Tanner biss die Zähne aufeinander, um nicht zu grinsen. Er mochte falsch liegen, aber die abfällige Bezeichnung für eine Kaiserliche Tochter und die Platzwunde mussten einfach in Bezug zueinanderstehen. Im Grunde verabscheute er die Adligen wegen zahlreicher Dinge, unter anderem, weil sie allesamt Feiglinge waren. Die Prinzessin schien da etwas anders gestrickt zu sein. Und zu seiner nicht geringen Freude durfte er heute seine Abscheu über die Kaiserin im Rahmen seines taktischen Konzeptes frei ausleben. Bei aller Gefahr für seine Zukunft und die seiner Besatzung erlaubte er sich dennoch, seine Freude für den Kerl hörbar werden zu lassen. Mit triefendem Sarkasmus gab er ihm den Blues: »Junger Freund, ich fürchte, Sie müssen sich etwas anderes überlegen. Dies ist zwar ohne jeden Zweifel ein Schiff der Kaiserlichen Flotte. Ich bin aber nicht im Mindesten adlig. Ich bin Captain Roscoe Tanner. Dies ist die Grizzly . Ergeben Sie sich, oder Sie werden zerstört. Mit allem, was sich an Bord befindet. Entscheiden Sie sich jetzt. Wie ist mir furzegal.«
Das war natürlich glatt gelogen, aber das konnte der Kerl auf dem Display nicht wissen. Was er wusste, ließ ihn auf der Stelle erbleichen. Kaum jemand kannte die Wahrheit, alle kannten die Legenden, die sich um die Grizzly rankten. Das gefürchtete Außenwelter-Schiff! Schlachtschiff der Hölle! Nie hatte es gegenüber hochgestellten Gegnern auch nur den Hauch von Gnade gegeben. Der Captain drohte niemals, um damit etwas kampflos zu erreichen, er setzte es immer in die Tat um. Immer!
Dem namenlosen Verbrecher wurde schlagartig bewusst, dass er eine Geisel hatte, die er gegenüber jedem Schiffskommandanten Horaves beliebig einsetzen konnte. Nur gegen einen überhaupt nicht, und genau dem war er begegnet. Tanner betrachtete den nun sehr blassen und stark schwitzenden Mann und sah ihm beim krampfhaften Nachdenken zu. Er beschloss, die Dinge zu forcieren, bevor der Kerl auf dumme Gedanken kam.
»Ich nehme jederzeit Ihre Kapitulation entgegen«, meinte er freundlich und kappte die Verbindung. Mit frischer Schärfe gab er knappe Befehle: »Füsiliere ausbooten. Angriff nach Plan. Waffen, Einsatz frei.«
Vier Sturmboote wurden zwei Sekunden später nach unten aus dem Schiff geworfen, zündeten ihre Reaktionsdüsen und sprangen in Richtung Jacht. Istvan Horvath reagierte wie ein Pianist. Mit fliegenden Bewegungen prüfte er kurz die Beweglichkeit seiner Finger, dann haute er in die Tasten.
*
Datenbankauszug 1302
Nach der Wiederentdeckung der interstellaren Raumfahrt hatte man einige Zeit benötigt, die ursprünglich vorhandene Technologie nach und nach industriell verfügbar zu machen. Im Bereich von Bewaffnung und Panzerung dauerte es eine Weile, um den Stand der Technik zu erreichen, der dem Niveau von vor dem Exodus entsprach. Darüber hinaus vermochte sich kein Planet weiter zu entwickeln, die Kämpfe brachen in den Augenblick los, als die ersten beiden Planeten je ein Schiff besaßen, die sich im Weltall finden konnten. In dem Gemetzel, was folgte und bis zum heutigen Tage andauerte, spielte ab diesem Zeitpunkt nur noch Masse eine Rolle. Möglichst viele Schiffe mit möglichst starker Bewaffnung bauen zu können, sie in der Schlacht möglichst rücksichtslos einzusetzen, etwas anderes zählte nicht.
Diese Einstellung der Entscheidungsträger erwies sich in zweifacher Hinsicht als unfassbar dumm. Zum einen führte der Verzicht auf jede Technologie-Forschung auf der einen Seite, und das blinde Anrennen in Materialschlachten auf der anderen Seite zu sinnlosem Blutvergießen. Jahrhunderte vergingen, in denen beständig die qualifiziertesten und stärksten Köpfe eines jeden Planeten und jedes Reiches in den Kämpfen umkamen. Manch ein mäßig kluger Kopf rettete sich in gespielte Unfähigkeit, die Elite starb, meistens, bevor sie für adäquaten Nachwuchs sorgen konnten. Da die Schiffe zudem ganz überwiegend mit Edelleuten bemannt wurden, führte der langjährige Prozess zu geistiger und zahlenmäßiger Verarmung der Führungsschichten. Hier bot sich eine plausible Erklärung an für die unaufhörlich fortschreitende Verrohung der Sitten und Verhaltensweisen. Aus dieser Entwicklung schien es keinen Ausweg zu geben, denn an dem relativen Patt im All änderte sich nichts.
Dort oben lag der zweite Grund, warum das Handeln der Mächtigen als die perfekte Dummheit gelten konnte.
Zwischen Panzerung und Bewaffnung herrschte nämlich eine Art zerbrechliches Gleichgewicht, und das im wörtlichen Sinne. Die Panzerung der Schiffe war der Schlüssel. In all den Jahren war es den Menschen nicht gelungen, eine wie auch immer geartete Möglichkeit zu finden, ein Raumschiff mit einem Schutzschirm zu versehen. Sicher, im Labor funktionierten manche Methoden, theoretisch waren selbst Hyperschirme denkbar. Praktisch scheiterten alle Versuche an der ungelösten Frage der Energieversorgung. Die transportablen Fusionskraftwerke vermochten zwar eine ganze Menge Energie zu erzeugen, hatten aber doch ihre Grenzen. Antrieb und Schwerkraftkontrolle verschlangen Unmengen von Energie, die für sich allein die Erzeuger vollständig auslasteten. Ein Schutzschirm würde noch zusätzlich ein Mehrfaches verbrauchen und das war nicht mehr darstellbar. Im Prinzip standen die Schiffkonstrukteure vor dem gleichen Problem wie vor Urzeiten die Entwickler erdgebundener Panzer. Ein schlagkräftiges Kriegsgerät erhielt man aus der geschickten Gewichtung der Komponenten Antrieb, Panzerung und Bewaffnung. Würde man eine Komponente über Gebühr stärken, so ginge dies nur durch Schwächung der anderen Komponenten, man erhielt also ein einseitig starkes und gleichzeitig auf einem anderen Gebiet empfindlich schwaches Gerät. Für Raumschiffe komplizierten sich die Dinge noch zusätzlich. So ein Schutzschirm war schließlich nicht nur im Kampf eine feine Sache. Er bot auch Schutz vor Meteoriten, kosmischer Strahlung und anderen Überraschungen, die Mensch und Material in Gefahr zu bringen trachteten. Zwar erreichten die Schiffe nicht einmal annähernd die Lichtgeschwindigkeit, dennoch waren in der Anfangsphase der Raumfahrt die Unfälle nicht selten, und immer verliefen sie in der lebensfeindlichen Umgebung des Weltalls katastrophal. Ein neuartiges Material hatte schließlich die Lösung gebracht: Cardonium.
Der künstlich herzustellende Stoff bestand aus einem flexiblen Kristallgitter und war demzufolge auch fähig, auf äußere Reize zu reagieren. Im normalen, ruhenden Zustand ein Stoff, der hart und metallisch aussah und auch sehr hart war, veränderte er sich dramatisch, wenn Hitze oder ein mit hoher Geschwindigkeit fliegender Gegenstand auf die Cardonium-Hülle traf. Das eine wie das andere führte zu einer Umkristallisation, mit der sich das Material zum einen wesentlich verhärtete, gleichzeitig die Energie an benachbarte Kristalle abzugeben imstande war. Wenn zum Beispiel eine Atomrakete auf einen Schiffsrumpf auftraf, so führte das dazu, dass die Explosionsenergie an alle Kristalle der Hülle weitergegeben wurde, sodass zum einen die Wellenfront des Aufschlags um das Schiff herumlief wie die Wellen, die vom Aufschlag eines Steins in den Teich weglaufen. Zum anderen wurde die getroffene Stelle extrem hart und kompakt und absolut undurchdringlich. Die Umkristallisation an sich verschlang den Großteil der Waffenenergie und verhinderte so tief greifende Schäden. Nach Abgabe der Energie kehrten die Kristalle in die Ausgangsposition zurück und das Spiel konnte von Neuem beginnen.
Mit Cardonium hatte sich der Kampf mit Raketen schlagartig erledigt. Auf diese Weise war die Hülle eines Raumschiffes nicht mehr zu durchdringen. Allgemein erwies sich nun jegliche Art von Fernwaffe als untauglich. Man musste wieder nahe heran, um überhaupt eine Chance zu haben. Die supermodernen Schlachtkreuzer kehrten zu den Taktiken der technischen Steinzeit zurück. Man nannte es wie damals Dogfight.
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