Was N da, mehr unbewusst als freiwillig zu Papier gebracht hatte, war ihm von seinen Gefühlen und Sehnsüchten - von seinen Illusionen! - diktiert. Er sollte über dieses mit tatsächlich „brauchbaren“ oder auch nur sinnvoll wirkenden „Erkenntnissen“ seiner „Philosophie“ nie hinausgelangen, - auch wenn er darum in den folgenden Jahren eine Unmasse von Worten in Bewegung zu setzten verstand.
Eine unendliche Gedankenverwirrung im Volke ist das trostlose Resultat [wann? warum? In einem gleichsam zweiten Satz-Anlauf lieferte er die Begründung, die aber - er sprach ja wieder von sich ! - nur sein eignes Gefühlsleben schilderte:]; es stehen noch große Umwälzungen bevor, wenn die Menge erst begriffen hat, dass das ganze Christentum sich auf Annahmen gründet; die Existenz Gottes, Unsterblichkeit, Bibelautorität, Inspiration und anderes [all die Zweifel also, die - von anderen bereits angeregt! - er längst - allerdings nicht auch gegen die von ihm neuerdings angenommenen Emerson’schen Welt - und dessen Erwähltheits-Weisheiten - hegte! - Diese nämlich auch] werden immer Probleme bleiben. [Und an dieser Stelle kam er auf den Ernst seiner Lage zu sprechen! Deutlich und unmissverständlich war er dabei bereits Partei:] Ich habe alles zu leugnen versucht: o, niederreißen ist leicht, aber aufbauen! BAW2.55
Mit diesem elementaren Satz hat N sich selbst mit seinem „Ich“ in das beschriebene Problem gestellt und Partei ergriffen! Damit ist dies ein elementarer Satz über eine der wichtigsten Erfahrungen Ns! - Zugleich ist es eine der wenigen vollumfänglich stimmenden - weil nämlich am eigenen Leibe erfahrenen - „Erkenntnis“, die N von sich gegeben hat: „Niederreißen“, Vorhandenes in Frage stellen, in Zweifel ziehen, madig machen, kritisieren, mit geschickten Argumenten als nicht unbedingt glaubwürdig darzustellen ist leicht: darin würde er, schon wegen dem geschliffenen „Stil“ den er entwickeln sollte, schwerlich zu übertreffen sein und folglich seine zu respektierende „Kunst“ bestehen: „Aber aufbauen“? Bis auf zwei höchst fragwürdige oder sogar irre „Ideen“ oder eher nur „Einfälle“ wird es nichts geben, woran , worin und womit N erklärterweise eine gewisse Aufbauarbeit geleistet hätte: Es sind dies a) seine Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“ als eine von ihm „hart erkämpfte“ moralische Grundlage dafür, dass jeder gegenwärtige Mensch sich durchzustreichen und zu dienen hat für die über b) seine Existenz „hinausgehende“ Kulturleistung der Züchtung des „Übermenschen als der Sinn der Erde“ 4.14, den N unter der Maske seines „Zarathustra“ als eine „Erhöhung des Typus Mensch“ JGB.257in einigen Jahren lauthals propagieren sollte.
Auch diese Aussage Ns ist in ihrem Kern zurückzuführen auf Emerson. In dessen „Essay“ mit dem Titel „Kreise“ heißt es:
Die Hand, die baute, kann aber noch viel schneller niederreißen. Besser als die Hand und noch schneller der unsichtbare Gedanke, welcher das Ganze erfand und so ist immer hinter der groben Wirkung eine feinere Ursache, welche in der Nähe gesehen wieder nur die Wirkung einer noch feineren Ursache ist. Alles erscheint permanent [dauernd, beständig], ehe man [mit zunehmendem eigenem Alter] die geheime Entstehung [und die Vergänglichkeit] desselben kennt. EE.221f
Auch hier hatte N seitlich eine dicke Markierung angebracht! In seinem Aufsatz fuhr N nach der Erkenntnis, wie schwierig - ihm !- das Aufbauen fiel, fort:
Und selbst niederreißen scheint leichter, als es ist; wir sind durch die Eindrücke unsrer Kindheit, die Einflüsse unsrer Eltern, unsrer Erziehung so in unserm Innersten bestimmt, dass jene tief eingewurzelten Vorurteile sich nicht so leicht durch Vernunftgründe oder bloßen Willen herausreißen lassen. BAW2.55
Hier stellte N - wie im Brief an die Freunde! - seine ihm erstmals vorliegenden und als einzige „Vernunftgründe“ bezeichneten Einsichten gegen die in etlichen Jahrhunderten geistesgeschichtlicher Evolution entstandenen, aber von ihm - weil sie ihm keine Sonderrolle gestatten wollten! - abwertend als „Vorurteile“ eingeschätzten Kenntnisse! - und damit stellte Er sich - wieder einmal! - als ebenbürtig gegen den „Rest der Welt“! - Ohne in Betracht zu ziehen, wie sehr das alles - Ihn eingeschlossen ! - in geschichtlichen Zusammenhängen steht, die nicht mit seinem Denken begonnen haben, sondern weit größer sind als er je zu ahnen schien, weshalb die von ihm gewählten Begriffe einfach nicht passten, so wenig, wie das, was er nachfolgend leichtfertig zusammenschrieb:
Die Macht der Gewohnheit, das Bedürfnis nach Höherem, der Bruch mit allem Bestehenden, Auflösung aller Formen der Gesellschaft, der Zweifel, ob nicht zweitausend Jahre schon die Menschheit durch ein Trugbild irre geleitet [wäre? - Dazu gehört doch - auf Jahrtausende bezogen! - die letztlich nichts als irre Einstellung, dass es möglich wäre, das Er besser wissen könne, als es der Menschheit - bis zum ihm hin ! - gelungen war! - Natürlich gehörte dazu:], das Gefühl der eignen Vermessenheit und Tollkühnheit: das alles kämpft einen unentschiedenen Kampf, bis endlich schmerzliche Erfahrungen, traurige Ereignisse unser Herz wieder zu dem alten Kinderglauben zurückführen [um wieder alles auf sich beruhen zu lassen?].
Da sieht man N geradezu zwischen seiner Neigung zur Selbstüberschätzung und der Verkennung seiner Wirklichkeit hin und her schwanken, in unvollständigen Satzfetzen - zwischen der Lust an Selbstentfaltungs- und Besserwisserwillen gegenüber den „zweitausend Jahren“, die „schon die Menschheit durch ein Trugbild irre geleitet“ nach Weisheiten „der Anderen“, verbracht hat! - Alles im Vergleich mit der erleuchtenden „Wahrheit“, die ausgerechnet seine Seele erfüllte! Diese hier kaum zu bemerkende Keimzelle seines zu Berühmtheit gelangen wollenden „Willens zur Macht“ im „Kampf“ mit den beklemmenden Schwierigkeiten, die dazu notwendigerweise „aufbauenden“ Leistungen vollbringen zu können! - Mit dem Erfolg, vielleicht doch lieber - aus Unfähigkeit entsagend! - beim Glauben an Altbekanntes zu verharren! - Der Wille hervorzutreten und etwas zu wagen gewann jedoch bei N - nicht nur hier ohne an „die Anderen“ zu denken! - die Übermacht:
Den Eindruck aber zu beobachten [was eine Position war, über die N nie hinausgekommen ist, weil er nicht in größeren Zusammenhängen denken konnte und], den solche Zweifel auf das Gemüt machen, das muss einem Jeden ein Beitrag zu seiner eignen Kulturgeschichte sein. Es ist nicht anders denkbar, als dass auch etwas haften bleibt, ein Ergebnis aller jener Spekulation, was nicht immer ein Wissen, sondern auch ein Glaube [eine unbewiesene Illusion!] sein kann, ja was selbst ein moralisches Gefühl bisweilen anregt oder niederdrückt. BAW2.55f
Da war schon alles, was N ausmachen sollte, beisammen: „Zweifel“, „Gemüt“, „Kulturgeschichte“, „Spekulation“, „Wissen“, „Glaube“, „moralisches Gefühl“ und die „Anregung“, das „Erhobensein“ mitsamt dessen Gegenteil, der „niedergedrückten“ und niederdrückenden, bei ihm letztlich „bipolaren“ Empfindungen: Lauter Begriffe, mit denen seine Art zu „philosophieren“ es mit durchaus bewundernswerter Effekthascherei verstehen sollte, behände zu jonglieren:
Wie die Sitte als ein Ergebnis einer Zeit, eines Volkes, einer Geistesrichtung dasteht, so ist die Moral das Resultat einer allgemeinen Menschheitsentwicklung [aus der aber - noch nie so wie bei N! - „die Anderen“ einfach herausgelassen werden konnten!]. Sie [die Moral!] ist die Summe aller Wahrheit für unsre Welt [in der „die Anderen“ die ihnen - auch wenn N das 10 mal nicht auf der Rechnung hatte! - ihre gebührende Beachtung verdienen!]; möglich, dass sie in der unendlichen Welt [was hätte als solche zu gelten?] nicht mehr bedeutet, als das Ergebnis einer Geistesrichtung in der unsrigen [genau das wagte N zu seinen Gunsten hoffen, weil das, für wahr genommen, ihm die Chance bot, seine Vorstellungen als neue Moral zu positionieren!]: möglich, dass aus den Wahrheitsresultaten der einzelnen Welten sich wieder eine Universalwahrheit entwickelt! BAW2.56
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