Für uns [oder meinte N gar nur „ für ihn “?] Zweck [als Behauptung! - Aber welcher? - wenn es nach allgemeinverbindlichen , für alle geltenden Grundsätzen und nicht nur nach Ns Dafürhalten gehen sollte?], für uns ist Veränderung da, für uns gibt es Epochen und Perioden. Wie könnten wir auch höhere Pläne sehen [denn N war längst schon - weit jenseits des bloß einen jeden Betreffenden! - auf Menschheitsmaßstäbe höchster Dimension eingeschworen!]. Wir sehen nur, wie aus derselben Quelle, aus der Humanität sich unter den äußeren Eindrücken Ideen bilden; wie diese Leben und Gestalt gewinnen; Gemeingut aller, Gewissen, Pflichtgefühl werden [grad so, wie N es später für seine „Übermenschen-Moral“ und seine Idee der „Ewigen Wiederkehr“ geregelt sehen wollte]; wie der ewige Produktionstrieb sie als Stoff zu neuen verarbeitet, wie sie das Leben gestalten, die Geschichte regieren; wie sie im Kampf von einander annehmen und wie aus dieser Mischung neue Gestaltungen hervorgehen. Ein Kämpfen und Wogen verschiedenster Strömungen mit Ebbe und Flut, alle dem ewigen [„geistigen“] Ozeane zu. BAW2.56f
Das waren gleichsam freie, aus dem Stegreif gebotene Impressionen Ns „eigener“ Gedankenläufe zu Eindrücken, die er Emersons Einfluss zu verdanken hatte. Es ging in enger Gebundenheit noch darum, wie die „Evolution“ sich mit ihrem bisherigen Zweck- und Ziel-Verständnis von Menschsein zu vertragen hätte. Und weiter formulierte N - in seinen Jugendaufsätzen eng an Emersons Wortlaute aus dessen Kapitel „Kreise“ angelehnt:
Alles bewegt sich in ungeheuren, immer weiter werdenden, Kreisen um einander; der Mensch ist einer der innersten Kreise [wieso? warum? Ist N da noch beim geozentrischen in Form eines homozentrischen Weltbildes hängen geblieben?]. Will er die Schwingungen der äußeren [Kreise] ermessen, so muss er von sich und den nächst weiteren Kreisen auf noch umfassendere abstrahieren [verallgemeinern und dabei das Wesentliche aus dem Zufälligen heraus deuten . Hier bediente N sich eines Bildes von Emerson und spielte mit dessen Begriffen, ohne ihnen einen wirklich eigenen Sinn zu geben!]. Diese nächst weiteren [Kreise] sind Völker-, Gesellschaft- und Menschheitsgeschichte. Das gemeinsame Zentrum aller Schwingungen, den unendlich kleinen Kreis zu suchen, ist Aufgabe der Naturwissenschaft [den „Stein des Weisen“ gewissermaßen, in dem das gesamte Wissen versammelt ist, zu finden? - Das waren nach den Früchten der Aufklärung allerdings längst überholte Vorstellungen]; jetzt erkennen wir, da der Mensch zugleich in sich und für sich jenes Zentrum sucht, welche einzige Bedeutsamkeit Geschichte und Naturwissenschaft für uns haben müssen [auch wenn N einige Jahre später gegen die Geschichte und die Naturwissenschaften sehr kritisch eingestellt sein sollte? Hier verriet er nicht, was er sich unter der „einzigen Bedeutsamkeit der Geschichte und Naturwissenschaft“ vorgestellt hatte! Es dürfte auch hier schon das ihm von Emerson vorgegebene und sein Leben ausfüllende Prinzip der „Erhöhung des Typus Mensch“ gewesen sein - auf dem „langen Weg vom Granit [bei N vom „Stein“] hin bis zur Auster; ein längerer noch zu Plato hin und zu der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele“ EE.400und darüber hinaus! - Die Beschreibung der Welt als „Kreise“ ist dem Jungen N nicht sonderlich geglückt. Es sind Begriffe, die Emerson verwendet hatte, von denen N beeindruckt war und sie dankbar aufnahm, obgleich sie zu dem, was er nun selber zum Ausdruck bringen wollte nicht so recht passen wollten].
Emerson hatte einen seiner 20 „Essays“ - den 10., um genau zu sein! - mit dem Wort „Kreise“ betitelt. Darin findet sich unter anderem auch dessen ins geradezu Astronomische verzerrte Ausführung zu dem „vom großen Gott“ hin und wieder „auf den Planeten gesandte Denker“ durch den immer wieder mal „Alles in Gefahr gerät“, weil er alles umstößt, was zuvor Geltung besessen hatte, denn „Alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde teuer und wert sind“, wären „dies nur auf Rechnung der Ideen, die an ihrem geistigen Horizonte aufgestiegen sind und die gegenwärtige Ordnung der Dinge ebenso verursachen, wie ein Baum Äpfel trägt.“
Ein solches „Denker-Amt“ wäre Ns „herrschaftsamtlich“ veranlagtem Wesen als angemessen erschienen. Jedoch hatte er übersehen, dass bei Emerson „die Anderen“ - ungenannt zwar ! - dennoch aber mitgedacht waren; N aber hatte sie, Emersons Aussage damit verhunzend, „vergessen“, ausgeschlossen, nicht bedacht und deshalb sah sein Verständnis für Emersons Satz anders aus, als eigentlich vorgegeben: „ Ein neuer Grad der Kultur [in welcher „die Anderen“ nicht verloren gegangen wären!] würde augenblicklich das ganze System menschlicher Beziehungen einer Umwälzung unterwerfen .“ EE.226fIn seinem Handexemplar hatte N diese Stelle - nach 1874 noch einmal! - seitlich zweifach angestrichen und diesen letzten, hier kursiv gesetzten Satz in seinem einzigen öffentlich gemachten umfangreichen Emerson-Zitat mit seiner stillschweigenden Betonung gegen „die Anderen“ gerichtet!
Aus den Anstreichungen und dem Bedürfnis, gerade diese Stelle öffentlich zu zitieren geht deutlich hervor, wie überaus bedeutsam der darin vermittelte „Lebenssinn“ - und dessen Umgebung für Ns „bis zum Defekt“ NR.320ausgeprägte, geltungsbedürftige Seele war, so dass er dies - mitsamt so gut wie allem Anderen, was Emerson ihm zu bieten hatte - noch 1874 und bis an sein geistiges Ende hin! - als sein höchstes „Schulgesetz“ würdigte: Diesen „Wahrheiten“ wollte und sollte er „in größtem Stile“ 15.7.82nacheifern und sie als „philosophische“ Lebensanschauung und Lebensweise „ erfüllen “!
Das für N so schicksalhafte Kapitel, welches für den Siebzehnjährigen seit Nürnberg unter den vielen anderen, eine nicht zu übersehende Vorlage für seine Jugendaufsätze war, beginnt mit den Worten:
Das Auge ist der erste Kreis; der Horizont, den es formt, ist der zweite; und überall in der Natur wiederholt sich diese ursprüngliche Figur ohne Ende. Es ist das höchste Emblem [Sinnbild, Kennzeichen] in der Chiffre [dem Geheimzeichen] der Welt. Der heilige Augustinus beschrieb das Wesen Gottes als einen Kreis, dessen Mittelpunkt überall und dessen Umfangslinie nirgends sei. Unser ganzes Leben hindurch spiegelt sich uns in Allem diese erste Form wieder ab. Eine Moral haben wir schon daraus hergeleitet, indem wir den Charakter einer jeden menschlichen Handlung als einen kreisförmigen oder kompensierenden [ausgleichenden] in Betracht gezogen haben.
Einer anderen Analogie [einer Beziehung zwischen Dingen und Vorstellungen, die in gewisser Hinsicht übereinzustimmen scheinen, einer sinngemäßen Ähnlichkeit oder Entsprechung] werden wir nun folgen, nämlich der, dass jede Handlung von einer anderen übertroffen werden kann [also gute vergleichsweise besser und schlechte auch schlechter ausfallen können und somit jede Art Abwägung und Urteil zu verdeutlichenden und eben deshalb so beliebten Superlativen führen!]. Unser Leben ist eine Lehrzeit, in welcher wir zu der Wahrheit gelangen müssen, dass um jeden Kreis ein anderer gezogen werden kann; dass es kein Ende in der Natur gibt, sondern dass jedes Ende ein Anfang ist; dass jede Tageszeit nur immer ein neuer Tagesanbruch ist, und unter jeder Tiefe eine noch tiefere Tiefe sich auftut. EE.220
Die letzte Unterstreichung hat N wohl eingedenk seiner ihm damals noch nicht in den Sinn gekommenen „Ewigen Wiederkehr“ - als Bestätigung für sie gewissermaßen - empfunden und deshalb angebracht! Die anderen Unterstreichungen betreffen wieder die Betonung seiner „Leistungen“ vor anderen : in Bezug auf seine Gedanken zu einer „neuen Moral“, von der es später noch viel zu berichten gibt. Auch seitlich hat N diesen Absatz markiert.
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