „Ich habe jemand anderen.“ bestätigte Harald nun ihre schlimmsten Vermutungen. „Seit ungefähr vier Monaten. Ich hab das nicht gewollt! Ich meine, natürlich muss ich es gewollt haben, sonst wäre es nicht passiert. Aber ich wollte nicht, dass es soweit kommt. Wirklich nicht! Am Anfang dachte ich, es sei nur ein Ausrutscher, eine Nacht der Versuchung, der ich nicht widerstehen konnte. Aber mit der Zeit... Annabel! Ich hab das wirklich nicht gewollt. Ich wollte dir nicht weh tun. Ich wollte nicht all das kaputt machen, was wir uns aufgebaut haben. Ich wollte, dass wir weiterhin eine glückliche Familie sind: du, Lisa und ich!“
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