Sie schaute ihn böse an. „Ich habe ihn nicht überfahren“, gab sie gereizt zurück.
Er verdrehte die Augen.
„Ich habs nicht so gemeint, entschuldige.“
Jen schluckte. „Das geht mir ziemlich nah, was ist, wenn ich ihn doch schwerer verletzt habe, als er ohnehin schon war?“
„Hast du nicht“, ging Matthias dazwischen, „du hast seine Verletzungen gesehen, die hatte er eindeutig schon vorher. Vielleicht kann er ganz froh sein, dass er dir vors Auto gelaufen ist, wer weiß was sonst mit ihm passiert wäre.“
Ja sicher, Matti hatte recht, trotzdem!
„Es geht ihm nicht so gut. Er war wieder bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts erinnern.“
„An gar nichts?“, fragte Sven.
Jenna schüttelte den Kopf. „An gar nichts, nur an seinen Vornamen.“
Sven hob die Augenbrauen. „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass er verdammt gut aussieht?“, fragte er in die Runde. Sven war schwul und machte kein Geheimnis daraus, warum auch.
„Das hast du sehen könne bei all dem Blut?“, fragte ihn sein Bruder.
„Er hat nen wahnsinns Körper“, schmunzelte Sven und zwinkerte ihm zu.
War es ihr auch aufgefallen? Aus anatomischer Sicht war er perfekt, wie war das aus rein menschlicher Sicht? Sie atmete tief durch.
„Ich glaube darüber solltest du dir Gedanken machen, wenn er wieder gesund ist.“
Typisch Matti, dachte Jen, immer kontrolliert, voller Anstand und ganz sachlich.
„Irgendjemand muss auf jeden Fall ziemlich sauer auf ihn gewesen sein, wenn er seine Wut auf diese Art und Weise an ihm ausgelassen hat. Jen, vielleicht solltest du die Sache auf sich beruhen lassen und abwarten, was die Polizei über ihn herausfindet“, sagte er.
Es auf sich beruhen lassen , hämmerte es in ihrem Kopf. Irgendwie hatte sie es plötzlich eilig nach Hause zu kommen und mit Laura zu reden.
„Jungs“, sagte sie und erhob sich, „seid mir nicht böse, aber ich mag hier Schluss machen, ich bin kaputt.“
Sie verabschiedeten sich voneinander und Jenna eilte zu ihrem Auto, das seit gestern auf dem Parkplatz auf sie wartete.
Ihr Handy piepte und signalisierte ihr, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, sicher ihre Mutter. Nicht jetzt, morgen! Beim Ausparken schaute sie sich noch gründlicher um, als nötig gewesen wäre, sie wollte nicht wieder jemanden anfahren.
„Ich kann mit Markus reden, wenn du willst“, sagte Laura, mit der sie im Jogginganzug auf dem flauschigen Teppich saß und noch ein Glas Wein trank. „Und dein Kollege ist scharf auf den Jungen?“
Jen nickte.
„Und du auch?“, fragte ihre Schwester.
„Laura, der Typ war kurz davor das Zeitliche zu segnen, glaube mir, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, als er da so blutüberströmt vor mir zusammengebrochen ist“, antwortete sie und wurde ganz leicht rot.
Laura schaute auf die Uhr. „So, ich muss jetzt schlafen, ich habe morgen einen Termin.“
Sie stand auf und brachte ihr Glas und die Flasche in die Küche. Jenna folgte ihr.
„Und du sprichst mit Markus?“, hakte Jen noch einmal nach.
Laura nickte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Elias war am Nachmittag aus Paris mit dem Flugzeug in Berlin Tegel gelandet. Der Zollbeamte hatte nicht schlecht geguckt, als er die Waffen in seinem Gepäck gefunden hatte. Elias hatte seine waffenrechtliche Genehmigung vorgelegt und durfte dann irgendwann passieren.
Eine schwarze Limousine hatte auf ihn gewartet und sofort zu den Lagerhallen gebracht. Dort hatte er sich das Unglück angeschaut. Der Geruch des Todes war widerlich. Überall war Blut und Männer, Brüder, die ihn aus toten Augen anstarrten. Bei Gott ja, sie hatten IHN unterschätzt. Warum waren sie so leichtsinnig gewesen?
„Ich hatte gehofft wir könnten auf dich und deine Dienste verzichten“, hatte der Älteste, der ihn begleitete, gesagt. Nein, auch wenn es ihnen lieber gewesen wäre, sie konnten es nicht.
Elias stand in dem Hotelzimmer, das sie für ihn gebucht hatten, sie wollten ihn nicht in ihren Räumlichkeiten beherbergen, er war keiner mehr von ihnen. Er spürte, dass das Zittern wieder anfing und der Schmerz kam. Nervös durchsuchte er seine Tasche, er musste sich beeilen, er konnte und wollte die Qualen nicht ertragen.
Nachdem sich sein Körper langsam wieder beruhigt hatte, legte er sich auf das Bett. Vielleicht, so hoffte er, würde er die Gelegenheit bekommen das zu Ende zu bringen, was er damals nicht geschafft hatte.
Jenna stand wieder vor dem Tresen im Krankenhaus, niemand war dort. Sie beobachtete das aufgeregte Treiben auf der Station. Schwestern, Pfleger und Ärzte rannten hin und her. Eine junge Frau auf einer Liege wurde an ihr vorbeigeschoben und sie sah, dass sie die Kleidung der Krankenschwestern dieses Hauses trug. Die Frau hatte eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und war aschfahl, ihre Augen rollten unkontrolliert hin und her. Dann waren sie vorbei. Jenna wartete und wenig später kam die Schwester von gestern. Sie wirkte angespannt, lächelte Jen aber an.
„Da sind Sie, guten Tag.“ Sie nahm einen Schluck aus einer Wasserflasche und setzte sich. „Ich werde gleich nach dem Patienten sehen, ich muss mich nur erst einmal sammeln. Eine meiner Kolleginnen ist auf dem Flur zusammengebrochen, wir haben sie am ganzen Körper zitternd gefunden. Sie muss einen Anfall gehabt haben, es sieht schlimm aus.“ Sie atmete tief durch und erhob sich. „So, ich werde mal schauen, ob er wach ist.“
Jenna wartete erneut. Minuten vergingen und die Frau kam zurück.
„Er ist weg!“, rief sie. „Nicht mehr im Zimmer.“
Sie hastete zum Telefon und wählte eine Nummer. Während sie darauf wartete, dass am anderen Ende abgenommen wurde, sprach sie zu Jen: „Er war gar nicht in der Lage aufzustehen, ich kann mir nicht erklären wo- Ja, ich bins, Rosalie, der Patient von Station 3 Zimmer 24 ist verschwunden.“
Sie redete, hörte zu, nickte und legte auf. Dann wendete sie sich wieder an Jen.
„Ich denke es wäre besser Sie gehen und kommen ein anderes Mal wieder, wir müssen ihn finden. Nicht, dass ihm etwas zugestoßen ist. Die Polizei wird benachrichtigt, wenn er denen die ihm das angetan haben in die Hände gefallen ist .... nicht auszudenken!“
Die Aufregung, die eben geherrscht hatte,wäre ein gutes Ablenkungsmanöver gewesen, um den Mann hier raus zu schaffen, dachte Jenna. Sie nickte und verabschiedete sich.
Sie würde nicht noch einmal herkommen, sie sollte sich da besser heraushalten. Es war nicht ihre Aufgabe sich um den Mann zu kümmern, sie hatte alles getan, was sie tun konnte und wenn die Polizei ihre Hilfe noch benötigte, würden sie sich an sie wenden. Sie hatte Wichtigeres zu tun, redete sie sich ein und wusste, dass es ihr schwer fallen würde sich an diesen Vorsatz zu halten.
Auf dem Weg zum Auto suchte sie den Schlüssel, verdammt, wo war der nur? Den Kopf noch in der Tasche stieß sie auf dem Parkplatz gegen jemanden. Erschrocken schaute sie auf um sich vielmals zu entschuldigen und starrte in zwei hellgraue Augen voll Schmerz. Ihr blieben die Worte im Hals stecken. Ihr Unterbewusstsein registrierte, dass er zwar eine Jacke trug, darunter jedoch nur dieses furchtbare Krankenhaushemd, keine Schuhe. Unfähig sich zu bewegen, starrte sie ihn an. „Ich muss hier weg“, wisperte er, „ich kann hier nicht bleiben.“ Seine Augen wurden dunkler, so als würden Gewitterwolken in ihnen aufziehen. „Sie müssen mich hier wegbringen, bitte helfen Sie mir.“
Er kann nicht hierbleiben, er muss weg, ich muss ihn wegbringen, dieser Gedanke setzte sich so tief in ihr fest, dass Jen gar nicht auf die Idee kam, daran könnte irgendetwas nicht in Ordnung sein. „Mein Wagen ist dort drüben“, sagte sie, schaute sich um und griff seine Hand um ihn mitzuziehen. Den Schlüssel hielt fest umklammert sie in der anderen Hand.
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