Die dafür genauen Ursachen sind nicht eindeutig zu klären: Ob hier mehr die generelle Humorlosigkeit, eine Abneigung gegen zynischen, schwarzen und satirischen Humor oder eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Themen und Personen, die den Leuten besonders am Herzen liegen, dahinterstecken. Wobei Letzteres zwar überwiegen, jedoch nicht weniger bedenkenswert sein dürfte: Wer mir folgt, hat immerhin ein Interesse an Humor, Witz und Satire. Nur fällt auf, dass die Zahl der „Entfolgungen“ regelmäßig dann nach oben schnellt, wenn sich meine Tweets gegen gewisse Politiker, Parteien, Promis und Fußballvereine richten. Der Zusammenhang ist bestechend: Ein Witzchen darüber, wo die vielen Piraten geblieben sind, ob nach Somalia zurück und deren Wähler mit – bums, auf einen Schlag 40 Follower weniger. Eine behutsame Satire über Veganer, Frauenquote und Jungfeministinnen – peng, gleich 50 Mal „entfolgt“.
Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich geht es zu bei Scherzen etwa über die Themen Facebook, Computerspiele, Kult-Smartphones, bestimmte Automarken und Motorräder, über beliebte Casting-Formate, mächtig angesagte Rapper, Super-, Model-, Pop- und Schlagerstars, weniger beliebte Religionen, einen vorbestraften Fußballfunktionär, ein geteiltes Europa oder die Zankäpfel Euro, Schulden, Regierung, Linke, USA, Putin, Papst, Job, Chef, Streiks, Cannabis oder Trash-TV.
Die Deutschen sind zwar immer weniger religiös im traditionellen Sinne, aber ihre heiligen Kühe haben sie. Während Toleranz und Leidensfähigkeit bei ihnen ansonsten mittelmäßig bis höher ausgeprägt sein mögen – in puncto Humor stoßen sie bei vielen auf ihre Grenzen; da wird schnell die Kampfzone ausgeweitet, ein Blitzkrieg angezettelt.
Gerade in sozialen Netzwerken lassen sich Leidenschaften und Eitelkeiten, Aversionen und Affekte spielend einfach praktizieren: Hier kann jeder mitreden, förmlich mitschreien, aufschreien, gern anonym, kann Halbwissen und wirre Gedanken verbreiten, ungehemmt seinen Fankult und Fanatismus, seine Voreingenommenheit, Gläubigkeit und Parteilichkeit ausleben, andere bekehren, belehren, beschimpfen, bedrohen oder heillos verherrlichen.
Nirgendwo sonst lässt sich so schnell ein Geltungsgefühl vortäuschen wie in der digitalen Welt, die uns auf den Klick gehorcht. Und selbst der Humor, eine der beliebtesten menschlichen Äußerungsformen, ein universelles Gemeinschaftsgefühl, eine leuchtend-höhere Kunst, die alles nur halbernst meint, nur spielen, entspannen, am Ende versöhnen will, muss dieser dumpfen Kleinkariertheit seine Opfer darbringen.
Humor geht in Deutschland ab wie eine Rakete: Je mehr witzige Schubkraft, desto heftiger der Rückstoß des Entsetzens.
Vom unterdrückten Verhältnis vieler Deutscher zu ihrem Humor zeugen ferner auch Leserzuschriften an Zeitungen, Zeitschriften und Online-Magazine. Schließlich habe man ernsthafte Grundsätze, höhere Werte und aufrichtige Absichten. Dazu eines der wohl besten Lehrstücke in Sachen Humor-Demenz vieler Deutscher waren die Kommentare von Spiegel-Online-Lesern auf den Artikel über einen angeblichen geheimen Zusatzvertrag zur Großen Koalition im Jahr 2013: In sieben Paragraphen hat der dortige Autor eine brillante Satire geboten, die einem als solche bereits beim Lesen des ersten Paragraphen überdeutlich ins Auge springen musste. In diesem ersten Abschnitt geht es etwa um die Besetzung der Ministerien über ein Punktesystem zunächst nach Geschlechterparität, Dauer der Parteizugehörigkeit oder Anzahl der Talkshow-Auftritte. Bei Punktgleichheit entscheide das Los, und erst bei Losgleichheit entscheide die Kompetenz der Ministerkandidaten – fast wie im richtigen Leben, aber nur fast, und genau da liegt der Humor.
Der Artikel erschien frühmorgens, bis zum Mittag des folgenden Tages sind dazu 176 Kommentare eingegangen. Unter den anfänglichen 50 Kommentaren, die sich auf die ersten zweieinhalb Stunden verteilen, befinden sich sage und schreibe 16 Wortmeldungen, die einen solchen Spaß grundsätzlich ablehnen oder stattdessen anmahnen, das Thema Große Koalition ernster zu nehmen. Satte 32 Prozent sind das. Sechs weitere Kommentare meinten, es könne sich dabei nicht um Satire handeln, da es nicht lustig, sondern traurige Wahrheit oder kompletter Blödsinn sei. Den Vogel abgeschossen haben jedoch 15 weitere Kommentatoren, die den Artikel erst gar nicht als Satire erkannt haben oder wenigstens hofften, das Ganze sei ein schlechter Witz oder verfrühter April-Scherz.
Macht summa summarum 78 Prozent an kommentierenden Lesern, die mit dem Humor nichts anfangen konnten, obwohl nach gängigem Verständnis einer der sieben fiktiven Paragraphen für jeden offenkundig satirischer als der andere zu lesen war.
Nachdem Stunden vergangen waren und etliche Leser darauf hingewiesen hatten, dass es sich hier um einen Ulk handle, der in der zweiten Überschriftenzeile von Beginn an ausdrücklich als Satire gekennzeichnet, obendrein in der Rubrik Kultur und nicht Politik erschienen war, gab es dennoch diverse weitere unglaubliche Wortmeldungen der genannten drei Kategorien: Von Kommentar 51 bis 176 haben immerhin elf Leser, darunter einige der letzten sogar, die Satire weiterhin nicht oder nicht eindeutig erkannt, zehn Leser dem Artikel den Humor gänzlich abgesprochen und vier sich wild schimpfend verbeten, über ein solch ernstes Thema überhaupt seine Späße zu machen.
Was sagt uns das? Zeigt es den Zustand des deutschen Humors, oder bestätigt es die Ergebnisse der Pisa-Studie aus Oktober desselben Jahres, wonach deutsche Erwachsene im internationalen Vergleich nur mittelmäßig lesen und Texte verstehen? Vermutlich beides. Wobei man davon ausgehen sollte, dass der durchschnittliche Spiegel-Online-Leser, der überdies selbst Kommentare schreibt, mit seiner Bildung schon etwas über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegen sollte. Die Defizite also doch mehr beim Humor?
Nicht ganz: Immerhin wird eine Spielart des Humors in deutschen Landen noch alljährlich verrichtet, wenn auch zwanghaft und von Randgruppen: der Karneval. Leider gehen viele der oft köstlichen Politsatiren mancher Büttenreden spurlos unter in dem Gedröhn, Kitsch und Pomp, den Trachten und Dialekten, der ewig gestrigen Marschmusik und den billig-schlüpfrigen Schlagern zum gestiefelten Winke-Ballett der militäruniformierten Tanzgarden.
Für wesentlich mehr Humor sei kaum Platz in der engen Lücke zwischen all den Gartenzwergen und stocksteifen Beamtentypen – dieses Bild zumindest haben Nichtdeutsche mit flüchtigem Blick oder tendenziösen, pseudojournalistischen Absichten. Im Ernstfall kann der Deutsche nämlich auch anders, sogar außerhalb der närrischen Zeit: Dazu braucht die gepeinigte Germanen-Seele lediglich eine gesellige Runde, ein solides Gute-Laune-Level sowie einen zünftigen, immer wiederkehrenden Anlass, auf den er sich sorgfältig vorbereiten kann, wie etwa auf das Münchner Oktoberfest oder örtliche Schützenfest. Auch die allsommerlichen Grillabende auf der Terrasse des Reihenendhauses bieten hierfür die passende Kulisse. Rasch einige Gläschen genehmigt, manchmal ganze Maßkrüge, und in Stimmung gebracht, kann der Deutsche genauso kalauern und blödeln, kann lustig, zotig und politisch unkorrekt sein wie all diejenigen, die ihn gern als Humormuffel hinstellen.
Und welches Jux-Potenzial in diesem Volke noch so schlummert, zeigt die eben erst im Zusammenhang mit Humorlosigkeit erwähnte Online-Welt – stehenbleiben darf das so nicht, da es wohl eine Minderheit betrifft, wenn auch eine beachtliche und bemerkenswert aktive. Als Hort und Quelle des Humors kann das Internet nicht genug gewürdigt werden, soweit man bedenkt, was sich hier tut und wie viele Menschen es erreicht:
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Читать дальше