Am Ende von dem, was 1861 mit der Emerson-Infektion als eine gut 27 Jahre währende Rebellion gegen die bestehende Welt begann, war N Anfang 1889 mit der Welt endlich zufrieden , auch wenn er - immer noch nicht ganz zufrieden, dann doch „sehr viel lieber Basler Professor“ 6.1.89geblieben wäre, als in aller Bescheidenheit den Gott einer von ihm neu erschaffenen Welt spielen zu müssen! - Sein Drang, die Welt anders, mehr für sein Dafürhalten passend, haben zu wollen als sie ist, war im Laufe des Jahres 1888 so gut wie erloschen, d.h. Ns Vorstellung davon, eine auf von ihm erlassene Wahrheiten neu gebaute Welt erschaffen zu haben , war - infolge des fortgeschrittenen Realitätsverlustes, an dem er durch all die Jahre litt! - so dominant geworden, dass ihn die Diskrepanz zu den tatsächlichen Verhältnissen um ihn her nicht mehr erreichte. N hat diese Welt nicht angesehen, wie andere Schriftsteller - um nicht von Philosophen zu reden! -, sondern sie lediglich, wie er bereits im August 1858 schrieb - als einen Spiegel seiner selbst „erkannt“ und nie verstanden, dieser Welt deshalb nicht mehr geben zu können, als nur ihn selbst, - statt ihr zu geben, was sie brauchte, ihr nutzte, gut für sie war! Im Leben „ sich zu erkennen [gerichtet nur auf sich selbst und seine Gefühle für sich selbst!], möchte‘ ich das erste nennen, wonach wir nur auch streben.!!“ BAW1.32- das hieß, dass N nie ein Thema außerhalb seines eigenen Ich gefunden hatte, auf das er seine Energie, seine Erkenntniskraft, seine Einsichten, einen Zugewinn an Wissen gerichtet hätte. Zum Ersatz dafür hat er sich eine gewaltsam auf zukünftige Ideale zurechtgezwungene Welt erträumt, - in der allerdings störende, realistisch verfasste Menschen keinen Platz zugewiesen erhielten, denn N war zu phantasielos, um sich vorstellen zu können, dass „die Anderen“ ganz andere Ideale und Träume haben könnten, als er selbst!
Die so verhängnisvoll infizierte Ausgangslage - nochmals 1862 dann, genau und umfassend feststellbar bei dem dann gut Siebzehnjährigen anhand seiner Jugendaufsätze und damit seiner ahnungslos hinterlassenen Zeugnisse zu dem, was so seine „Gedanken“ und vor allem seine Gefühlswelt und die Herkunft von all dem durchzog! - das lässt sich schwer widerlegbar durch seinen gesamten Lebensweg verfolgen. Emerson wird, weil er Ns ständiger geistiger Begleiter und Ratgeber war, in dieser Darstellung von Ns großem „Werden“ immer wieder erscheinen müssen.
Das „Nürnberger Handexemplar“, das Zeugnis von den Anstreichungen des Siebzehnjährigen bis ins Jahr 1874 hinein hätte geben können, ist N, wie schon erklärt, mitsamt seiner Reisetasche im August 1874, auf der Rückreise von einem Besuch bei Richard Wagner in Bayreuth zu seiner Professorenstelle in Basel auf dem Bahnhof von Würzburg gestohlen worden. N berichtete darüber niemandem außer dem in sein Emerson-Geheimnis ein klein wenig eingeweihten Freund Carl von Gersdorff am 24. September 1874:
Der treffliche Emerson, welchen ich mit in Bergün hatte [wo er in einem hochgelegenen Schweizer Bergdorf während der Semesterferien Erholung gesucht hatte], ist mir samt meiner ganzen vollen Reisetasche gestohlen worden: das schöne Exemplar vom Ring des Nibelungen (mit Wagners Widmung) war auch dabei. Moral: man soll seine Reistasche auf Bahnhöfen nicht unbehütet liegen lassen, sonst ist gleich ein schändliches und tückisches Tier da, welches Reisetaschen auflauert.
Auf „ein schändliches und tückisches Tier“ lud N in hilflosem Scherz ab, was sein schwach ausgeprägter Umgang mit den Realitäten des Lebens ihm eingebrockt hatte, indem er seine Reisetasche auf dem Bahnhof „unbehütet liegen“ ließ, was ja wohl ein hohes Maß an Vertrauensseligkeit oder Unbekümmertheit verrät. Das aber nur nebenbei. Er besorgte sich umgehend das bis heute überlieferte neue, vor allem ihm gewohnte Exemplar der Fabricius-Übersetzung von 1858 in dem er sich so „zu Hause“ fühlte, was nebenher zu belegen scheint, dass es nur die für N wirklich heiligen „Essays“ von Emerson waren, die er nach Bergün mitgenommen hatte und nicht auch die für ihn deutlich weniger wichtige „Lebensführung“ aus dem Jahr 1862.
Der Verlust seines „Erst-Exemplars“ der „Essays“ bedeutet zugleich auch den Verlust der Anstreichungen, Notizen, Bemerkungen und nicht zuletzt auch der Gebrauchsspuren, die N darin im Verlauf von 13 Jahren, die das Buch in seinem Besitz war, aller Wahrscheinlichkeit nach vorgenommen beziehungsweise hinterlassen hatte. Sicherlich wäre es aufschlussreich, davon erfahren zu können. Von Auszügen und auf Emerson-Texte bezogene eigene Notizen in den nachgelassenen Schriften vor August 1874 ist bis auf die so vielsagenden Emerson-Zitate zum Thema der Verherrlichung von „Schopenhauer als Erzieher“ nichts bekannt.
Im erhalten gebliebenen Nachlass erfolgte die erstmalige Nennung des Namens Emerson erst in der Zeit Frühling-Sommer 1878, also knapp 4 Jahre nach Anschaffung des neuen „ Essay “-Exemplars , mit dem Wortlaut „Ich weiß es, dass die Unabhängigkeit des Denkens auf der Erde vermehrt ist und dass wer gegen mich sich erklärt - v. Emerson Goethe p. 9.“ 8.488, nämlich unter Bezug auf ein anderes, von N gelegentlich gelobtes Buch von Emerson: Bei diesem handelte es sich um das 1857 erschienene Buch „Goethe und Shakespeare“, deutsch von Herman Grimm, 1828-1901, einem deutschen Kunsthistoriker und erfolgreichem, sehr bekannten Publizisten und Sohn von Wilhelm Grimm. Er korrespondierte mit Emerson und hat viel über Goethe veröffentlich. An der in Ns Notiz gemeinten Stelle „p. 9.“ bewunderte N den Goethe bewundernden Emerson ! - welcher dort über Goethe - nach den auf Ns Seele feinstens zugeschnittenen Anfangsworten „In meinen Augen steht der Schriftsteller als ein Mann da, dessen Stellung beim Aufbau der Welt vorgesehen war …..“ mit wiederum für N so typischen und heroisch klingend formulierten Worten:
Eine Ahnung des Zukünftigen, ein Drang nach vorwärts belehrt ihn [Goethe]. Wie ein heißer Strom durchdringt es unsre Brust, wenn wir die zum ersten Mal sich offenbarende Wahrheit zu erfassen glauben, es ist der durchdringende Strahl einer geistigen Sonne, der in die Tiefe des Bergwerks den Weg gefunden hat. Jeder Gedanke, aufdämmernd in unsrer Seele, sobald er in vollem Licht auftaucht, zeigt durch sein bloßes Erscheinen an, ob er nur ein flüchtiger Einfall oder eine dauernde Macht sei. Findet sich aber auf der einen Seite der Drang, ihm ein Dasein zu geben, auf der andern empfängt ihn schon die menschliche Gesellschaft, die seiner bedarf und begierig auf seinen Inhalt ist. Denn Eins erwarten wir mit Sehnsucht zu allen Zeiten: einen Mann mit der Macht, sich auszusprechen, begabt und mit der Kraft, die Dinge, bei denen die Leute den Kopf verloren haben, zu zeigen, wie sie sind und sie auf ihr altes Maß zurückzuführen.
Auch diese himmelhoch schwärmerischen, abgesehen von ihrem Brimborium eigentlich nicht viel sagenden Worte waren nach Ns Herzen! Auch darin durfte er sich wiedererkennen. Auch das beschrieb den von ihm zur Zeit seiner Notiz bereits eingeschlagenen Lebensweg. Die Nachwelt kennt nur Ns Umgang mit Emerson aus dem 1874-er Ersatz-Exemplar, aus dem nicht mehr hervorgehen kann, was N von Anbeginn an im Detail exakt so besonders an Emerson gelegen war. Davon allerdings können Ns durchaus kaum eigene „Gedanken“ über „Fatum und Geschichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“ in seinen berühmt-berüchtigten, angeblich ja so viel jugendliches Genie verratenden beiden Jugendaufsätzen aus den Osterferien 1862 unfreiwillig rückschließend einige Auskunft geben. Von diesen deshalb später mehr.
Die nächste, 2. Emerson-Erwähnung im Nachlass erfolgte im Sommer 1878 und lautet:
Читать дальше