EMMAS
DREAMCATCHER
Jennifer Lösch
BAND 2
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Einige Monate sind vergangen, seitdem Emma in der Hütte im Wald einen harten Schlag abbekommen hat. Sie kann sich nicht mehr daran erinnern, was genau geschehen ist. Sie weiß nur, dass ihre Gedanken rund um Ava düster und mysteriös sind. Wird sie weiterhin von ihren seltsamen Träumen verfolgt werden? Wird sie die Klinik verlassen können, um bei ihrer Mutter zu sein? Und ein Leben ohne Ava in Harmonie führen können? Lest weiter, wie es mit Emma weitergeht und ob sie am Ende gewinnen kann.
KAPITEL 1 – LANGE NICHT GESEHEN
Tante Lynn saß mit leerem Blick und ohne jegliche Emotion auf dem kleinen Sessel in meinem Zimmer. Es waren bereits einige Monate vergangen und ich war noch immer hier in der Klinik. Die „Highfort Klinik für seelische Gesundheit“ war mein neues Zuhause geworden. Es war das erste Mal, dass ich Tante Lynn zu Gesicht bekam. Die letzten Wochen fühlte ich mich alleingelassen, von meiner Familie, meinen Freunden und mir selbst. Es hatte lange gedauert, bis ich mir selbst zugestanden hatte, dass alles nur Einbildung gewesen sein musste. All die Träume und Situationen aus vergangenen Tagen waren nicht real und nicht greifbar. Je mehr Zeit verging, desto mehr verschwamm alles vor meinem inneren Auge. Die Betreuung der Klinik und auch speziell durch Dr. Miller war recht gut. Das Essen war ertragbar, auch wenn ich getötet hätte für eine Tüte Fish´n Chips. Durch den Schlag auf meinem Hinterkopf hatte ich manchmal noch Gleichgewichtsstörungen. Aber die Wunde war im Großen und Ganzen verheilt. Ich nahm einen großen Schluck Kaffee aus meiner mittlerweile heiß geliebten Tasse der Klinik und atmete tief ein. Die Tasse war grün und trug die Initialen E.S. Es musste etwas passieren, die Stille im Raum machte mich verrückt.
„Und wie geht es dir?“, fragte ich entnervt, weil meine Tante Lynn keinen Mucks von sich gab. Wir hatten uns nun Wochen nicht gesehen und sie fragte nicht mal nach, wie es mir hier erging. Wie konnte man nur so egoistisch sein? Keine Reaktion war ihrerseits zu erwarten. Kein Muskel zuckte. Sie starrte weiterhin nur geradeaus, in den kleinen, aber immer noch nett eingerichteten Raum hinein. Da ich sie nicht anrempeln wollte, geschweige denn jegliche andere aus Emotionen geborene Handlung unternehmen wollte, stand ich auf und lief im Zimmer auf und ab. „Wir können das auch lassen, Tante Lynn. Du musst nicht hier sein. Ich bin auch ohne dich klargekommen!“, erwiderte ich mit Nachdruck. Nun liefen ihr Tränen an den Wangen hinunter. Aber das stoppte mich nicht, weiterzusprechen. Sie war die komplette Zeit, ohne sich bei mir zu melden, ferngeblieben. Sie war nicht da. Nicht nur das, sogar meine Ma durfte ich nicht besuchen. Auf Nachfragen hin war es der Beschluss von Tante Lynn. Wenn man dem Klinikpersonal Glauben schenken durfte. Das alles und noch viel mehr machte mich fuchsteufelswild. Ich blieb stehen und schaute Tante Lynn an. Ihre glasig gewordenen Augen und ihre eingefrorene Mundpartie ließen mich dennoch erschaudern. Ein wenig Mitleid stieg in mir auf. War es ungerecht, sie dafür zu verurteilen? War es nicht fair, ihr all die vergangenen Wochen anzukreiden? Auch sie hatte bestimmt schwere Zeiten durchlebt. Sie war es, die ihre Tochter verloren hatte und sich vor Polizei und Ärzten rechtfertigen musste. Vielleicht war einfach keine Zeit übrig gewesen, um auch noch mich zu besuchen. Mir beizustehen und mich und meinen damaligen Aussagen und Geschichten ernst zu nehmen. Ich hätte es wahrscheinlich selbst nicht getan. Ich musste mir eingestehen, dass die ganze vergangene Situation recht merkwürdig war und es für vieles keine Erklärungen geben würde. Ich zweifelte rückwirkend selbst an meiner Wahrnehmung und meinem Verstand. Jeder geht anders mit Trauer um. Und Tante Lynn vielleicht am besten mit Distanz und dem Alleinsein.
Ich lief auf Tante Lynn zu und wollte ihre Schulter berühren. Da sprang sie auf. Nun war sie es, die wie von Hummeln gestochen in meinem Zimmer auf und ab marschierte. Sie stand nun mit dem Rücken zum Fenster. „Emma!“, kroch es ihre heißere und vermutlich sehr trockene Kehle hinauf. „Emma, ich … ich muss dir etwas sagen!“, sprach sie weiter und lief wie in Trance im Raum auf und ab. In der gesamten Zeit, in der sie sprach, würdigte sie mich keines Blickes. „Setz dich bitte“, wisperte sie kaum verständlich und zeigte auf einen der beiden Sessel, auf denen sie selbst vor kurzem gesessen hatte. „Nicht, wenn du dich nicht auch hinsetzt!“, erwiderte ich trocken und so reflexartig, dass Tante Lynn stehen blieb und mich das erste Mal an diesem Nachmittag ansah. Ihre Augen sahen verletzt und gebrochen aus. Der eiskalte Schimmer daraus war verschwunden. Sie wirkte verloren. Als sie mich einige Sekunden lang so ansah, wusste ich, dass sie keine guten Nachrichten für mich hatte, und ich setzte mich hin. Sie immer im Blick, mit dem Rücken den Sesseln zugewandt. Als ich saß, änderte sich ihre Mimik schlagartig. Der verlorene Blick verwandelte sich in eiskalte Züge zurück und ließ mich erschaudern. „Deine Ma ist tot! Sie ist vorletzte Nacht von uns gegangen“, sprach sie kühl und nüchtern. Ich erstarrte. „Es ist nicht so, dass es mich nicht treffen würde, Emma, mich trifft es sehr. Viel zu sehr. Ich habe allerdings keine Kraft mehr. Ich will und kann nicht mehr kämpfen. Wie viel Leid soll ich denn noch aushalten? Wie viele Familiendramen kommen noch?“ Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Fuhr sich wenig später durch die Haare und hielt in dieser Position inne. Gerade, als ich aufstehen wollte, um etwas zu sagen, -ich wusste nicht, ob ich schreien, weinen, um mich schlagen oder einfach nur weiterhin erstarren sollte- , wies sie mich an, sitzen zu bleiben. Sie legte ihre Hand schützend über meinen Schoss, sodass ich nicht aufstehen konnte. „Ich bin noch nicht fertig!“, sprach sie nun mit festerer Stimme weiter. „Du verstehst nicht. Mein ganzes Leben ist ein Drama. Es ist hinüber. Erst habe ich Stacey an diese Klinik verloren, es hat alles mit dem Verlust deines Vaters begonnen. Deine Ma hatte heftige Gefühlsausbrüche und Stimmungsschwankungen, die immer schlimmer wurden, da hat es auch nichts genützt, dass du auf der Welt warst. Ich habe meine Schwester nicht mehr erkannt und wollte ihr um jeden Preis helfen. Koste es, was es wolle! Nach Jahren der Fürsorge und der Zuwendung meinerseits hat sich Stacey irgendwann merkwürdig verhalten und mich plötzlich gemieden.“ Sie fing an, sich in Rage zu reden und schniefte dabei aufgeregt. „Ich habe meine Tochter verloren. Meine einzige und heiß geliebte Tochter Ava. Hast du gewusst, dass die Polizeiakte geschlossen und der Fall als Selbstmord deklariert wurde? Nein? Na ja, woher auch, du bist ja hier drinnen!“ Nun wurde es sehr vorwurfsvoll und ich bekam Angst. Als ich ihre Hand wegschieben wollte, die noch immer über meinem Schoss ruhte, starrte mich Tante Lynn direkt an. Ich wagte nicht, mich in diesem Moment auch nur einen Zentimeter zu bewegen. „Nicht nur das, liebe Emma. Jetzt ist Stacey tot. Gestorben an einem missglückten Selbstmordversuch. Sie schien irgendwie an zu viel Schlafmittel gekommen zu sein. Hatte sich mehrere Tabletten davon in den Rachen geworfen und hatte daraufhin eine Not-OP. Diese Not-OP hat ihr schwaches und mit Medikamenten vollgepumptes Herz nicht überstanden und sie ist gestorben.
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