Ich schaffe es zwar meine Tränen zurückzuhalten, allerdings nur bis zur nächsten Kreuzung. Kaum sehe ich mein zu Hause und meine Eltern nicht mehr, muss ich anfangen zu weinen. Ich werde meine Eltern und meinen Bruder schon sehr vermissen. Und als dann per SMS noch einige Verabschiedungen von weiteren Freunden eintreffen, bin ich völlig fertig mit den Nerven. Ein Glück, dass ich noch alleine im Shuttle sitze. Was der Fahrer denkt, ist mir auch egal. Wird der doch sicherlich öfter haben solche Abschiedsszenen. Gott sei Dank habe ich noch Zeit meine Gefühle wieder im Griff zu bekommen bis Michael und Andreas ebenfalls dazusteigen.
Die beiden stoßen gut eine halbe Stunde später an einem Rastplatz hinter Regensburg zu mir. Sie haben ihre Abschiedsszenen auch schon hinter sich.
Die Fahrt zum Münchner Flughafen kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Und mit jedem Kilometer steigt die Nervosität mehr und mehr. Bis auf das anfängliche „Hallo“ sind wir alle drei recht ruhig.
Der Fahrer fährt uns direkt an das Terminal der Lufthansa, mit welcher wir in wenigen Stunden Richtung Osten fliegen. Mit unserem Gepäck gehen wir zum Einchecken. Allerdings funktioniert das mittlerweile über Automaten.
„Also ich weiß ehrlich gesagt nicht wie das jetzt genau geht“, gebe ich zu. „Als ich das letzte Mal geflogen bin, bin ich einfach an den Schalter gegangen. Dann haben die das alles für mich erledigt.“
Auch Andreas weiß nicht genau Bescheid.
Michael kann uns aber helfen „Ich habe das schon mal gemacht. Am besten ich fang mal an und dann kriegen wir das schon hin.“
Im Nachhinein waren das Einchecken und die Kofferabgabe gar nicht so schwierig. Die Koffer sind weg und wir haben unsere Tickets.
Auch den Weg zum Gate meistern wir erfolgreich. Bei unserem Glück liegt dieses natürlich am letzten Eck des Flughafens. Mit noch ausreichend Zeit heißt es also nun warten. Das Boarding findet erst ab 21:15 Uhr statt, also noch gut eine Stunde Wartezeit.
Die Wartezeit vertreiben wir uns alle auf eine andere Art und Weise. Während ich mich mit meinem Reiseführer beschäftige, spielt Michael mit seinem Handy und Andreas vertritt sich noch die Beine, indem er an den nächstgelegenen Gates umherläuft. Noch ist die Stimmung etwas kühl und ruhig zwischen uns. Wir sprechen kaum ein Wort miteinander. Während sich die beiden Jungs schon ganz gut kennen, bin ich die "Neue" in der Runde. Natürlich kennen wir uns vom sehen, aber aufgrund der unterschiedlichen Studiengängen und Ausbildungsrichtungen, hatten wir bis jetzt nicht allzu viel miteinander zu tun. Ich hoffe, dass das in den kommenden Wochen noch besser wird. Aber ich denke mir, wenn wir die Nervosität verschwunden ist und ich die sie erst besser kennengelernt habe, wird das schon.
Schon erstaunlich wie sich alle drängen, wenn es kurz vor Boardingzeit ist. Eine riesige Schlange hat sich schon einige Minuten vor Beginn gebildet und jeder will der erste sein. Verstehe ich gar nicht. Sollte man doch meinen, dass wir alle in den Flieger kommen, bevor er startet. Michael, Andreas und ich lassen uns deswegen auch Zeit und sehen uns das Spektakel von unseren Plätzen an bis sich die Schlange um einiges verkürzt hat. Was soll ich mich jetzt schon in das Flugzeug sitzen. Schließlich darf ich das jetzt dann geschlagene zwölf Stunden. Muss ich wahrscheinlich auch nicht verstehen.
Vom Gate aus kann ich schon einen Blick auf den riesigen Vogel werfen, der uns in eine andere Welt bringen soll. Meine bisherigen Flüge gingen ja nur nach Wien und Malta. Da waren die Flieger um einiges kleiner als dieser Airbus.
Die Nervosität steigt immer mehr und ich denke mir „Noch hätte ich Zeit umzudrehen!“, was natürlich Quatsch ist.
Auch bei unseren Sitzplätzen müssen wir bis ans Ende des Fliegers. Wir sitzen alle drei nebeneinander: ich am Fenster, Michael direkt neben mir und Andreas auf der anderen Seite des Ganges. Das Handgepäck verstauen wir über unseren Köpfen. Zum Zeitvertreib lasse ich ein Buch bei mir. Allerdings werde ich das wohl nicht brauchen, wenn ich das Medienangebot so sehe: Filme und Serien aus allen möglichen Genres, Musik und Hörbücher und sogar Spiele. Zudem kann ich jederzeit die Flugstrecke sehen und verfolgen wo wir uns gerade befinden. So werden die zwölf Stunden schon vorüber gehen.
Passend zum Ende von „Iron Man 2“ kommt das Essen: Salat zur Vorspeise, als Hauptmenü habe ich Reis und Fleisch gewählt und einen Quark mit Früchten als Nachspeise. Für Flugzeugessen schmeckt es auch gar nicht mal so schlecht. Ich mache mir noch einmal Gedanken bezüglich des Essens in den nächsten Monaten.
Während sich der Zauberkünstler Oscar mit seinen Begleitern, dem geflügelten und sprechenden Affen Finley und dem Porzellanmädchen, durch das zauberhafte Land Oz schlägt und die böse Hexe bekämpfen will, schlafe ich irgendwo über dem östlichen Teil Europas ein.
Sonntag - 30. Juni
Von richtigem Schlaf kann man ja gar nicht sprechen. Ein paar Stündchen bin ich immer wieder ein wenig eingedöst. Wie soll man auch in einem Flieger entspannt schlafen, das ist einfach nicht gemütlich. Bis zur Ankunft in Shanghai sind es nun noch rund zweieinhalb Stunden. Irgendwann muss ich wohl den Film angehalten haben. Denn als ich den Bildschirm wieder anschalte, setzt der Film mittendrin fort. In Ruhe kann ich mir jetzt also noch ansehen, wie das Land Oz von der bösen Hexe befreit wird.
Dabei „genieße“ ich dann mein Frühstück, zu dem schon wieder Reis gehört. Reis zum Frühstück? Ich bin und war ja noch nie wirklich Fan von Reis. Am Abend ist das zwar schon ok, aber doch nicht zum Frühstück! Reis werde ich aber wohl noch viel bekommen die nächsten Wochen …
Die letzte halbe Stunde des Flugs verbringe ich damit aus dem Fenster zu schauen. Dadurch, dass der Flieger erst einmal über Shanghai hinwegfliegt, bevor wir zum Flughafen gelangen, kann ich schon mal die Skyline von Shanghai betrachten. Einige dieser Wolkenkratzer habe ich schon in meinem Reiseführer gesehen. Und im Gegensatz zu den Hochhäusern, die ich bis jetzt in meinem Leben gesehen habe, sind das hier wirklich Hochhäuser. Das Licht der Nachmittagssonne spiegelt sich in den Fassaden der Gebäude und im Speziellen in den rötlichen Kugeln des Fernsehturms der Stadt, dem Oriental Pearl Tower .
Mit dem Aufsetzen des Fliegers auf der Landebahn freue ich mich immer mehr darauf endlich wieder aufstehen und mir wieder die Beine vertreten zu dürfen. Michael wollte ich einfach nicht aufwecken, nur um mal ein paar Schritte zu gehen.
Doch wir fahren noch minutenlang bis zu unserem Gate. Und was für eine Überraschung … auch dieses befindet sich schon wieder am letzten Eck des Flughafens. Allerdings tut das Laufen jetzt richtig gut.
In China gelandet müssen wir jetzt nur noch dort einreisen. Die Passkontrolle steht also an. Doch so einfach ist das gar nicht. Denn die Kamera, die mein Gesicht mit meinem Pass vergleichen soll, erkennt mich nicht auf das erste Mal. Die beiden Jungs sind schon durch und spötteln „Du siehst aber auch nicht mehr ganz so aus wie auf deinem Passbild. Unausgeschlafen und knittrig.“
Ich muss ihnen leider Recht geben. Auf dem Foto sehe ich wirklich frischer aus. Beim dritten Versuch klappt es aber und ich kann auch weiter. Bei dem Beamten, der mir dann meinen Stempel in den Reisepass gibt, geht es dann allerdings auch schneller.
Mittlerweile ist unser Gepäck auch schon angekommen, weshalb wir nicht lange auf unsere Koffer warten müssen. Jedes Mal habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich am Gepäckband stehe und auf meinen Koffer warten muss. Aber auch dieses Mal habe ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht.
Im Ankunftsbereich sollen wir abgeholt werden. Dort stehen haufenweise Personen mit Schildern, die ihre Fahrgäste suchen. Nach einigem Suchen werden wir auch fündig, wir finden unsere Namen auf einem der Zettel.
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