„Oh, das geht nicht. Ist ja auch egal, ich will es gar nicht wissen. Hauptsache, Ihr seid zufrieden. Oder nicht, wollt Ihr mich noch ein bisschen weiter mit Euren Fragen quälen, ja? Oder warum seid Ihr noch immer hier?“ Zitternd vor Wut funkelte sie ihn an, außer sich vor Zorn. „Vielleicht um auszuprobieren, ob ich es wert bin, dass Ihr meinetwegen einen Zweikampf auf Leben und Tod ausgetragen habt?! Eine kleine Wiedergutmachung dafür, dass Ihr verletzt worden seid?! Bitte, ich kann Euch nicht daran hindern!“, schrie sie.
Doch er hörte auch die Angst in ihrer Stimme, panische Angst, fasste behutsam nach ihrer Hand. Schreiend riss sie sich los und sprang auf, geriet aber schon beim ersten Schritt ins Taumeln und stürzte, kroch auf Händen und Knien Richtung Tür.
Es war düster im Zimmer, keine Kerze, keine Fackel spendete auch nur ein wenig Licht. Die Luft stickig, beinah wie … Reik fühlte sich in einen ihrer Träume versetzt, unwirklich und nicht dort, wo er sein sollte. In einem verwüsteten Raum in einem heruntergekommenen Gemäuer, welches die Bewohner Burg nannten, irgendwo im Wildewald. Die Atmosphäre bedrohlich, angespannt wie auf einer Jagd. Er der Jäger, sie die Beute.
Seine Beute, der Gedanke, die Vorstellung verlockend … Der Geruch, ihr Körpergeruch, der Geruch ihrer Angst intensiv, überdeutlich. Reik musste sich zwingen, sich nicht von ihrer Panik, ihrer Erregung anstecken zu lassen.
Hielt die Tür zu, an der sie sich mühsam hochgezogen hatte, war ihr viel zu nah. Zitternd wandte sie sich zu ihm um, starrte ihn an. Wie das Kaninchen den Wolf, der Gedanke ließ ihn unwillkürlich lächeln. Er sah die Angst in ihren Augen, noch etwas anderes, hörte ihr Keuchen. Ihr Geruch, sein Geruch, denn natürlich roch er, blickte ihr ins Gesicht, als ihre Knie nachgaben und sie hilflos zu Boden rutschte.
Beugte sich über sie, ihr Mund wie zum Schrei geöffnet. Blut besudelte ihren Hals, ihre aufgerissene Kehle, seine Hände, und der Geruch nach warmem Blut, ihrem Blut, drohte seine Selbstbeherrschung zu überwältigen, da er über ihr kniete.
Es war dunkel geworden, die Sonne schon lange untergegangen. Reik hockte vor ihr, betastete vorsichtig ihren Hals, wo das Tier … Nein, kein Tier, auch nicht er selbst, und da war kein Blut. Nur die Zartheit und Glätte ihrer Haut und ihr rasender Puls.
Sie holte zittrig Luft, stöhnte leise und griff sich an die Kehle.
„Was war das? Ich glaubte …“ Abwehrend schüttelte er den Kopf, begegnete ihrem Blick. „Etwas hat Eure Kehle aufgerissen, Ihr seid verblutet, es war … Ich weiß nicht, was das war!“
„Es war eine erfolgreiche Jagd.“ Ihre Stimme nur ein raues Krächzen.
„Eine erfolgreiche Jagd?“
„Ein Tier jagt ein anderes und reißt ihm die Kehle auf. So etwas nennt man eine erfolgreiche Jagd, oder nicht?“
„Doch, das wäre eine treffende Beschreibung“, gab er fassungslos zu. „Aber ich verstehe es wirklich nicht.“
„Und Ihr erwartet ernsthaft, dass ich es Euch erkläre? Mein Hals, meine Kehle tun so weh, dass ich kaum sprechen kann, gar nicht zu reden von meinen Kopfschmerzen, und Ihr wollt eine Erklärung?“
„Ja.“ Genau die hätte er gern. Nicht nur die Benennung des Offensichtlichen.
Behutsam nahm Reik sie auf die Arme, trug sie zum Bett. Sie ließ sich ohne ein Wort zurücksinken, ihr Atem noch immer viel zu hastig. Er glaubte fast, ihren raschen Herzschlag zu spüren, betrachtete sie aufmerksam. Legte erneut die Hand auf ihren Hals und fühlte ihren Puls, viel zu schnell. Ihre Haut so zart.
Er wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt zu haben schien, ihr Atem gleichmäßiger ging, schaute sie nur an. „Ihr schuldet mir eine Erklärung.“
„Ich schulde Euch gar nichts! Und ich kann es Euch auch nicht erklären, es war … es war wie ein Traum, ich war ein Tier, das von einem anderen Tier gejagt wurde. Es hat mich erwischt und mir die Kehle aufgerissen, ich bin gestorben, verblutet.“
Nun, so hatte es ausgesehen. „Aber wieso …“
„Vielleicht Euer Geruch, Ihr riecht wie ein Raubtier. Ach, ich weiß es nicht! Ich träume doch sowieso ständig, ich weiß schon gar nicht mehr, ob ich wache oder träume, warum also nicht beides zugleich?“
„Und das andere Tier, der Jäger? Das war ich?“, wollte er wissen.
„Vielleicht.“ Offen blickte sie ihm in die Augen. „Ihr habt mich getötet.“
Er widersprach nicht, sagte nichts, sah sie nur an. Sein Gesicht dicht über ihrem Gesicht, sehr nah, seine Hand noch immer auf ihrem Hals, und er wunderte sich, dass sie sich gar nicht daran störte, nicht protestierte.
Für den Moment wollte er nichts an der Situation ändern. So unbequem war das Bett nicht, die Unordnung im Zimmer ihm herzlich gleichgültig, ihre Nähe angenehm und sehr willkommen. Selbst wenn sie bald darauf einschlief.
(Ende 6. Tag, Vollmond)
Immer tiefer sinke ich in die Dunkelheit, alles schwarz und ruhig und sehr friedlich. Dann wird es heller, ich sehe in den Himmel. Kleine, fedrige Wolken ziehen im lauen Wind dahin. Es ist warm, Anella liegt neben mir, streichelt mein Gesicht. Langsam gleiten ihre Hände tiefer, über meine Brüste, meinen Bauch. Ihre Lippen folgen ihren Händen, tiefer hinab, ihre Zunge kitzelt mich; ich lache.
Der Wind wird stärker, dunkle Wolken kommen auf, ich kann den Regen schmecken. Anella ist fort und der Fremde beugt sich über mich. Ich bin wie gelähmt. Die Frauen umringen uns und kreischen vor Lachen, ich schreie gellend. Und erwache.
Ihr Herz raste. Es war kalt, der volle Mond leuchtete ins Zimmer. Sein Licht fiel auf den Fremden, der neben ihr auf dem Bett lag und schlief. Sie konnte ihn atmen hören. Ihr Vater stand neben dem Bett, das Mondlicht glitzerte in seinen Augen. Er verriet ihr, wo das Messer des Fremden war. Unvorsichtig von ihm, es hier zu haben, während er neben ihr schlief.
Leise glitt sie aus dem Bett und zog das Messer aus seinem Stiefel. Es sah sehr scharf aus, das Mondlicht glänzte auf der Schneide. Der Fremde hatte sich nicht bewegt, er schlief wie ein Kind, sein Kettenhemd hatte er ausgezogen. Seine Kehle war ungeschützt.
Vorsichtig kniete sie sich über ihn, sah auf das Messer. Ihr Vater erklärte ihr, wie sie es zu benutzen hatte. Wie bei der Wolfsjagd, die Klinge nach unten, um den Unterarm zu schützen, wenn man dem Wolf die Kehle durchschnitt.
Er war der beste Jäger, einmal brachte er ihrer Mutter ein Wolfsfell als Geschenk. Es war so weich! Doch eines Nachts kehrte ihr Vater nicht von der Jagd zurück, der Wolf war schneller gewesen.
Tränen liefen ihr über das Gesicht, ihr Vater drängte sie. Sie konnte die Bartstoppeln an Hals und Kinn des Fremden sehen und lauschte auf die Stimmen. Sie rieten ihr, sie solle ihn töten, jetzt sofort. Dann wäre sie frei, könne gehen, wohin sie wolle, tun, was sie wolle, aber sie müsse ihn töten, unbedingt! Jetzt! Sie sah ihre Gestalten im Mondlicht, sie umringten sie, kreischten und schrien.
Wieder blickte sie auf das Messer. Die Zeit verging sehr langsam, das Mondlicht wanderte durch den Raum.
Ein Wolf heulte den Mond an, ein klagender, einsamer Laut. Er weckte den Fremden, es war zu spät! Sie fuhr mit dem Messer über seinen Hals.
Aber der Mann war viel zu schnell wach und wehrte die Klinge mit dem Arm ab. Das Messer war scharf, schnitt ohne Mühe durch das Leder des Ärmels tief in sein Fleisch, sie sah fasziniert das Blut hervorquellen.
Mit der anderen Hand packte er ihr Handgelenk, drückte ihr den verletzten Arm gegen die Kehle und warf sie, ohne ihr Handgelenk loszulassen, rückwärts zu Boden, hielt sie mit seinem ganzen Gewicht am Boden fest. Sein heißes Blut lief ihren Hals herab.
„Lass das Messer los!“ Er flüsterte, die Zähne zusammengebissen.
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