Von Hartwood Church marschierten wir über Weaversville, Manassas Junction, Centreville und Gum Springs nach dem Goose Creek, einem Nebenflusse des Potomac River. Wir machten am 17. Juni einige Kilometer vor der Mündung jenes Flusses und etwa zehn Kilometer von Leesburg Halt und blieben sechs Tage an diesem Platze. Es schien noch immer unentschieden zu sein, ob wir dem Feinde in Virginia oder am anderen Ufer des Potomac River begegnen würden; die Frage wurde indes bald gelöst, indem wir Befehl erhielten, den Potomac River bei Edward's Ferry zu überschreiten.
An dem prachtvollen Morgen des 24. Juni betraten wir das Maryland-Ufer, "Gottes Land", nach so vielen Kreuz-und-Quer-Zügen in dem alten, verrotteten Virginia. Der Eindruck, den die wohlangebauten Gärten, die grünen Fluren und die von Wohlstand zeugenden Gebäude der Landbesitzer Marylands auf uns machten, würde uns unvergesslich sein, die wir seit so langer Zeit daran gewöhnt waren, nichts zu erblicken, als langweilige, traurige Kiefernwälder, unfruchtbare, ausgesogene Felder und alte, verfallene Wohnstätten. Wo immer wir in Nord-Virginia waren, sahen wir Stillstand anstatt Fortschritt, Verfall anstatt Erneuerung, den Fluch der Sklaverei anstatt den Segnungen der Freiheit. Alles erschien alt und monoton; Grabesruhe herrschte ringsum in dem traurigen Lande; es war eine Stätte der Toten, ein Platz der Verdammnis, dessen nächtliche Stille nur unterbrochen wurde durch den eintönigen Klageruf der Nachtschwalbe. In der roten Erde dieses stygischen Landes modern die Gebeine von Tausenden unserer Waffengenossen, welche Heimat, Wohlstand und Glück verließen, um die Republik vor ihrem elendesten Feinde zu sichern.
Von Edward's Ferry führte uns der Weg durch eine reiche Gegend nach Jefferson, von da nach Middletown, Frederick und Emmitsburg. Wir kamen am 29. Juni an letztgenanntem Orte an und hielten daselbst eine kurze Rast. Unser Lagerplatz war in der unmittelbaren Nähe des Nonnenklosters, eines großen Gebäudes mit vielen Fenstern und Seiten- und Hintertürchen. Prachtvolle Gärten umgaben diesen stattlichen Palast und die Seitengebäude, in deren einem General Schurz sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Der Superior der Anstalt, ein Europäer mit den Manieren eines Weltmannes und jener feinen Ironie, welche man häufig bei höhergestellten Priestern der katholischen Kirche findet, benahm sich auf das Zuvorkommendste gegen den General und gab die Versicherung, dass er, wenn eine Schlacht in der Nähe stattfinden sollte, alle Räumlichkeiten zur Aufnahme von Verwundeten hergeben werde; es sei hinlänglicher Raum vorhanden für eintausend Mann. Abends ließ Schurz das Musikcorps des 45th New York Regiments kommen, welches vor dem Kloster seine wohleingeübten Märsche, Lieder und Polkas spielte. Der Superior, welcher in seiner schwarzen Tracht zugegen war, wurde von Schurz gefragt, ob die Musik den Nonnen gefallen würde. Ironisch lächelnd bemerkte er: "Es wird ihnen gefallen, aber sie werden sich's nicht anmerken lassen."
Am 30. Juni kam der Befehl, dass wir am anderen Morgen in der Richtung von Gettysburg aufbrechen sollten. Am 1. Juli, morgens gegen 07.00 Uhr, marschierten wir ab. Nachdem wir einige Kilometer auf geebneten und ungeebneten Wegen, über Wiesen und Zäune, durch kleine Bäche und Moräste, welche sich durch den anhaltenden Regen am vorhergegangenen Tage gebildet hatten, marschiert waren, kam der Befehl aus Gettysburg, mit möglichster Eile herbeizukommen. Jetzt begann ein Marsch, der zu den beschwerlichsten und ermüdendsten gehörte, die wir jemals gemacht hatten. Wir erreichten bald die gebirgige Gegend und erstiegen im Eilmarsch die felsigen Berge. Der Regen fiel in Strömen und die Soldaten vermochten kaum, weiter voranzueilen, aber neue Befehle drängten zu größter Eile, denn die denkwürdige Schlacht bei Gettysburg hatte bereits begonnen. Mit Anstrengung aller Kräfte erreichten wir endlich die Stadt, durch deren Straßen wir im Laufschritt nach einem jenseits der Stadt gelegenen offenen Felde eilten, wo sofort die Linien formiert wurden.
Das I. Armeecorps war bereits zu unserer Linken in voller Aktivität und bald waren auch wir im Feuer. Das I. und XI. Armeecorps, zusammen vielleicht 12,000 bis 13,000 Mann, waren zu schwach gegen die unter Ewells Kommando stehenden Rebellen und so kam es, dass wir umzingelt und nach der Stadt zurückgetrieben wurden. Bei diesem Rückzuge wurden viele gefangen genommen und auch der Schreiber dieser Zeilen fiel nebst einem weiteren Offizier und 46 Soldaten von seinem Regimente in die Hände der Rebellen. Mit diesem Augenblicke begann eine Zeit der Qual und des Leidens, an welche alle Beteiligten, so lange sie leben, mit Schaudern zurückdenken werden.
Nachdem ich gefangen genommen und bereits auf dem Wege nach dem Lager der Rebellen war, gestattete mir der Rebellenoffizier, welcher mich gefangen genommen hatte, unter Begleitung einer Wache den Platz noch einmal zu besuchen, auf welchem unser Regiment noch vor wenigen Minuten dem Feinde gegenübergestanden hatte. Ich fand dort manchen Freund tot oder verwundet. Glücklich waren im Vergleich zu den Verwundeten die Toten. Wenn eine Kugel treffen soll, dann möge sie Kopf oder Herz durchbohren und wir kehren zur ewigen Ruhe zurück, aber die Leiden der meisten Verwundeten sind grässlich und der Anblick derselben ist ergreifend. Mancher Verwundete rief mich an, ohne dass ich ihm Hilfe gewähren konnte; mehrere riefen meinen Namen, aber ihre Gesichter waren so mit Blut bedeckt, dass ich die Personen nicht erkennen konnte.
Nach dieser kurzen und traurigen Wanderung ging ich in Begleitung eines jungen Rebellen-Lieutenants, welchem der Krieg bis zu einem gewissen Grade verleidet war und welcher von dem Fragment einer Granate einen kleinen Denkzettel am Bein erhalten hatte, hinüber zum Schlachtfelde der Rebellen, wo ich ähnliche Szenen wie auf dem unsrigen sah, nur war die Zahl der Getöteten größer als die der Verwundeten und die Gefallenen waren meist durch den Kopf oder durch die Brust geschossen, ein Beweis, dass unsere Soldaten gut gezielt hatten. Jener Lieutenant versuchte, wie vorher mehrere andere Rebellenoffiziere, von mir zu erfahren, wie stark unsere Streitmacht sei, auf welchem Wege wir gekommen waren, ob bereits die ganze Army of the Potomac angelangt sei, wer der Nachfolger des früheren Oberkommandeurs Hooker sei und so weiter, aber natürlich wurde die Neugierde der ehrenwerten Herren nicht befriedigt. Auch wünschten sie zu wissen, wie weit Baltimore von Gettysburg entfernt sei, denn die Meisten glaubten zuversichtlich, dass ihr angebeteter General Lee sie im Triumphe nach Baltimore führen werde. Andere fragten vielleicht aus Besorgnis, weil sie glaubten, dass, wenn die Strecke noch weit sei, noch manche Schlacht geschlagen werden müsse, ehe sie von Baltimore aus die Friedensbedingungen diktieren könnten.
Auf beiden Seiten des Schlachtfeldes hatte ich Gelegenheit, mich von den bekannten diebischen Neigungen der Rebellensoldaten zu überzeugen. Wo immer sie konnten, plünderten sie die Gefallenen aus; einen Lieutenant von meinem Regiment, der an meiner Seite fiel, hatten sie schmählich beraubt und selbst ihre eigenen Toten ließen sie nicht in Ruhe. Diebstahl in jeder Form gehörte zu den "Kardinaltugenden" der Rebellen. Mit Diebereien begannen sie und der letzte Akt ihres Kongresses verordnete einen Diebstahl, was die Bankiers von Richmond am besten verstehen. [Anm. d. Hrsg.: Domschcke bezieht sich hier wohl auf die letzten Sitzungen des Konföderierten Kongresses im März 1865, die von zunehmend verzweifelten Bemühungen geprägt waren, Geldmittel zur weiteren Finanzierung des Krieges aufzutreiben und zugleich die Gehälter diverser Führungspositionen anhoben.]
Nachdem ich in der Nähe des Rebellenschlachtfeldes noch einige unserer Verwundeten gesehen und gesprochen hatte, wurde ich von drei Rebellensoldaten zu dem Lager der Gefangenen eskortiert, welches sich auf einer Wiese nahe einer Farm befand. Ich traf dort mehrere Tausende meiner Leidensgenossen. Am anderen Morgen wurden die Offiziere von den Soldaten getrennt und ein Rebellen-General machte uns die Eröffnung, dass General Lee bereit sei, uns auf Ehrenwort zu entlassen und nach Carlisle zu schicken, wo wir unsere Linien passieren könnten. Major-General Halleck hatte aber eine Order erlassen, welche derartige Entlassungen verbot und als Plätze für den Gefangenenaustausch allein City Point und Vicksburg bestimmte. Was die Soldaten anbelangte, so musste deren Entlassungszertifikat von einem Offizier gegengezeichnet sein, aber jene Order verbot diese Gegenzeichnungen, sodass aus der Entlassung nichts werden konnte und sich uns bereits an diesem Tage die traurige Aussicht eröffnete, nach Richmond transportiert zu werden, wenn nicht noch General Meade, vom Glücke begünstigt, die Schlacht gewinnen, den Feind verfolgen und uns befreien würde.
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