So habe ich denn mein erstes Heft beschlossen und ich blicke mit Freude auf es zurück [mit Gefühlen, die so ungefähr denen des oft und immer wieder angerufenen, biblisch angelernten Gottes an dessen siebten Tag entsprachen?] Ich habe es mit großer Freudigkeit geschrieben und bin dabei nicht müde geworden. Es ist [wenn man zu derartiger Selbstbespiegelung neigt] etwas gar zu Schönes [ein Genuss seiner selbst!] sich späterhin seine ersten Lebensjahre vor die Seele zu führen und die Ausbildung der Seele daran zu erkennen.
In der Praxis des tätigen Lebens sind das Elemente einer selbstverliebten Bezogenheit auf das eigene Ich, die hier ihre ersten „Tribute“ und Investitionen forderte. Normalerweise, auf das Diesseits orientiert, lebt man in der Auseinandersetzung mit der Realität des Lebens über derlei hinweg in ungefragter und unbetrachteter Selbstverständlichkeit, die sich um ihre eigene Wirkung nicht kümmert !
Ich habe hier ganz der Wahrheit getreu erzählt [aber was wäre diese, außer dass sie seiner Überzeugung von sich selbst entsprach?] ohne Dichtung und poetische Ausschmückung [aber auch ohne „die Anderen“ in Betracht zu ziehen!]. Dass ich mitunter etwas nachgetragen habe, ja noch nachtragen werde, wird man mir [und nun wieder aufgepasst!] bei der Größe des Werks verzeihen [- nur wer kann, könnte, würde dieser Verzeihende sein? Doch weitgehend auch wieder nur er selber! Oder war das Ganze etwa bereits auf eine bewundernde „Öffentlichkeit“ hin angelegt? N sprach doch nur davon, dass er selber dies zur eignen Belehrung über sich selbst später lesen wollte! Und er sprach - hier schon! - von einem „großen Werk“, wie später bei allem was er der Öffentlichkeit übergab, was den Wert seiner Selbstbewertungen relativiert!]. Könnte ich doch noch recht viel solche Bändchen [der eitel dahingetändelten Selbstvergewisserungen] schreiben! [was sich zeigen wird, denn für sich selbst vor allem wird er letzten Endes noch viele Bücher schreiben: um sich seines Daseins „im großen, größten Stile!“ 15.7.82 zu versichern , - so wie ihm dieses soeben gelungen war und immer so, wie er sich selber sah! Dem fügte er einen Vierzeiler an, mit den Worten:]
Ein Spiegel ist das Leben. In ihm sich zu erkennen, Möchte ich das erste nennen, Wonach wir nur auch streben.!! geschrieben vom 18. August bis 1. September 1858. BAW1.31f
Weil es ihm so ging, vornehmlich mit sich selbst beschäftigt zu sein und das seinem „seelischen Horizont“ entsprach. Das alles war nicht ohne etliche Blicke auf so etwas wie „bewunderungsbereite Nachwelt“ angelegt. Auffällig darin ist, wie sehr das alles nur auf ihn selber gerichtet war. Er hat „mit großer Freudigkeit“ geschrieben, um selbst Freude daran zu haben, es späterhin lesen zu können und zu sehen, wie „seine Seele sich ausgebildet hat“. „Normalerweise“ lässt einen in die Zukunft drängenden Erdenbürger diese „Selbstbespiegelung im Nachhinein“ kalt . Es interessiert gemeinhin nicht, weil man - in Richtung auf die Welt hin! - sich nicht in der Begrenztheit seiner eigenen Vergangenheit aufhalten möchte. Ns Hinwendung auf das eigene Ich fand in den letzten Versen gar eine besondere Betonung und Bestätigung. Es werden bei N in gesteigerter Form noch etliche Gelegenheiten zu solchen eigentlich leeren Selbstbespiegelungen zu beachten sein.
Hier ist alles enthalten, was N ausmachen wird. Die „ganze Wahrheit getreu“ nach dem, was er - seinem jeweils momentanen Glauben nach! - dafür halten wollte, ohne einen selbst kritischen Blick auf die Schwerpunkte, die Er - nicht frei von dem Bestreben nach Dramatisierung! - setzte , - auch wenn er behauptete, derlei nicht getan zu haben. Dann ist da auch schon die hohe Einschätzung von der „Größe des Werkes“ und auch dass er gerne noch „viele solche Bändchen“ mit der beispielgebenden Klarlegung seiner Ansichten schreiben würde. Und zu dem allem verfasste er in der Form des vierzeiligen Verses eine winzig kurzgefasste Grundsatzerklärung dessen, was er als sein Welterleben und seinen Lebens sinn begriff: Sich „im Spiegel des Lebens“ - das heißt sich als Gegenpart des Lebens begreifend - „zu erkennen“, zu rechtfertigen und - „korrigierend“ eingreifen zu dürfen und sogar zu müssen. All das war hier in seinen Keimen angelegt! Und gleich darauf folgte - wie später nach jedem seiner die Welt über die Wahrheit dessen, was sich in Bezug auf seine Wirklichkeit in ihm abspielte, in Form von die Welt belehren wollenden Büchern - als neue und weitere Betrachtung über „Mein Leben“, nur gut eine Druckseite lang:
Meine früheste Jugendzeit floss still und ungetrübt dahin und umsäuselte [ein auffallend in sich selbst verliebtes Wort!] mich sanft gleich einem süßen Traum. Der Friede und die Ruhe, die über einem Pfarrhause schwebt, drückte ihre tiefen, unauslöschlichen [und somit ewigkeitsnahen!] Spuren in mein Gemüt ein, wie man denn überhaupt findet, dass die ersten Eindrücke, welche die Seele empfängt, unvergänglich sind. Da aber verdüsterte sich plötzlich der Himmel; mein geliebter Vater erkrankte schwer und anhaltend. So trat auf einmal Angst und Spannung an die Stelle des heitern, goldenen Friedens, des ruhigen Familienglücks [das, laut seinem späteren Urteil, „viel zu häufig ist, um viel wert sein zu können“ 10.1.69denn so äußerte er sich etwa zehn Jahre später ungerührt über das Gleiche]. Endlich [als hätte er sich danach gesehnt?] nach langer Zeit [nach 4 Jahren schon!] geschah das Schreckliche: Mein Vater starb! Noch jetzt berührt mich der Gedanke daran innig-tief und schmerzlich; damals erkannte ich die ungeheure Wichtigkeit dieses Ereignisses noch nicht so, wie jetzt [nachdem Rosaliens Bericht all das in ihm aufgefrischt hatte!] ….. Nach einem halben Jahr verließen wir das friedliche Dorf; ich war nun ohne Vater, ohne Heimat. Naumburg bot uns zwar eine neue Wohnstätte dar; viel Liebe und Segen bescherte uns Gott auch hier; aber immer wird mein Sinnen nach dem teuren Vaterhaus hingezogen und auf Flügeln der Wehmut eile ich oft dahin, wo mein erstes Glück einst still erblühte. - BAW1.33
Tatsächlich dürfte er kaum in das von Naumburg aus gut 23 km nordöstlich entfernte Röcken zurückgekehrt sein. Die Schwerpunkte hatten sich verlagert. Die Gefühle, die Stimmungen traten romantisierend in den Vordergrund - und kein Wort mehr über den Wahrsagetraum vom Tod des Brüderchens, was sich doch nicht so kurzfristig vergessen ließ, wenn es denn ein Stück Lebenswahrheit gewesen sein sollte! Es war ein Effekt , da, in der Stimmung, in der er angebracht worden war. Darüber hinaus gab es nichts Neues über ihn selbst zu berichten! Die neuen Ansätze zum bereits Gehabten stellten einen Leerlauf dar. - Warum tat N das? - Sollte es nur das blanke Vergnügen an der Selbstdarstellung gewesen sein? Über insgesamt 32 Druckseiten hinweg hat N ausführlich und auch lebendig, vorwiegend aber von sich berichtet und endete mit deutlich autistischem Anstrich in dem Endeffekt einer Selbstbespiegelung in der das - sein gesamtes „Werk“ bezeichnende! - Fehlen „ der Anderen “ seinen ersten Ausdruck fand: So, wie auch das Außerachtlassen der Tatsache, dass „man“ nicht nur der ist, als der man sich selbst im Spiegel begegnet, sondern immer auch als jener, der man in den Augen eben der von N völlig beiseitegelassenen „Anderen“ ist !
Dass dieser Bruch oder Knacks , dieser grundlegende Fehler bereits in seinem ersten umfangreicheren Text - wenn man denn bereit ist, ihn daraufhin genau zu lesen! - dermaßen deutlich zum Tragen kommt, ist bezeichnend: Die Hauptsache in Ns Texten, ihr Zweck, ihre Aufgabe, ihr eigentlicher Sinn ist Selbstdarstellung und diese immer wieder hervortretende Absicht wird stetig gesteigert, von Jahr zu Jahr, von „Werk“ zu „Werk“: im gleichen Maß, wie es ihm im stärker werdenden Bezug auf sich selbst immer weniger gelingt, „die Anderen“ überhaupt noch als „Wesen wie er selber eins ist“ wahrnehmen zu können. Sein ohnehin so gut wie nicht vorhandener Blick auf „die Anderen“ wird sich verengen und - gereizter gegen sie! - sich auch brutalisieren .
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