Als N 1861 seine Infektion mit dessen maßlosen Texten, vorallem den 1858 ins Deutsche übersetzten „Essays“
erlebte, war dieser weit darüber hinausgereift und in weit maßvollere Ansichten und Darstellungen geraten.
Abbildung aus Wikipedia
1862 ebenfalls verschlungen und in- und auswendig, vor und zurück in sich aufgenommen. Weitere Bände von Emerson hatten wegen dem grundsätzlich anderen, danach nämlich nüchterneren, alle Maßlosigkeiten vermeidenden Ton der darin angeschlagen wurde, bei N wenig Gefallen gefunden und blieben weitgehend unbeachtet. Die beiden genannten Bücher aber sollten - dabei mit absoluter Vorrangstellung der „Essays“! - für Ns ganzes Leben wie sich zeigen wird! - zu einer Art Standardliteratur, einem Lebenselixier und zu so etwas wie seiner „Bibel“ werden. Er sah darin eine Form von allerhöchstem „Schulgesetzt“, einem „ Lebens gesetzt“ geradezu, das ihn - in fest vorgeschriebenen Bahnen! - in die wie er meinte höchsten Sphären menschlicher Existenz hinein „leiten“ sollte.
Der sich durchaus kritisch verhalten könnende und mit großem Abstand umfassendste N-Biograph - der dennoch das Kunststück bewies, unbeirrter N-Verherrlicher zu bleiben! - Paul Janz - erwähnte „Emerson“ in seiner dreibändigen, rund 2000 Seiten umfassenden Beschreibung von Ns Leben, Werden und Werk - einschließlich in Fußnoten! - gerade Mal auf 12 Seiten! Das ist deutlich weniger oft, als N selber solches mit Emerson tat; dabei hatte er selbst doch stets auf möglichst weit getriebene Geheimhaltung in Angelegenheiten der Existenz und Bedeutung Emersons für sein eigenes Lebenskonzept achtgegeben, was noch zu genaueren Betrachtungen und ausführlichen Kommentaren führen wird. Hier, zur Zeit seiner Sommerreise jedoch, steht N die bei Janz unbeachtet gebliebene, sich aber als unheilbar erweisen sollende Emerson-Infektion unmittelbar bevor! Er lebte nicht mehr nur in Erwartung und Vorbereitung seiner Sommerreise sondern war schon unterwegs - hin zu ihm ! - und damit zur Offenbarung seines Lebens, zu der unersetzbaren Erkenntnis, wozu Er hienieden bestimmt sein müsse! - Nicht nur zu einem „Luther“, wie der „liebenswürdigste und sorgsamste“ Verwandte der Mutter vor nunmehr fünf Jahren vorauszusehen gewagt hatte, sondern zu viel, - zu weit, weit mehr!
Wie lange und anhand welcher „Reiseführer“ die konkrete Vorbereitungszeit auf „Nürnberg“ gedauert hatte, lässt sich nicht mehr ermessen, weil schwer gegeneinander abgrenzbar bleibt, was in dem Notizbuch vorbereitende und was tatsächlich während der Reise oder gar danach erst entstandene Einträge sind. Das Folgende aber ist nun eindeutig Bericht über Reiseerlebnisse und Geschautes, also vor Ort Erlebtes ! Wenn auch alles von ahnungsweise möglichen Emotionen so frei geblieben ist, wie heutzutage ein klinisch keimfreies Operations-Besteck. Die ab hier dem Büchlein anvertrauten Einträge verraten mit keinem Wort etwas darüber, dass N inzwischen „gesehen“ hatte und davon entsprechend „beeindruckt“ worden wäre. Es gibt, selten zwar, aber doch vorkommende „Extraworte“, die hinausweisen über die allernacktesten aller nackten Fakten:
„Nachtreise. Hof [das lag als Bahnstation eindeutig vor Nürnberg auf dem Weg, den N kam!]. Überfüllung. Unordnung. Unwohl. Bamberg. Besser. Nürnberg. Reisegesellschaft. 2 Sänger 1 dicker Herr, ein stummer Stiller, die Dame mit naseblutendem Kind usw. Ungemütlichkeit“ das letzte Wort war zusammen mit der „Gemütlichkeit“ das für N zu jener Zeit wichtigste Lieblingswort zur Beschreibung des jeweiligen Zustandes seiner Seele.
Diese Eintragungen vermitteln den Eindruck schnappschussartig fixierter, allenfalls schwarzweißer „Momentaufnahmen“ für später vorzunehmende, farbig auszugestaltende „literarische Nutzungen“ oder etwas in der Art. - Weiter geht es mit: „- erster Eindruck der Stadt. Schmids. Höflichkeit der Nürnberger. Ausgehen. Allgemeine Bemerkungen. Festhalle. Probe“ gefolgt von Unleserlichem.
Auf eine Teilnahme Ns - oder doch nur Anwesenheit? - am zweiten „Allgemeinen Deutschen Sängerfest“ vom 21. bis 24. Juli 1861 weisen nur die kargen 5 Buchstaben „Probe“ hin. Unter der Mitwirkung von 283 Gesangsvereinen mit insgesamt etwa 20.000 Sängern - bei ca. 55.000 Einwohnern - verteilten sich die Aufführungen über etliche „Bühnen“ und Veranstaltungsorte der Stadt. Diese Großveranstaltung war eine der wichtigsten politischen Massenveranstaltungen des industriell aufstrebenden Nürnberg im 19. Jahrhundert! Dabei wurde der großen Vergangenheit Nürnbergs gedacht und auch der Wunsch nach der deutschen Einigung und Aufhebung der Kleinstaaterei proklamiert! Zu den Höhepunkten zählte der am 22. Juli über den Hauptmarkt ziehende Sängerfestzug. N aber nahm kaum erkennbar Bezug auf das enorme Ereignis. Er führte dort vor allem sein „Eigenleben“ und nahm von seiner Umwelt außerhalb seiner eigenen Interessenlage und ohne über diese nennenswert hinauszublicken nicht viel wahr. Es heißt in seinen Aufzeichnungen weiter:
„Rückkehr. Aegidienkirche mit prachtvollen Nebenkapellen Dürerbild Jesus auf Gethsemane. Frauenkirche, katholischer Gottesdienst, bunte Fenster.“ Das sind eindeutig Reiseeindrücke, aber Ns Bemerkungen, die gewählten Worte, sie vermitteln nur die alleräußerste Oberfläche. Nichts verrät, auf welche Weise ihn dies oder das Wie und ob überhaupt berührt oder beeindruckt hätte oder auch nur haben könnte. Die Notizen wirken, als hätte ihn die dahinter verborgene Wirklichkeit gar nicht erreichen können.
In der vergleichsweise viel sagenden Heraushebung „zu einer eigenen Zeile“ finden sich dann, bemerkenswert herausgehoben aus allem Anderen, die drei Worte:
„Buchhandlung von Schmidt“ - ohne Zusatz! Allerdings hat die Tatsache des Alleinstehens dieser Worte auf einer ihnen eigens eingeräumten Zeile fraglos etwas zu bedeuten! Diese „Sonderstellung“ weist darauf hin, dass mit ihr ein Erlebnis verbunden war, das N auf deutlich besondere , aber ihm nicht benennbare Weise berührt und in Anspruch genommen hatte - zumindest an aufgewandter Zeit! Ein Aufenthalt in einer Buchhandlung! Für einen Bücherwurm wie N einer war, bedeutete das viel und es dürfte als sicher gelten, dass es um bestimmte, ebenfalls und wohl auch bewusst , weil ihm nahe gehend, ungenannte Bücher, vielleicht auch nur um eines ging. Genaueres wird sich aus anderen, auch „an sich“ nichts weiter hergebenden Eintragungen ergeben. Ns Notizen lauten des Weiteren:
„Mittag, die vier Direktoren [des Musikfestes, - in einem offiziellen Festakt?]. Champagner. Konzert. Blaues Glöckli. lange gesucht. Kapellmeister Tschirch Komponieren. Oper: Meister Martin und seine Gesellen sucht in Nürnberg aufzuführen die Schwäne, Schwanengesang vollendet. komponiert früh, arbeitet in der Nacht aus [was aus dem Zusammenhang gerissene Glanzpunkte einer gehörten Rede an dem Festakt des Sängerfestes sein könnten! Danach folgt:] - Nachtquartier.“
Das Folgende betrifft demnach den zweiten Tag: „Morgen. Stadtweg. Promenade Festhalle. Kaiserstüblein Rathaus. Museum. Schmid [bemerkenswert wäre die unterschiedliche Schreibweise gegenüber der „Buchhandlung“ aber gleichlautend mit der ersten Nennung dieses Namens. Was könnte gemeint sein? Die Wirtsleute nicht! - Dürfte es sich um einen „Anlaufpunkt“ in der Stadt handeln, ein Lokal vielleicht? Eine Konditorei? Eine solche wird ohne die recht bestimmte Bezeichnung „Schmid“ genannt. Könnte es sich am ehesten - trotz unterschiedlicher Schreibweisen? - nicht doch um die von dem Büchernarr N noch einmal aufgesuchte Buchhandlung handeln?] Lorenzkirche. Mittag. Festzug [im Rahmen des Sängerfestes am 22. Juli]. Konditorei [damit fiele Schmid als alias für eine solche eigentlich weg!]. Hans Sachs, Dürer. Glöckel. Schmid [als vierter Anlauf des bereits drei Mal erwähnten Bücherladens!?]. Abendbrot. Bier. Klavier gespielt. Hinweg. Unleserliches Spinnerei. - Nachtblick.“
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