Mara Dissen
Todbringende Entscheidung
Todbringende Entscheidung
Mara Dissen
Impressum
Texte: © Copyright by creaticon – Inh. Valesca Dolle-Koch
Umschlag: © Copyright by creaticon – Inh. Valesca Dolle-Koch
Verlag: creaticon – Valesca Dolle-Koch
Lily-Braun-Straße 16G
12619 Berlin
info@creaticon.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
«Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, durch eigene Schuld nur sind wir Schwächlinge»
William Shakespeare
Schmutziggrauer Asphalt, schnurgerade, endlos, unterbrochen von notdürftig geflickten Schlaglöchern, gerahmt von unbefestigten, aufgeweichten Randstreifen, die sich scheinbar ins Niemandsland verlaufen, lädt nicht ein, schreckt ab. Vereinzelt freistehende Häuser, langgestreckte Flachbauten am Straßenrand, schäbig, abweisend, machen jedoch deutlich, dass Menschen den Kampf um ein
Dasein an diesem Ort noch nicht verloren, noch nicht endgültig aufgegeben haben. Hoffnung ist wieder aufgekeimt.
Über Jahre gemieden, in Vergessenheit geraten, ist die Straße von Ortskundigen zu einer der beliebtesten Ausweichstrecken auserkoren worden, seit Baustellenstaus die Umgehungsstraße nahezu lahmlegen. Die maroden Verhältnisse werden, wenn auch murrend, in Kauf genommen, lohnt es sich doch, die Häuser und Anlagen der schützenden Stadt, die sich am Horizont abzeichnet, nach einem langen Arbeitstag schneller zu erreichen. Nur selten hält ein Autofahrer an den primitiven, aus Holzlatten gebauten Ständen am Straßenrand, um sich mit angebotenem Obst, Gemüse, Süßwaren oder Erfrischungsgetränken zu versorgen. Die Autofahrer meiden Kontakte, fürchten unangenehme Erfahrungen mit den Vergessenen, sehen nicht das langsame Sterben der aufgekommenen Hoffnung zurückgebliebener Menschen.
Am Ende der Streusiedlung erfährt die Tankstelle jedoch seit Monaten einen Aufschwung. Preiswerteres Benzin als in der Stadt, eine große Auswahl an Alkohol für den Feierabend zu akzeptablen Preisen haben sie zu einer beliebten Anlaufstelle gemacht, an der man gerne auch einmal Warteschlangen in Kauf nimmt. Nach dem Ansturm des Feierabendverkehrs passt sich das Leben auf dem Gelände jedoch seiner Umgebung an, hebt sich nicht mehr von der allerorts ausströmenden Trostlosigkeit ab. Spärliche Notbeleuchtung, verschlossene Türen, fehlender Nachtschalter verleihen der Tankstelle Abend für Abend das irritierende Bild einer irrealen Wirklichkeit, unmissverständliche, unverschleierte Zeichen, dass nächtliche Kundschaft und Verkauf unerwünscht, ausgeschlossen sind. Man hat es schnell verstanden und verinnerlicht, hält sich fern nach Einbruch der Dunkelheit.
Gespenstisch werfen die verwilderten Sträucher neben dem Gebäude ihre Schatten auf den Zufahrtsweg, um sich mit den Schatten der Zapfsäulen zu vereinen. Nur schwer ist der schmale, unbefestigte Weg, der sich zwischen den wuchernden Zweigen hindurch schlängelt, in der Dunkelheit auszumachen.
Das Auto ist klein, bucklig, unbeleuchtet, von schwer bestimmbarer Farbe, der Motor ausgeschaltet. Es ist niemand mehr in der Nähe, der dem Fahrzeug Aufmerksamkeit schenken könnte, keine neugierigen Blicke, die den Menschen hinter dem Lenkrad zum Abtauchen veranlassen würden. Er fühlt sich sicher, lehnt entspannt, die Hände im Nacken verschränkt, mit der Schulter an der Fahrertür, ohne jedoch den schwach erleuchteten Verkaufsraum der Tankstelle auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Sein Interesse gehört der schemenhaften Gestalt hinter den riesigen Glasscheiben.
Mit energischen, schnellen Schritten bewegt sie sich zwischen den Verkaufsregalen, hält Notizen auf einem Klemmbrett fest, kehrt zur Registrierkasse zurück, wiederholt den Vorgang mehrfach, hat die Außenwelt für sich ausgeblendet. Dem Autofahrer zeigt sich die Silhouette eines zielgerichtet handelnden Menschen, unbeirrt die eingefahrenen Arbeitsschritte ausführend, den Feierabend herbeisehnend. Gesichtskonturen und Mimik werden jedoch nur unzureichend von der spärlichen Lichtquelle erreicht und bleiben dem Autofahrer unerschlossen. Er benötigt keine weiteren Einblicke, er weiß, wen er beobachtet.
Plötzlich vollführt die Gestalt hinter den Glasscheiben mitten im Laufschritt eine halbe Drehung, wobei sie die Arme, einem Flügelschlag ähnlich, ausbreitet, um sie sofort angewinkelt an den Körper zu pressen. Sekundenlang verharrt sie in dieser Stellung, scheint sich vor einer nicht greifbaren Gefahr instinktiv unsichtbar machen zu wollen. Nur zögernd befreit sich der Mensch aus seiner Starre, lässt die Arme sinken, schüttelt den Kopf, bewegt sich behutsam in Richtung Eingangstür, bleibt erneut stehen und legt das Klemmbrett, das wie ein störender Fremdkörper von seiner Hand gehalten wird, auf einem Regal ab. Entschlossen und zielgerichtet, wie noch vor wenigen Minuten, nähert sich die Gestalt mit weitausholenden Schritten der Glastür. Etwas zu hastig schießt der Kopf nach vorne und prallt mit der Stirn an die Scheibe. Der nachfolgende Fluch ist laut und ordinär. Das Gesicht wird von der diffusen Außenbeleuchtung erfasst und zeigt sich dem Autofahrer. Er richtet sich in seinem Sitz auf und verzieht die Mundwinkel zu einem leichten, ironischen Grinsen. Es ist für ihn bedeutungslos, dass er die Worte nicht hören, nicht von den Lippen ablesen kann. Er weiß um die verbale Schlagkraft der Tankwartin, der Frau, die ihr Gesicht an die Scheibe presst und in die Landschaft starrt.
Mit beiden Händen drückt sie sich von der Tür ab und scheint sich über ihr weiteres Handeln nicht im Klaren zu sein. Suchend schaut sie sich im Raum um, entdeckt ihr Klemmbrett, schenkt ihm jedoch keine weitere Beachtung. Im Zeitlupentempo wendet sie sich wieder der Tür zu. Gedankenverloren betrachtet sie den im Schloss steckenden Schlüssel. Blitzschnell schießt ihre Hand vor, versucht den Schlüssel zu drehen, erfährt die beruhigende Bestätigung, dass sie bereits bei Einbruch der Dunkelheit die Tür wie jeden Abend verschlossen hat.
Mit steinerner Miene entfernt sie das mit Tesafilm an der Glasscheibe befestigte weiße Papier, entrissen aus einem Notizblock. Bevor sie es zerknüllt und in die ausgebeulte Hosentasche ihres Monteuranzugs steckt, liest sie noch einmal den Satz, der mit schwarzem Filzstift auf dem Papier notiert ist, und der für den Bezahlvorgang der Kunden in den letzten Tagen so wichtig war. Die Hände in die Hüfte gestützt stapft sie hoch aufgerichtet durch den Verkaufsraum, steuert die Metalltür neben dem Tresen an, verschwindet, ohne sich noch einmal umzudrehen, in dem dahinter liegenden kleinen Lagerraum.
Die Körperhaltung des Autofahrers verändert sich. Seine Hände umklammern das Lenkrad, sein Oberkörper richtet sich senkrecht auf, sein Nacken versteift sich, der Blick wandert vom Tankstellengebäude auf den Beifahrersitz. Der Fahrer atmet mehrfach tief ein, lässt den Atem stoßweise entweichen, versucht seiner Anspannung entgegen zu wirken. Nachdenklich, als müsste er sich über die Richtigkeit seines Handelns vergewissern, betrachtet er den Rucksack, der sich in Farbe und Material vom Beifahrersitz kaum abhebt. Mit der rechten Hand zieht er ihn schließlich näher heran, bricht den Versuch, ihn hochzuheben, ab und schiebt ihn auf den Sitz zurück. Verunsichert fixiert er erneut die schwach erleuchtete Fensterfront, legt nach wenigen Sekunden den Kopf in den Nacken, starrt an die Deckenverkleidung, nähert sein Gesicht dem Innenspiegel und streicht sich in Zeitlupentempo eine Haarsträhne aus der Stirn.
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