Ist unser Humor noch zu retten?
Vor einiger Zeit tat ich es anderen Passanten gleich und flüchtete vor dem Regen in eine Weinhandlung. Der Verkäufer, von dem niemand wusste, ob er diesen Ansturm patschnasser Leute begrüßen sollte, blieb gelassen und gab sogar einen Gag zum Besten: „Wenn hier jemand seinen Wein auch trocken mag, ich habe Handtücher da!“
Nicht der Knaller, nicht ganz neu, deshalb kein Grund, dass sämtliche Leute im Laden, kaum zu glauben, schwiegen, keine Miene verzogen. Ich lachte – als einziger – und fühlte mich nicht wohl dabei.
Diese Leute sind sicher nett ansonsten, zuverlässig und fleißig vielleicht, ungewöhnlich klug, kultiviert und beruflich erfolgreich sogar. Aber menschlich haben sie sich in dem Moment eine Menge verschenkt, nicht reagiert, sich nicht amüsiert, weder etwas Lustiges entgegnet noch gelacht, gelächelt oder geschmunzelt. Schade, peinlich.
Wer nicht mehr lachen kann, wird immer komischer. Und wer komisch ist, muss noch lange nicht lustig sein, erst recht nicht humorvoll. Ein Teufelskreis mit Abwärtsspirale, wofür die heute wachsende Zahl von Menschen mit psychischen und psychosomatischen Leiden steht.
Ob trocken schmecken oder trockenreiben – eine humorvolle oder witzige Reaktion muss nicht anspruchsvoll, nicht der vermeintlichen Vernunft und strengen Logik folgen. Sie muss nur passen, irgendwie, ein bisschen originell sein. Und auch wenn sie einer flüchtigen Unterhaltung dient, so entspannt sie die Atmosphäre, überwindet Fremdheit mit einem guten Gefühl von Gleichheit und gemeinschaftlicher Geborgenheit.
Unser Humor macht uns umgänglicher. Wir haben es uns verdient, und wir haben es nötig.
Die Kunden der Weinhandlung hätten genau das gebraucht. Warum? Weil fast jeder in den meisten Lebenssituationen auf irgendeine Form menschlicher Nähe angewiesen ist, die zwar eine gewisse körperliche Distanz wahrt, dennoch für ein gutes Gefühl sorgt. Uns gegenseitig in den Armen liegen und tätscheln, lieben oder loben geht schließlich nicht ohne Weiteres. Blickkontakt, ein Lächeln, ein paar Worte helfen hingegen eine Menge – Humor und der gemeinsame Spaß darüber noch viel mehr. Sie sind ein einfaches und zugleich hochwirksames Instrument auch dort, wo Menschen, die sich nicht kennen, für kurze Zeit auf engem Raum zusammentreffen.
Man kennt diese Erscheinung von Wartezimmern, Warteschlangen, Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln oder – immer wieder hübsch peinlich – von Aufzügen, in denen jeder halb verlegen nach unten, standhaft geradeaus oder nervös auf die Anzeige starrt und sich kaum zu atmen traut, um nur nicht den Blick anderer Menschen zu treffen, nicht womöglich noch gefällige, originelle Worte wechseln zu müssen. Was gehen mich die Leute an, die sollen mir nett gestohlen bleiben, solange ich sie nicht kenne, sympathisch und attraktiv finde. Ähnlich haben die Weinkunden, warum auch immer, auf jegliche menschliche Verbindung verzichtet, haben sich eingeigelt mit ihrer gedankenlosen Unaufmerksamkeit, lustlosen Hektik, steifen Bedeutsamkeit oder höheren Anspruchshaltung.
Niemand muss heutzutage gleich einen Witz erzählen. Der Witz ist halbtot, vor allem in der mündlichen Welt, mit Ausnahme allenfalls dieses konservierten Biotops stets knallgeselliger, einsam reisender männlicher Handelsvertreter an abendlichen Hotelbars. Ansonsten ist ein reines, zusammenhangsloses Witzeabspulen kaum gefragt, weder zu Hause noch im Job oder auf Partys. Leute, die es dennoch tun, nerven oft mehr als sie unterhalten, beweisen nicht gerade, witzig und humorvoll zu sein.
Wenn aber gar niemand mehr, wie in der Weinhandlung geschehen, amüsant reagiert, lacht oder lächelt, fühlen sich am Ende alle unsicher, misstraut einer dem anderen, kann jeder weiterhin seine Hemmungen, Vorurteile und Ängste ausleben, seinen Ärger, seine Trägheit, Coolness oder Überspanntheit pflegen und damit unzufrieden bleiben.
Deutscher Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht. – Sigismund von Radecki
Stimmen denn die alten Vorurteile überhaupt, die andere Völker gegen uns Deutsche hegen? Zumindest im Alltag konnten wir Deutschen es schon immer gut ertragen, auf Lässigkeit, Genuss und Lebensfreude zu verzichten. Außerdem gibt es keine Dienstanweisung, humorvoll zu sein. Und wer mit unbegrenzter Geschwindigkeit über die Autobahnen seines Landes rast, kann schnell mal unter einem witzlosen Tunnelblick leiden, mehr Adrenalin und aggressives Verdrängungsgebaren als Humor für seine Mitmenschen übrig haben. Das zeigt sich bereits an den häufig verwendeten Floskeln wie „Das war nur ein Witz“ oder „Spaß muss sein.“ Ebenso an solchen zwar ironischen, deswegen aber längst nicht lustig gemeinten Sätzen wie: „Das kann ja heiter werden“, „Sehr witzig“, „Schon lange nicht mehr so gelacht“ oder „Witz komm raus, du bist umzingelt“.
Historisch gesehen ist der Deutsche, schaut man auf seine bestimmende kulturgeschichtliche Epoche, eher der romantische Künstler mit pathetischem Hang zur Natur. Ob das jedoch den modernen Durchschnittsdeutschen betrifft, ist die Frage. Von der Last einer historischen Humorschwäche in Literatur, bildender Kunst, Musik und Philosophie ist jedenfalls heute noch einiges zu spüren. Und seine Sehnsüchte hegt der Deutsche entweder im Stillen oder hängt sie an schnulzige Volksmusik- und Schlagerstars, während er den eigentlichen Humorauftrag an Comedians der elektronischen Medien oder an in Vorgärten platzierte Gipskitschgartenzwerge delegiert.
Achtung, Durchsage: Wer in Deutschland zur Arbeit geht, dem wird dringend empfohlen, um allseits Vertrauen zu schaffen, am Eingang sein griesgrämiges Gesicht aufzusetzen.
Den fehlenden Humor wiegt der Deutsche mit Tugenden wie Disziplin, Pünktlichkeit und Bratwurst auf. Bei den Deutschen muss immer alles solide und akkurat, wissenschaftlich begründet, mit Vorschriften geregelt, vollkaskoversichert, für den Export geeignet, mit teuren Medikamenten behandelbar und für US-amerikanische Geheimdienste gut ausspähbar sein. Der Deutsche hat im Grunde keine Zeit für Humor, da er sich andauernd Kochsendungen im Fernsehen anschaut, pausenlos mit Wassersparen und Mülltrennen beschäftigt ist und sich über angeblich faule Südländer und gefährliche Zuwanderer aufregen muss.
Abgesehen davon, dass der Deutsche ständig Probleme mit seinem geschichtlich geschädigten Nationalstolz hat und sich nicht besonders mag, ist er ein Beweis dafür, dass Humorlosigkeit nicht vor Bildungsschwäche schützt. Die Pisa-Studien sind bekannt und nicht gerade eine seiner besten Expertisen. Doch selbst bei der einfachsten Frage, ob Tomaten Gene haben, schnitten die Deutschen schlechter ab als der europäische Durchschnitt. Dabei sind es doppelt so viele Gene wie beim Menschen. Vielleicht lassen sich daher in naher Zukunft Tomaten züchten, die mehr Humor als viele Deutsche haben, was keine Hürde darstellen dürfte. Sprachlich immerhin sind wir Export-Experten noch begabter als Tomaten, wenn auch beim Englischen, laut Studien, nicht so bewandert wie die Polen, Ungarn, Slowenen oder Österreicher, wie die Skandinavier und Niederländer schon gar nicht.
Wer im Job herzhaft lachen will, sollte zuvor eine Humorgewerkschaft gründen.
Nach wie vor gepflegt in diesen Landen werden die deutsche Gemütlichkeit und German Angst als eigene Institutionen, wozu anscheinend die Häufigkeit der Arztbesuche zählt: Hier liegt der Deutsche mit an der Weltspitze. Wobei in den Wartezimmern noch weniger gelacht wird als auf der Straße, also genauso viel wie in der Politik.
Aus der Kleinstaaterei resultierend ist der Deutsche Humor regional zersplittert und eigentümlich national geprägt, deshalb kennt und will die Welt wohl auch keine deutschen Komiker. Selbst die Deutschen halten ihre Komiker, Comedians und Kabarettisten nicht gerade hoch, so als müssten sie sich ihrer schämen, da sie nicht dem deutschen Musterbild des angepassten, pflichtgetreuen Bürgers entsprechen. Humoristen können nach deutschem Verständnis einfach keine wahren Künstler sein, allenfalls welche mit Political-Correctness-Handicap. Wenigen ist es daher gelungen, in einen Komiker-Ersatzolymp, dem sozusagen Paralymp aufzusteigen: Karl Valentin etwa oder Heinz Ehrhardt und Loriot, während sich an Harald Schmidt bereits die Geister scheiden. Ideal für den Deutschen wäre wahrscheinlich ein verbeamteter Humorist, der bestenfalls unfreiwillig komisch in Erscheinung tritt, was dann auch erklärte, weshalb der Schweizer Emil Steinberger in Deutschland so beliebt war.
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