Ich schreibe schon mal den Meldungstext und werfe den Sender an. Die Positionen des Suchstreifens würde man mir gleich von der Brücke übermitteln, die kann ich dann noch einfügen. Sitze da und warte.
Draußen im Gang plötzlich Stimmengewirr. Entfernt höre ich: „Wir haben ihn!“ Ich raus aus der Station, Herbie läuft mir über den Weg. „Wo war der denn? – „Du glaubst das nicht. Seine Kammer haben wir schon zweimal kontrolliert, und eben guckt der Alte selbst noch mal rein, da kommt unter der Koje ein Arm vor. Der Blödmann hat sich zum Pennen einfach verpisst und damit ihn keiner stört, unter die Koje gelegt!“ Wir sind alle stocksauer auf Timmi, aber auch verdammt froh. Timmi hat danach ein verflucht unangenehmes Vieraugengespräch mit dem Alten. Der Alte ist sonst ein absolut ruhiger Vertreter, aber jetzt hört man ihn über zwei Decks, trotz geschlossener Office-Tür. Timmi bekommt eine detaillierte Aufrechnung präsentiert, was ihn ein Wendemanöver mit anschließender stunden- oder auch tagelanger Suche gekostet hätte. Ölverbrauch, Charterausfall etc, etc. Da ist der komplette Dampfer in Aufruhr, und dann kriecht dieser Döspaddel unter der Koje hervor. Erleichtert zerknülle ich die vorbereitete Dringlichkeitsmeldung und schmeiße sie in den Papierkorb.
Timmi backt in den folgenden Tagen dann sehr kleine Brötchen, der ist zunächst mal der unauffälligste Mitarbeiter an Bord. Aber der Alte gebärdet sich nicht nachtragend, und schnell wächst Gras über die Sache. Im Übrigen hat Timmi auf dieser Reise die Funktion des Bordhund-Beauftragten übernommen, Jackie hat in seiner Kammer Asyl gefunden und wird von ihm umsorgt.
Tiere an Bord waren nicht unproblematisch, viele Kapitäne lehnten es strikt ab, irgendein „Maskottchen“ an Bord zu nehmen. Meist handelte es sich ja um Hunde, die einem Janmaaten beim Landgang zugelaufen waren und dann aus einer sentimentalen Tierliebe heraus an Bord geschleppt wurden. Bei den Besatzungen erfreute sich das Vieh dann großer Beliebtheit und wurde verhätschelt und verwöhnt. Trotzdem war die Sache umstritten, eine artgerechte Haltung war das für die Köter nun einmal nicht, der Hund war nur auf Kunststoffböden und an Deck auf Eisenplatten unterwegs, bekam die Essensreste der Crew und war mit ständig wechselnden Bezugspersonen konfrontiert. In einigen Häfen reagierten die Behörden sehr kritisch auf Tiere, besonders die Briten mit ihrer pathologischen Angst vor Einschleppung der Tollwut verfügten in solchen Fällen strikte Auflagen.
Timmi mit Jackie, unserem Bordköter
Jackie, unser kofferallergischer Bordköter, hatte in Rotterdam zu allem Überfluss auch noch Konkurrenz bekommen. Kurz nach dem Auslaufen wurde die Anwesenheit einer Katze an Deck festgestellt. Die war wohl von einem der Binnenschiffe desertiert und über die Saugheber-Plattform an Bord gelangt. Und schon wird die Katze ebenfalls mit versorgt, fürsorgliche Maaten legen Futter an Deck aus und garantieren so ihr Überleben. Die erste Begegnung zwischen Hund und Katze verläuft sensationell. Ich stehe vormittags mit dem dritten Steuermann auf der Brücke und schaue über das endlose Deck vor uns, da erspäht Jackie, die gerade längs der Steuerbordseite ihren Morgenspaziergang absolviert, das Katzenvieh. Jackie haut sofort Vollgas rein und hetzt hinter der Katze her. Steuerbord zum Vorschiff und Backbord wieder zurück. Dann zwischen den Luken durch, eine Verfolgungsjagd wie im Trickfilm. Schließlich flüchtet sich die Katze unter das kleine Arbeitsboot, das in Kopflage an Deck fixiert ist, ein kleiner Kahn, der für gelegentliche Arbeiten an der Wasserlinie verwendet wird. Die Katze passt mal gerade so durch den kleinen Spalt zwischen Decksplatten und Bootsrand, Jackie nicht. Der blöde Köter versucht aber trotzdem, sich da rein zu zwängen, und das war ein Fehler. Während dieses Manövers war Jackie ziemlich hilflos, und unter dem Boot, wir können es nur vermuten, holt die Katze mörderisch aus und haut Jackie die Krallen auf die Schnauze. Wir schließen das aus der Art und Weise, wie der Hund beide Hinterbeine in die Luft wirft und dann völlig verstört einen Rückzieher macht. Von diesem Tag an begegnet unser Hund der Katze äußerst hochachtungsvoll. Kommt ihm bei seinen Spaziergängen das Katzenvieh entgegen, wechselt er die Schiffsseite.
Ankunft auf der Reede von Lower Buchanan. Zum ersten Mal bin ich nun in „Afrikiki“, wie die Gegend im Seemannsjargon genannt wird. Verlässt man das klimatisierte Deckshaus, läuft man umgehend gegen eine Mauer. Dort draußen steht ein Hecht, dass einem zunächst die Luft weg bleibt. Feuchtschwüle Hitze, die Sonne knallt vom Firmament wie `ne verdammte Laserkanone.
Der Begriff „Schwitzen“ kriegt `ne ganz neue Bedeutung, ich bilde mir förmlich ein, kleine Fontänen auf meinen Poren wahr zu nehmen. Also zunächst mal wieder rein in die Aufbauten, der Herr segne den Erfinder der „Air-Condition“!
Das ist also die Küste Liberias. Ein Land mit gewissen Besonderheiten, Kolonie waren die nie. Der Staat wurde schon im 19. Jahrhundert gegründet, im Rahmen eines Rückführungsprogrammes ehemaliger Sklaven aus den USA. Deshalb ist Liberia reichlich amerikanisiert, der Dollar fungiert als Parallelwährung, und selbst die Flagge ist dem Sternenbanner irgendwie nachempfunden. Dieser merkwürdigen Staatsgründung lag die Idee zugrunde, hier an der Küste eine Art „Little black United States“ zu erschaffen. Ist aber nicht so richtig gelungen, inzwischen ist das Land genauso ein korrupter Saustall wie viele Länder in dieser Gegend. Leider.
Am Ufer ist die Erzpier zu erkennen, riesige rotbraune Halden türmen sich auf, eine aufwendig konstruierte Verladeanlage direkt am Kai, dahinter endlose Laufbänder zur Heranführung des Eisenerzes. Erst in einiger Entfernung die Küste runter sieht man durchs Glas eine menschliche Ansiedlung, sieht alles ziemlich bescheiden aus. Die Erzgruben, wo das begehrte Mineral abgebaut wird, befinden sich im Landesinneren. Sowohl die Gruben, die zum Transport gebaute Bahn als auch der Verladehafen gehören der schwedischen LAMCO-Corporation. Das Sagen haben aber die Liberianer, und das demonstrieren sie auch sehr überzeugend schon bei der Einklarierung.
Schon zwei Stunden nach der Ankunft drücken uns zwei Schlepper an die Pier, nach gut 11 Tagen wird es ruhig im Schiff, die Hauptmaschine schweigt. Als Funkoffizier gehört die Durchführung der Einklarierung, also der behördlichen Abfertigung bei Ankunft, zu meinen Obliegenheiten. Ich stehe in Khaki-Uniform an der Gangway, um die Hafen-Beamten zu empfangen und in den Salon zu geleiten. Schulterklappen mit den Streifen am Hemd, das ist hier wichtig, diese afrikanischen Beamten sind unglaublich authoritätsfixiert. Ohne Offiziersrang ist man Luft für die. Und dann klettert schon eine ganze Horde die Gangway hoch, einige in Uniform, andere in sehr traditionellen Batik-Hemden. Und siehe da, die schleppen die gleichen Taschenmodelle mit sich herum, die ihre „Kollegen“ in Südamerika so schätzen. Taschen, die man auf ein Vielfaches ihres ursprünglichen Volumens vergrößern kann, um die zusammengschnorrten „Präsente“ von Bord zu schleppen, die hier zu jeder Einklarierung zwingend dazu gehören.
Ich führe die Truppe in den Salon, dort sitzen bereits der Alte und der Chiefmate. Einer der Gilbie-Stewards ist standby, um die Getränkeversorgung sicherzustellen. Und schon geht die Post ab, wildes Palaver, wichtiges Getue. Ich werde Mannschaftslisten gleich im Dutzend los, jeder dieser Lurche muss irgendein Papier bekommen, sonst wäre er ja nicht wichtig. Ja, und die Präsente. „Captain, you got german beer? We like german beer very much!” Na klar, bitte sehr, steht doch auf dem Tisch. Nee, so war das nicht gemeint, die Herrschaften würden gerne ein Paar Kisten mitnehmen. Dazu noch `n Paar Whisky-Buddels, wenn`s recht ist. Und bitte die Zigaretten nicht vergessen, so `ne Stange Marlboro pro Nase, also das ist ja mal das Mindeste. Die Tragetaschen der Beamten schwellen mit fortdauernder Einklarierung deutlich an, unsere Hälse auch. Aber was will man machen, das ist Afrikiki…
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