Der Alte ist sichtlich erleichtert, als wir aufkreuzen. Wenn mal ein Matrose oder Schmierer oder Steward zu spät kommt, wird in aller Regel einfach ausgelaufen, die Agentur wird damit betraut, den Typen wieder einzufangen und nach Hause zu schaffen. Der Janmaat ist dann „achteraus gesegelt“, hat sich `ne Menge Ärger und Kosten eingehandelt und ist außerdem seinen Job los. Hier wären aber Funker, Bootsmann, Decksschlosser und OA abhanden gekommen. Ohne Funker auszulaufen ist schlichtweg verboten, und auch der Rest dieses illustren Haufens wäre für einen geordneten Schiffsbetrieb nur schwer verzichtbar gewesen. In diesen Zeiten ist nirgendwo ein überbesetzter Dampfer unterwegs, eher das Gegenteil trifft zu. Die Erleichterung beim Kapitän ist nachvollziehbar. Inzwischen hat er auch meine Arbeit erledigt, einige Maaten wollten Cruzeiros zurückzahlen, das ist eigentlich mein Job. Na gut, der Alte hat es für mich abgewickelt, während ich als angesoffener Wagenheber tätig war.
Am nächsten Morgen sind wir auf See. Später in der Nacht hatte ich die obligatorischen Auslauftelegramme gesendet, dann versank ich in tiefem, vom Caipirinha wirksam unterstützten, Schlaf.
Über 4.700 Seemeilen sind’s von Tubarao bis Mobile. 13 Knoten Geschwindigkeit hat man uns verordnet, das ergibt wieder einen Seetörn von knapp über 15 Tagen. Na dann…
Der Tag nach dem Auslaufen wird weitestgehend vom Erfahrungsaustausch der Landgänger bestimmt. Es stellt sich heraus, dass wir uns mit unsrem Ausflug ins „Campo“ hervorragend zum Deppen gemacht hatten. Während wir nach überlanger Taxireise in einer weitgehend weiberfreien Zone landeten, hatten etliche andere Janmaaten einige ganz brauchbare Bars in Stadtnähe entdeckt und dort auch ein paar heiße Stündchen genossen. Behaupten sie jedenfalls. Wir aber sind gar nicht so enttäuscht, auf jeden Fall haben wir gepflegt einen drauf gemacht.
Einige Tage später kann einer der Assis sogar nachweisen, dass er einen erfolgreichen Nachmittag in weiblicher Gesellschaft verbrachte. Der taucht verlegen grinsend bei Herbie auf und präsentiert einen Tripper, der sich gewaschen hat. Herbie, als zweiter Offizier auch für die medizinische Versorgung an Bord zuständig, findet das nur bedingt lustig, das hat ihn schon auf der PEKARI angeödet, immer wieder mal zur Schwanzkontrolle genötigt zu werden. Die Penicillinspritze setzt er bei dem Assi bewusst so rustikal ein, dass dessen Schmerzenslaute recht gut vor der geschlossenen Hospitaltür zu vernehmen sind.
Der gleiche Assi hatte noch nach dem Auslaufen heftig damit angegeben, dass ihn die Dame nichts gekostet habe, die ganze Nummer sei auf „Symphatico“ gelaufen.
Diese Geschichten hörte man auf allen Dampfern in der Südamerikafahrt. Regelfall ist und war, dass die Janmaaten in den Häfen die einschlägigen Bars aufsuchten und dort in Kontakt mit den reichlich anwesenden und oft auch recht attraktiven „Chicas“ gerieten. Die waren hübsch, lieb und nett, betreuten ihren Sailor über die ganze Liegezeit… und kassierten dafür harte Dollars, es waren halt hübsche, liebe und nette Nutten. Und immer wieder kehrte der eine oder andere Maat an Bord zurück und fabulierte von einer Senorita, die sich unsterblich in ihn verliebt hätte und dann den Nuttenlohn empört zurückgewiesen habe. Alles wegen „Symphatico“. Nun war ich als Funkoffizier auch Zahlmeister, die Vorschusszahlungen an die Crew waren Teil meines Jobs. Tja, und die ach so erfolgreichen „Symphatico-Vögler“ gehörten in aller Regel zu den „Vorschusskönigen“, den Jungs mit den höchsten Landgangskosten. Seltsam, oder?
Kaum auf See, stellen wir auch fest, dass die Katze verschwunden ist. Vom Landgang nicht zurückgekehrt. Achteraus gesegelt. Schweine-Willy hat dazu eine eigene Theorie: „ Die war bestimmt `n Kater. Und dann hat der von den scharfen Weibern in Brasilien gehört und ist getürmt!“ – „Aber hallo!“, erwidere ich „ und wenn der Kater dann so erfolgreich agiert hat wie wir gestern, hat der noch keine Brasi-Muschi gesehen, liegt aber mit einem Heiden-Caipirinha-Rausch hinter der nächsten Erzhalde!“
Die Reise nach Mobile verläuft in ewig gleicher Bordroutine. Tage und Nächte ziehen vorbei, die See ist vergleichsweise ruhig. Am 1. Mai stehe ich neben Herbie auf der Brücke. Nur die Wachgänger arbeiten, der Rest der Crew hat „Ausscheiden“. Wir schauen über die elend lange Decksfläche vor uns und hängen unseren Gedanken nach. Da wird an Steuerbord eine merkwürdige Prozession sichtbar.
Maitour an Deck
Eine kleine Schar Janmaaten zieht nach vorne zur Back, mittenmang der Bollerwagen, mit dem normalerweise Werkzeug und Wartungsmaterial über Deck bewegt wird. Dieses Mal transportiert der Bollerwagen aber Bier, und außerdem ist er mit einer mächtigen Nationalflagge dekoriert. Biertransport unter „Schwarz Rot Senf“.
Was is` dat denn?“ sage ich verblüfft. Herbie grient: „Die machen `ne Maitour. Da haben sie schon gestern den ganzen Tag von gelabert. Vorne auf der Back wollen sie dann feiern und anschließend wieder zurück eiern!“ Und so geschieht es dann auch. Die ganze Horde latscht Richtung Bug, lässt sich anschließend auf der Back zwischen den Ankerwinden nieder und zieht sich dort die mitgebrachten Hopfen-Kanülen rein. Gegen Abend nähert sich der Bollerwagen wieder den Aufbauten, Ende der Maitour 1978.
Kurz vor Erreichen des Zielhafens empfange ich ein längeres Funktelex von der Reederei.
Der Chartervertrag für die PROPONTIS endet vorzeitig, aber die Anschlussbeschäftigung des Schiffes ist bereits gesichert. Nach Beendigung der Erzreise gehen wir in einen längerfristigen Chartervertrag mit dem sowjetischen Staatsunternehmen Sovfracht Moskau. Unser Schlorren soll in der Getreidefahrt USA - Sowjetunion eingesetzt werden. Kalter Krieg hin oder her, amerikanische Farmer machen in jenen Jahren Milliardengeschäfte mit dem hohen Importbedarf der Sowjetunion. Und da es in der sowjetischen Handelsflotte an geeigneten Bulkcarriern für die Getreidetransporte mangelt, verdienen auch deutsche Reeder ganz prächtig an diesem Ost-West-Geschäft. Unser erster Auftrag steht schon fest. Laden sollen wir auf dem Mississippi, Löschhafen ist dann später Odessa.
Zunächst aber muss mal die Erzladung raus. Knappe zweieinhalb Tage liegen wir an der Pier in Mobile. Tag und Nacht krachen die Greifer der Hafenkräne in die Luken und hieven die rotbraunen Pellets an Land. Hier an der US-Golfküste ist es jetzt schon ziemlich heiß, feuchtwarmes Klima, gelegentliche Regenfälle. Abends streunen wir an der Küste herum, schauen mal in diese, mal in jene Bar. Am zweiten Tag unternehmen wir einen Ausflug in kleiner Besetzung. Der Alte, der Chief, Norbert und ich wollen mal ein wenig die Küste entlang fahren, just for fun.
Mit einem Mietwagen dödeln wir los, Norbert als Maschinen-Mann wird kurzerhand zum Fahrer bestimmt, zuständig für alles, was `nen Motor hat. Abends sind wir wieder an Bord, irgendwas Supertolles haben wir nicht gesehen, aber wir sind mal ein paar Stündchen ganz gemütlich über die Küstenstraße gerollt. Easy Cruising.
Zweimal pennen und wir verlassen Mobile, kurz nach dem Auslaufen aus der Mobile Bay morse ich die ETA`s für den nächsten Port in den Äther. Wir sollen New Orleans ansteuern, weitere Order folgt. Ein ausführlicheres Telex der US-Agentur offenbart später folgende Lage: Am Mississippi stehen drei große Verladeanlagen für Getreide zur Verfügung. Vielmehr standen zur Verfügung. Eine davon hat sich unlängst aufgrund einer Staubexplosion in ihre Einzelteile zerlegt, es gab Tote und erheblichen Sachschaden. Die verbliebenen zwei Stationen müssen nun das komplette Ladegeschäft auf dem Ol` Man River alleine bewältigen, es gibt bereits einen erheblichen Rückstau an wartenden Frachtern. Die Sowjets haben `ne ganze Menge Bulkies auf dem Markt zusammengechartert, jetzt wartet ein Gutteil dieser Flotte auf dem River aufs Beladen. Wir sollen uns mal auf drei Wochen Wartezeit einstellen. Na prima, das wird ja `ne schöne Gammelei werden.
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