1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 „Künftig mag sie alle Kuchen in tausend Stücke zerschneiden und alle tausend Stücke unter die Kleinen austeilen,“
„Und wozu muss das arme Ding nun im Kloster sein! Es mag wohl eine Sünde sein, dass ich so was fragen tue, aber hochwürdigster Herr Bischof, wir sind allzumal Sünder vor dem Herrn, und fromm sein, und Gutes tun, und die Kranken besuchen, und die Kinder lehren, das könnte sie doch auch bei uns. Das denk ich so manchmal. Ja du lieber Himmel! Und der Hans Jochem, wann ich daran denke, da rührt sich's mir im Leibe.“
„Der Herr wird in seiner Weisheit auch einen Platz für ihn finden. Mein Bruder, der Abt, hat ihn, wie Euch wohl bekannt, mit nach Wittenberg genommen, wo wir ihn zurückließen. Da kann er disputieren.“
„Ja, ja, da kann er disputieren.“
„Da findet er seinen Mann, und es schadet auch nichts, wenn er in seiner Weise den Mönch ein wenig hart durchschüttelt. Da ist er weit von uns, da lassen wir ihn und kümmern uns weiter nicht; wie denn überhaupt, meine liebe Frau von Bredow, der Schöpfer es weislich so eingerichtet hat, dass wir uns nicht um alles kümmern sollen. Der Menschen sind so viele. Hat jeder sein Päckchen zu tragen, nicht wahr? Wozu will er sich um das Pack anderer kümmern.“
Der gute Prälat hatte wohl nicht daran gedacht, dass er der guten Frau durch diese Reden keinen Trost bereite. Es kam ihr feucht über die Augen, und sie nannte mit einem tiefen Seufzer und einem Blick gen Himmel den Namen ihres Gottfried.
„Gott hat ihn abgerufen, als seine Zeit um war“, sagte der Bischof.
„Das gewiss, Hochwürdigster, aber wenn Ihr wüsstet“.
Entweder wusste der Bischof, oder verspürte keine Lust, es zu hören.
„Woran ist denn eigentlich der liebe Herr Gottfried gestorben; ich meine, was die Doktoren als Ursache angaben?“ setzte er schnell hinzu.
„Ach, hochwürdigster Herr, wenn man's recht nimmt, er ist eigentlich am Denken gestorben. Das war zu viel für ihn; er war drauf nicht zugekommen in seinen jungen Jahren, und nun sollte es mit einem Male losgehen, als der Leib alt war und die Glieder steif. Götz, sagte ich, wozu quälst Du Dich? Der liebe Gott hat die Menschen unterschiedlich gemacht, die einen zum Arbeiten, die anderen zum Denken, und wieder andere zum Nichtstun, 's ist so, also muss es Gottes Wille so sein. Erst wollt' er's abstreiten, dann musst er's doch zugeben. Aber nun könnt Ihr's glauben, nun quält' er sich zu denken, warum's so sei? Und wenn er da so saß, sein ehrliches Gesicht in beiden Händen und die Ellenbogen auf dem Tische, stundenlang saß er, und Bier und Wein wollten ihm nicht schmecken, und dann kam Hans Jochem zu und fuhr mit den hageren Armen aus den weiten Ärmeln, und stöhnte und rollte die Augen und schrie, dass die Tauben vom Dach flatterten. Manches Mal, mit Permiss zu sagen, ob er schon ein geistlich Kleid anhatte, hab' ich ihn beim Arm genommen und zur Thür 'raus geführt, und manches Mal war's auch meinem Götz recht lieb; denn er meinte, Jochem schütte zu viel Gedanken mit einem Mal aus, und da möchte was verloren gehen.“
Der Bischof machte eine Bewegung mit dem Finger nach der Stirn, Frau Brigitte verstand die Frage, die er nur halb aussprach.
„Dass Gott mich bewahre, Herr Bischof, und meinen seligen Gottfried in Ehren, es waren alles klare christliche Gedanken, nur wie gesagt, es war zu viel mit einem Male, darum konnte er sie nicht klein kriegen. Warum Gott so viele Menschen zum Nichtstun geschaffen hätte, das konnte er nicht aus den Gliedern 'rauskriegen; das quälte ihn auf die Letzt noch.“
„Der liebe Mann! Gott wird ihm seinen guten Willen schon anrechnen.“
„Ist auch in der Hoffnung von dannen gegangen, als ein gläubiger Christ. Aber, wenn er auf alle die zu sprechen und rechnen kam, die nichts täten und doch lebten, da rief er: Gott beschert's über Nacht. Da lag's manches Mal auf ihm wie 'ne Wolke, und ließ sich Bücher aus dem Kloster bringen, darin verzeichnet und abgeschildert stehen alle die Nonnen und Mönche in ihren Habitern, die auf der Welt sind, und dann rechnete er Zahlen zusammen, und da schlug er einmal übers andere die Hände übern Kopf und rief: Die tun alle nichts und leben doch. Wovon leben sie denn? Und wenn dann der Knecht Ruprecht antwortete: Von dem, was die anderen arbeiten und schaffen, da schlug er wieder die Hände zusammen.“
Der Bischof strich über sein Kinn: „Es ist nicht abzustreiten, dass es eine hübsche Anzahl, vielleicht zu viel Bettelmönche gibt; indessen, was ist zu viel, was zu wenig vor dem Auge des Herrn? Können wir sagen: Es sind zu viel Sandkörner am Meer, zu viel Blätter im Walde?“
„Ach, er meinte auch nicht die Mönche allein, auch die Thumbherren und Kreuzherren und Kapitulare und Kaplane und Pfarrherren, die alle vom Müßiggang lebten, sagte er.“
„Vielleicht waren ihm auch zu viel Bischöfe?“
„Ach, Hochwürdigster! Wenn er aufs Kapitel kam, nämlich von den Tagedieben, da wollt's gar nicht ausreißen. Das blieb auch nicht bei den Geistlichen stehen. Wer sollte da nicht dem lieben Gott das Sonnenlicht stehlen! Aber Götz sagte ich, 's ist doch nun mal so. Es sollte aber nicht so sein, sagte er. Ich sagte: 's sind doch nun nicht alle drauf zugekommen, nämlich einen hat Gott so gemacht und den anderen so, das sagte ich, damit er sich zur Ruhe gäbe und die Kinder in Ruhe ließe. Der Hans Jochem hat immer was gedacht, sagte ich, und was ist aus ihm worden, und wer hat's an der Eva gespürt und wie ist sie angesehen bei Hofe, sie nennen sie 'ne kluge Frau, und der Kurfürst selber unterhält sich gern mit ihr. Es half nichts. Hatte ich ihn ein bisschen zur Ruhe, dann kam er wieder auf die Wüste zu sprechen – nämlich als es schon zum Schlimmen ging, – und wenn er darauf zu sprechen kam, und auf den verschütteten Brunnen, da war ihm nicht beizukommen. Da meinte er, wir alle hätten eine Wüste hinter uns, Menschen und Tiere und Länder und Reiche, und was hätten wir da zu arbeiten, dass wir's wieder gut machten, und aller Sonnenschein, den die Tagediebe einschlucken, der möchte kaum ausreichen, so man ihn zusammenfasste, dass die Wüste hinter uns wieder grün würde. Manches Mal fand ich ihn auch, da weinte er wie ein Kind. Sagte: wenn der Tod ihn holte, was denn von ihm über bleibe? Ja, ich hatte gut reden: Mann, bleiben denn nicht Deine Kinder und Deiner Kinder Kinder? Die wachsen so hübsch auf, und Dein guter Name! Da sah er mich ganz eigen an und schüttelte den Kopf: Wer weiß davon noch, wenn das Gras über mir wächst? Ich, sagte ich, nach hundert Jahren sprechen sie wohl noch von Dir, aber nach dreihundert?, fragte er. Wer weiß, sagte ich, 's ist doch wohl noch einer, der von Dir erzählt. Und was könnt' er von mir erzählen, hat er gelächelt. Du lieber Gott, sagte ich, wenn man von allen noch reden sollte, die mal gelebt haben, dann risse es ja gar nicht ab. Das wäre just, als wenn alle Toten wieder lebendig würden. Wir hätten keinen Platz hier. Da ward er denn still und lächelte“.
„Und ist gottselig gestorben“, sagte der Bischof, sehr zufrieden, dass er still geworden.
„Gottselig. Es war, als ob die Englein durchs Fenster flogen, es war Frühjahr, die Schwalben kamen zurück, eine pickte an die Scheibe, da sah er hin, und lächelte, und da“.
Die gute Frau verhüllte ihre Augen, und das war für den Bischof gut, denn wenn sie nicht die Schürze vorm Gesicht gehalten, hätte er nicht mit Ehren den Ehren- und Abschiedstrunk, der jetzt herumgereicht ward, leeren können. Vor einem Morgenritt im Winter ist das für jedermann gut; ob geistlich ober weltlich.
Der Bischof drückte der Wirtin die Hand: „Wie Euer Herr in Frieden von dannen schied und drüben in Frieden ruht, so schenke er uns allen seinen Frieden hier. Aber“ setzte er hinzu, ihre Hände klopfend „von dem Ritter Gottfried wird auch auf dieser Erde noch etwas übrig bleiben.“
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