Dieser ganze Komplex musste vor einem Jahr von den Arbeitern gebaut werden. Die glatten Wände der Versenkung verliefen steil nach oben und waren unmöglich für einen Menschen zu erklimmen. Dass das große Transportfahrzeug der Glanzhäute, die hässliche, fliegende Untertasse, außerhalb des großen Lochs direkt am Rande dieses Abgrundes, in dem die drei Türme emporragten stand, machte Barrex´ Fluchtplan ungemein schwieriger. Ohne technische Hilfsmittel hatten die Menschen keine Chance, dort hinaufzukommen. Die Wachen drängten die Terrianer weiter zu einem der drei klobigen Türme, auf dessen Dach wie bei jedem der Gebäude eine Art Plattform aufgelegt war. In dieser Plattform befand sich ein großer Raum, die Zelle, in der die Terrianer untergebracht werden sollten. Einer nach dem Anderen wurde erst durch das Treppenhaus des Turms und dann in dieses Gefängnis in der Turmspitze gedrängt. Es gab dort mehrere Fenster, vor denen sich Gitterstäbe befanden, aber weder Glas noch irgendetwas Anderes, um die trockene Luft oder den leichten Wind, der hier ohne Unterbrechung wehte, draußen zu halten. Wenigstens war die Durchschnittstemperatur auf diesem Planeten mit 21 Grad Celsius erträglich hoch – doch in der Nacht konnte es unangenehm frisch werden. Sah man aus dem Fenster neben der breiten Doppeltür aus Eisen, die in besagten Raum in der Plattform auf dem klobigen Bauwerk führte, so konnte man die Brücken sehen, die die Verbindung zwischen den drei roten Türmen darstellten. Die einzige Verbindung zu den anderen Humanoiden. Als alle Terrianer in den großen Raum gedrängt waren, wurden ihnen die Fesseln abgenommen, die Tür zugemacht und fest verschlossen. Die Glanzhäute blieben vor der Doppeltür stehen oder verharrten mit ihren wachenden Blicken im Raum, unterhielten sich oder patrouillierten auf den deprimierenden Brücken und Türmen. Geländer waren draußen nirgendwo zu sehen. Die Silizoiden konnten schließlich fliegen. Aber die Menschen mussten aufpassen, dass sie nicht in die tödliche Tiefe stürzten.
Der Tag verging, die erschöpften Humanoiden ruhten sich aus. Ab und zu unterhielt sich Charisa in dem Raum mit den rot-glänzenden Wänden mit einigen ihrer Freunde; aber sie verstand sich mit niemandem so gut wie mit Alectis. Einige Menschen blickten sehnsüchtig aus den Fenstern; die Freiheit schien zum Greifen nah, und doch so fern. Andere spielten einfache Spiele wie Pantomime. Es gab nicht viele Möglichkeiten in dem Turm, sich zu beschäftigen. Dementsprechend verlief der erholsame Tag ereignislos, bis am Abend während des Sonnenuntergangs ein zweiter, großer Raumkreuzer landete, der ebenfalls die Form einer fliegenden Untertasse aufwies und noch mehr der verhassten Glanzhäute brachte. Nun wurden die Menschen langsam aufmerksam, denn das bedeutete, dass die Ablösung der Aliens begann. Doch die Wachen, die noch im Dienst waren, verschwanden nicht aus den hohen Räumen der Menschen. Die Humanoiden warteten, fünf Minuten, zehn Minuten. Nichts änderte sich. Dann, nach etwa einer viertel Stunde, öffneten sich auf einmal die etwa einen Finger dicken Eingangstüren aus Eisen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Gravianer konnten es nicht sein, sie hatten keinen Schlüssel, aber die Tür wurde eindeutig aufgeschlossen, nicht aufgebrochen. Außerdem waren die anderen Wachen in der Zelle immer noch zugegen und hielten die Leute unter Beobachtung. Noch mehr der bewaffneten Aliens betraten den Raum und verteilten sich gleichmäßig, sodass sie jede noch so kleine Bewegung mitbekamen, dann trat der Hauptaufseher mit ernster Miene in die Mitte der Menschen. „Da es letztes Jahr zu mehreren kleinen Ausschreitungen gekommen war, werdet ihr dieses Jahr strenger überwacht.“, begann er, klarzustellen, „Die Wachen werden bei euch bleiben, bis die Umsiedlung vonstattengegangen sein wird. Und ich warne euch: Diese Leute sind gerade sechs Tage durch den Weltraum geflogen, um hier einen Monat ihrer Arbeit zu verbringen. Sie haben schlechte Laune. Ihr solltet ihre Geduld nicht auf die Probe stellen.“
Mit diesen Worten verließ der entnervte Hauptaufseher den Raum wieder und die Tür wurde erneut abgeschlossen. Vor dem Eingang standen zwei weitere Wachen, falls eine der Glanzhäute die Räumlichkeiten verlassen wollte. Die Menschen waren schockiert. Sie hatten gehofft, dass sie heute Abend in die lang ersehnte Freiheit gelangen würden. Aber wenn die Gravianer ebenfalls so akribisch überwacht wurden, konnten sie das vergessen. Gegen die gut bewaffneten Wesen hatten sie nicht den Hauch einer Chance, nicht einmal die widerstandsfähigen Gravianer. Nicht jeder der Humanoiden wusste über den geplanten Ausbruch Bescheid; aber viele von ihnen. Manche starrten mit leerem Blick in die Gegend, als ihnen die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens klar wurde, andere sackten traurig auf dem rot gefliesten Boden zusammen. Ihre einzige Hoffnung schwand dahin. Wann sollte dieser Wahnsinn denn endlich vorbei sein? Charisa blickte durch die Menschenmenge, bis ihr Blick bei einem kleinen Jungen vor einem der luftdurchlässigen Fenster stoppte. Ein kalter Hauch durchwehte den Turm von dort aus. Der Kleine war kaum älter, als Charisa selbst bei dem Angriff der Aliens vor 10 Jahren. Er muss also nach dem Ende des Krieges eingefangen worden sein, denn die ganz kleinen Kinder unter 8 Jahren wurden damals getötet. Sie waren den Silizoiden nicht von Nutzen. Das junge Mädchen ging zu dem Jungen vor dem Fenster, hockte sich neben ihn und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. „Hey.“ Er hob den Kopf an, den er in den Armen vergraben hatte. Die Beine hatte er vor Verzweiflung krampfhaft angezogen. Der Kleine starrte der Cibolani mit seinem von Tränen und Trauer erfüllten Gesicht in die grünen Augen. Sie blickte ihn mitleidig an. „Du bist nicht allein.“ Mehr sagte sie nicht. Es reichte. Das Kind fing an, noch bitterlicher zu weinen und fiel Charisa um den Hals. Sie drückte ihn an sich und ihr harter Blick fiel zu Boden, als hätte sie die Steine mit ihren Augen durchbohren wollen. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Unterdessen ging Alectis in der Zelle der Gravianer in die Mitte des Raums zu Timeno, der nervös auf und ab lief. Timeno war noch einen halben Kopf größer als Alectis und er hatte ein anderes Muster als Charisa´s bester Freund; Seine Brust war nicht durchgehend orange gefärbt wie bei dem selbstbewussten Gravianer, sondern war mit orangen Streifen auf rotem Hintergrund gefärbt, genau wie sein Rücken; Alectis Rücken dagegen war durchgehend rot bis auf einen großen, orangen, ovalen Fleck, der in seiner Mitte durch zwei gegenüberliegende Einkerbungen gespickt war. Wie die meisten Gravianer trugen die Zwei nichts weiter als dicke Stoffhosen. Nur die Frauen unter den großen Menschen, die Graviani, hatten Klamotten, um ihre Oberweite zu bedecken – die anderen Humanoiden hingegen trugen alle Hosen, kurzärmlige Oberteile und Schuhe, die aus Stofffetzen von alten Klamotten hergestellt waren. Auch Timeno´s Hörner waren anders geformt als die von Alectis; sie begannen im Mittelscheitel und bogen sich dann zu den Seiten hinweg, so ähnlich wie bei einem Wasserbüffel. „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Alectis seinen Kameraden angespannt, aber leise, „Die Anderen verlassen sich auf uns!“ Timeno, der nun stehenblieb, war sichtlich schockiert über die große Präsenz der Aliens. Die Gravianer wurden während diesem Standortwechsel ebenso hart überwacht wie die Terrianer und die Nyoma. „Ich weiß es nicht... Ich fürchte, wir können nichts machen...“ Alectis wurde energischer. „Wir können sie nicht einfach hängen lassen!“ „Mir gefällt das auch nicht, Alectis! Aber wenn wir jetzt angreifen, haben wir keine Chance! Wem helfen wir, wenn wir tot sind?“, flüsterte Timeno mit gepresster Stimme. „Und wem helfen wir, wenn wir nur herumsitzen und nichts tun?“, entgegnete Alectis ernst. „Vielleicht ergibt sich noch eine Chance. Noch sind wir nicht unter der Erde!“, argumentierte Timeno verzweifelt. „Ich verurteile deine Entscheidung nicht. Wir haben alle viel durchgemacht. Aber wenn wir noch länger warten, gibt es uns nicht mehr.“ Mit diesen Worten ging Alectis entschlossen fort.
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