Schlaftrunken stand ich an der Rezeption, wo ein würdevoll aussehender Portier mich aufforderte, ihm mein Handy auszuhändigen. Während meines Aufenthalts, erklärte er und zog bedauernd die Augenbrauen hoch, müsste ich darauf verzichten. Für mich Online-Junkie war das ein schwerer Schlag – ohne mein iPhone halte ich es normalerweise keine fünf Minuten aus. Aber ich fühlte mich noch so benommen, dass ich mich nicht einmal wehrte.
Dafür weinte ich innerlich. Wie soll ich wissen, ob ein Essen auch tatsächlich lecker ist, wenn ich keine Fotos davon auf Facebook posten kann? Kann ich ohne die Likes der anderen meinen Espresso im Straßencafé wirklich genießen? Wie soll ich ohne meine virtuellen Freunde entscheiden, welchen Film ich mir im Kino ansehen soll? Das würde eine harte Zeit werden.
Aber gut, ich dachte an die Kohle und biss die Zähne zusammen. Mir fiel Mias Warnung ein, dass ich als Lustsklave verkauft werden könnte, und fand sie auf einmal nicht mehr so lustig. Natürlich kam mir keinen Augenblick in den Sinn, dass irgendjemand so etwas vorhatte, aber was, wenn mir wirklich etwas passierte? Es wusste ja niemand, wo ich war oder mit wem ich mich da eingelassen hatte.
Der Portier hüstelte. »Das Telefon auf Ihrem Zimmer ist übrigens nur für die hausinterne Kommunikation geeignet.« Ich hatte beinahe vergessen, dass ich noch an der Rezeption stand.
Am liebsten hätte ich ihm die polierte Messingglocke auf den Schädel geschlagen, mir mein Handy geschnappt und wäre nach Hause gefahren, aber … richtig: Ich dachte an das Geld. Also fragte ich: »Und wie soll ich zu Hause anrufen?«
»Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Die Maßnahmen mögen Ihnen extrem scheinen, aber die Gründe für dafür wird man Ihnen beizeiten mitteilen. Bis dahin möchte ich Sie um Ihr Verständnis bitten.«
Ich wollte eine freche Erwiderung knurren, aber der Mann sah so vornehm aus, dass ich sie mir verkniff. Okay, die Wahrheit ist, dass mir keine Antwort eingefallen ist. Ich bin Texter, wenn ich länger nachdenke, fällt mir fast immer etwas sehr Schlagfertiges ein, das ich hätte sagen sollen. Aber eben erst eine halbe Stunde später. Ich wäre ein lausiger Stand-Up-Comedian.
War ich beunruhigt? Eigentlich hätte ich es sein sollen. Aber der Portier strahlte eine derartige Ruhe aus, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass mir hier etwas geschehen könnte.
Wenn mich jemand töten wollte, würde er mich dazu kaum mit dem Learjet nach Island fliegen und in einem historischen Luxushotel unterbringen. Aber sicher war das auch nicht. Vielleicht wollte mein Feind mich ja in einen Vulkan werfen oder in einer heißen Quelle garkochen. Oder ich würde dem Cthulhu geopfert werden.
Ich überlegte rasch, ob ich Feinde hatte, die mich vielleicht umbringen wollten. Ich kam zu dem Schluss, dass es sicher ein paar Typen gab, die mich nicht leiden konnten, aber ich vermochte mir nicht vorzustellen, dass die sich irgendetwas Originelles einfallen lassen würden, um mich loszuwerden. Ein Flug nach Island würde ihre Fantasie bereits bei Weitem übersteigen.
Das Hotel war alt, aber, wie es aussah, vor kurzem sehr gekonnt und zurückhaltend renoviert worden. Viel poliertes Messing, dicke, rote Teppiche und geruhsame Aufzüge, die ein mechanisches »Ding« hören ließen, wenn sie ein Stockwerk erreichten. Sehr nett, ich liebe so etwas. Man erwartete jeden Augenblick, Cary Grant oder Audrey Hepburn zu begegnen.
Außer mir waren offensichtlich viele andere Gäste gerade angekommen, viele schoben oder zogen Koffer und sahen sich verwirrt um. Ein paar der Gesichter kamen mir bei näherer Betrachtung bekannt vor, ich konnte sie nur nicht zuordnen. Ich denke aber, eher nicht aus der Werbebranche. Die meisten schienen ebenso ratlos zu sein wie ich, andere wirkten entschlossener, aber vielleicht versteckten sie ihre Hilflosigkeit nur besser. Immerhin war ich nicht der einzige Idiot hier. Die wissen auch nicht, was sie hier sollen, schloss ich messerscharf und war ein wenig beruhigt. Obwohl ich deswegen auch beunruhigt hätte sein können.
Was auch immer hier im Gange war, jemand hatte es sich viel Geld kosten lassen. Hatte unser Auftraggeber etwa das ganze Hotel gebucht? Diese Spinner. Diese reichen, großzügigen Spinner. So langsam wurde ich wirklich neugierig, um was es hier ging.
Für das Abendessen, »20 Uhr, seien Sie pünktlich«, wie der Portier mich beim Check-in noch väterlich-streng ermahnt hatte, wählte ich meinen Standard-Agentur-Look. Turnschuhe, Blue-Jeans, ein nicht zu neu aussehendes T-Shirt mit einem auffälligen Aufdruck (in diesem Fall Duffy Duck) und darüber ein Sakko. Damit macht man in einer Werbeagentur nie etwas falsch.
Hier aber schon, denn außer mir trugen alle Herren mindestens einen dunklen Anzug, einige sogar Smoking. Ich konnte vermutlich von Glück reden, dass ich nicht nach Hause geschickt wurde, weil ich keine Krawatte trug. Die – leider etwas dünn gesäten – Damen trugen teils festliche Abendkleider, teils elegante Business-Kostüme. So ähnlich stelle ich mir die Atmosphäre bei der Verleihung der Nobelpreise vor, nur dass die schwedische Königin fehlte. Zumindest hatte ich sie noch nicht gesehen.
Während des Essens unterhielt ich mich mit meinem Tischnachbarn. Er war ein Forscher aus den USA und arbeitete in einem Institut; es ging um irgendetwas mit Medizin, so ganz habe ich es nicht verstanden. Immer, wenn ich sicher war, ich hätte begriffen, was er eigentlich machte und es ihm stolz mitteilte, korrigierte er mich lächelnd. Naja, so sehr hatte es mich ohnehin nicht interessiert. Wie es aussah, hatte er ebenfalls keine Ahnung, warum er hier war. Er hatte ein Symposium erwartet und war einigermaßen perplex, dass er neben einem Werbetexter saß. Ich will ihm seinen Gesichtsausdruck zumindest mal als Verwirrung durchgehen lassen und nicht als Enttäuschung. Oder Empörung.
Mir war zumindest klar, dass ich nicht mit meinem forschenden Tischnachbarn an einer Werbekampagne arbeiten würde. Einer von uns beiden war ziemlich sicher fehl am Platze. Ich ging davon aus, dass ich das war. War ich am Ende nur aufgrund einer Verwechslung hier? Stefan Berger ist ja auch wirklich kein besonders ausgefallener Name. Meine Träume von Reichtum und Wohlstand schmolzen wie Schnee im Juli und in Gedanken sah ich mich schon um meinen Tagessatz prozessieren. Vielleicht hätte ich doch diese Berufsrechtsschutzversicherung abschließen sollen, von der ich alle 14 Tage eine Werbemail in meiner Inbox fand.
Nach dem Abendessen sollten wir endlich erfahren, warum wir hier waren. Ein schlanker, dunkelhaariger Mann betrat die kleine Bühne. Lässig hielt er ein schnurloses Mikrofon in der Hand und stellte sich als Dr. Anderson vor. Einer von diesen Typen, die unverschämt gut in ihren unverschämt teuren Anzügen aussehen. Beneidenswert, denn wenn ich Anzug trage, dann fühle ich mich nicht nur wie bei meiner Konfirmation, ich sehe auch aus wie ein 14-jähriger, völlig verunsicherter Teenager.
Zum Glück kann ich ganz gut Englisch, aber ich bemerkte, dass ein paar der anderen Gäste Kopfhörer aufsetzten, die unter dem Tisch befestigt waren. Simultanübersetzer? Das ist ja wie bei der UN-Vollversammlung. Die hatten wirklich an alles gedacht.
Dann ging’s endlich zur Sache. »Ladies und Gentlemen, Sie wundern sich natürlich, warum wir Sie hierher gebeten haben.« Er lächelte gewinnend, ich hatte das Gefühl, dass er die Situation in vollen Zügen genoss. Und wir hingen ja auch an seinen Lippen. »Bei dieser Gelegenheit erinnere ich Sie daran, dass alles, was Sie im Zusammenhang mit diesem Projekt erfahren, strengster Geheimhaltung unterliegt. Wenn auch nur ein Wort davon nach außen dringt, zahlen Sie die Vertragsstrafe. Bis zum letzten Cent. Und nicht nur das: Wir machen Sie fertig. « Er lächelte und sah seine Zuhörer an. Ich war angesichts der unverhohlenen Drohung unangenehm berührt und ich sah auch andere nervös mit den Füßen scharren und auf ihren Stühlen herumrutschen.
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